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Thierse: Kein Abgeordneter muss Papst zustimmen

Er verstehe die Aufregung nicht, sagt Wolfgang Thierse (SPD) zum Papstbesuch im Bundestag. Jemandem zuzuhören, dessen Ansichten man nicht unbedingt teile, sei doch ein kleiner Beitrag zum Dialog der Religionen, den immer alle forderten.

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Bettina Klein | 21.09.2011
    Bettina Klein: Nicht alle Parlamentarier werden morgen den Worten von Papst Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag lauschen. Einige, vielleicht etliche Abgeordnete, deren Zahl im Moment wohl noch nicht genau feststeht, wollen dem Ereignis fern bleiben. Eine Frage, an der sich die Debatte darum entzündet hat, war: Wer darf weshalb eigentlich reden im Deutschen Bundestag und wer genau legt das fest. Am Telefon begrüße ich den SPD-Politiker Wolfgang Thierse, einer der Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, ebenso wie Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Guten Morgen, Herr Thierse.

    Wolfgang Thierse: Guten Morgen! Ich muss Sie korrigieren: Ich bin nur schlichtes Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

    Klein: Okay, dann nehmen wir das so zur Kenntnis. Herr Thierse, gibt es für Sie ein Argument, das Sie akzeptieren, mit denen einige auch Ihrer Fraktionskollegen ihre Abwesenheit bei der Rede des Papstes morgen im Deutschen Bundestag begründen?

    Thierse: Ich verstehe die Aufregung nicht und ein bisschen irritiert mich die aggressive Heftigkeit der Kritik an dem Papstbesuch und dem Auftritt vor dem Deutschen Bundestag. Kein Abgeordneter wird gezwungen, daran teilzunehmen, der Abgeordnete ist frei, und kein Abgeordneter, der zuhört, muss den Ansichten des Papstes zustimmen, und das Parlament ist überhaupt nicht veranlasst, sich die Ansichten des Papstes zueigen zu machen. Also so gelassen sollte man das sehen.

    Klein: Das heißt, es bekümmert Sie schon, dass auch Abgeordnete Ihrer Fraktion dem fern bleiben wollen?

    Thierse: Mich bekümmert ein bisschen der aggressive Unterton und die öffentliche Aufregung, mit der das inszeniert wird. Dass Abgeordnete nicht katholisch sind, papstkritisch sind, Atheisten oder Laizisten sind und entsprechend handeln, das ist doch ganz in Ordnung. Das ist so in einer pluralistischen, freiheitlichen, offenen Gesellschaft.

    Klein: Was antworten Sie denn denen, die sagen, die Trennung von Staat und Kirche gebiete, dass das Oberhaupt einer Kirche nicht in einem Parlament sprechen sollte?

    Thierse: Erstens: Der Bundestag ist frei in seinen Entscheidungen. Sie haben daran erinnert, dass der Bundestag, der Bundestagspräsident mit Zustimmung aller, ich betone aller Fraktionen diesen Papst eingeladen hat. Dort sind diese Bedenken nicht vorgetragen worden. Und ich glaube auch nicht, jedenfalls halte ich das für sehr übertrieben, dass die Trennung von Staat und Kirche in Frage gestellt wird. Ich sage es noch einmal: Die Abgeordneten sind frei, teilzunehmen oder nicht, den Ansichten zuzustimmen oder nicht. Sie bleiben frei, da wird nichts gefährdet von jener Trennung von Staat und Kirche.

    Klein: Ihr Parteifreund, kein Abgeordneter, aber der evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer sagt, der Plenarsaal ist nicht der Ort für den Papst, dort wird debattiert, nicht dekretiert. Was halten Sie dem entgegen?

    Thierse: Friedrich Schorlemmer irrt. Der Papst wird nicht dekretieren. Ich unterstelle auch nicht, dass er dort eine Predigt halten wird. Aber ich wäre froh, wenn er als das Oberhaupt einer weltumspannenden Religionsgemeinschaft - davon gibt es nicht so viele - sich äußern würde, wie eine in sich zerklüftete, durch Widersprüche, Kriege, Konflikte, Krisen geschüttelte Welt friedlich zusammenhalten kann. Die wird doch nicht zusammengehalten, wie wir bemerken, durch die Börsen, durch Finanzmanager, durch die großen globalen Unternehmen, da muss doch noch etwas anderes sein: gemeinsame Grundüberzeugungen, Vorstellungen von sinnvollem menschlichem Leben, von Solidarität, von Gerechtigkeit, von Frieden. Warum soll nicht das Oberhaupt einer weltumspannenden Religionsgemeinschaft dazu etwas sagen können.

    Klein: Auch unabhängig von der Frage, ob Papst Benedikt im Parlament sprechen sollte, es entzündet sich viel Kritik an der Führung der Katholischen Kirche und an bestimmten Überzeugungen, vor allem auch gerade innerhalb der Katholischen Kirche. Wie viel Verständnis haben Sie dafür?

    Thierse: Ich teile manche dieser Kritik. Übrigens will ich noch einmal sagen: Auch die vorherigen, vorhin aufgezählten Redner im Deutschen Bundestag haben geredet, es schloss sich keine Debatte an. Die Debatte ist dann eine öffentliche, die in der Folgezeit stattfindet. Also das ist, glaube ich, kein angemessener Einwand. Das ist ja nicht eine normale Bundestagsdebatte, wo wir miteinander streiten. Aber dass der Papst vernünftigerweise im Bundestag nicht über innerkirchliche Konflikte redet, unterstelle ich. Aber natürlich gibt es sie. Es gibt innerhalb der Katholischen Kirche beträchtliche Meinungsverschiedenheiten. Die Katholische Kirche, ausgesprochen der Vatikan und der Papst, laborieren daran, mit der inneren Pluralisierung, der zunehmenden Pluralisierung der Katholischen Kirche zurande zu kommen. Aber das ist eine Herausforderung, die übrigens nicht nur die Katholische Kirche haben, sondern die alle großen Institutionen, Verbände haben, mit der inneren Pluralisierung zurande zu kommen und trotzdem zusammen zu bleiben, etwas Gemeinsames zu haben bei all den Verschiedenheiten.

    Klein: Es steht gerade natürlich im Vorfeld auch dieses Besuches hier in Deutschland, vielleicht auch gerade besonders in Deutschland, der Vorwurf massiver Machtpolitik im Raum. Der Vatikan versuche, die Kirche immer mehr abzuschotten nach außen, die Besetzung von Bischofsämtern, Lehrstühlen zu kontrollieren. Bezweifeln Sie das, oder halten Sie diese Kritik für angemessen?

    Thierse: Ich sage ausdrücklich, die innerkirchliche Debatte muss geführt werden. Aber was hat das mit der Frage nach dem Deutschen Bundestag zu tun, nach dem Ort? Darf da nur jemand sprechen, dessen Ansichten man teilt, oder wenigstens für erträglich hält? Wer würde das entscheiden? Und wer bliebe übrig? Darf man im Bundestag nur auftreten, wenn man einen Gesinnungstest bestanden hat? Nein, nein! Die Demokratie lädt alle ein, aus ihren starken Überzeugungen, auch kontroversen Grundüberzeugungen zu agieren, und zwar nicht nur privat, sondern auch öffentlich, und das gilt, denke ich, sogar für Katholiken und sogar für den Papst.

    Klein: Sollen und dürfen dann Politiker des Deutschen Bundestages auch ein kritisches Wort in dieser Hinsicht sagen dürfen?

    Thierse: Natürlich! Selbstverständlich! Ich sage es auch, und zwar als einer, der Demokrat ist und zugleich katholisch ist, der aus seiner christlichen Überzeugung Demokrat ist.

    Klein: Es gab 2010 in Deutschland erstmals mehr Austritte aus der Katholischen Kirche als Taufen, Pfarrstellen können nicht besetzt werden, bei allem Zulauf der Katholischen Kirche weltweit und sicherlich auch morgen im Berliner Olympiastadion. Kritiker sagen, ein Grund dafür ist, die Kirchenoberen schauen nicht hin und wollen die Probleme nicht sehen. Wo sehen Sie die Ursachen dafür?

    Thierse: Ich habe das gerade angedeutet. Jede Gemeinschaft braucht Wertorientierung als Grundlage und muss Grenzen nach innen und außen ziehen. Sonst gibt es sie als Gemeinschaft nicht. Ich sage noch einmal: Das gilt nicht nur für die Katholische Kirche, das gilt für Religion insgesamt, das gilt für alle großen Gemeinschaften. Und sie muss zugleich nach innen wirklich sich auseinandersetzen mit den Änderungen der Welt, der Frage sich stellen, wie das, was die eigene Grundüberzeugung ist, angemessen ins heutige übersetzt werden kann, wie das, was die eigene Botschaft ist, auf eine möglichst menschliche und menschenfreundliche Weise daher kommt. Das ist eine riesige Herausforderung für eine so alte und in gewisser Weise eben auch durch Traditionen stark geprägte Institution wie die Katholische Kirche.

    Klein: Und wird sie ihr gerecht im Augenblick?

    Thierse: Also wir sind unterwegs und wir müssen sagen, Deutschland ist doch nicht der Nabel der Welt. Unsere Probleme, unsere Auseinandersetzungen sind ganz offensichtlich andere als die der Katholischen Kirche in Afrika, in Südamerika, in Asien, und der Papst ist halt nicht nur das Oberhaupt der deutschen Katholischen Kirche. Ich sage es noch einmal: Ich wünsche mir, dass der Vatikan weniger angstvoll auf Entwicklungen, auf Pluralisierungen reagiert und der Papst - das ist ja eines seiner Ämter als Sachwalter der Einheit - sozusagen nicht Einheit mit Geschlossenheit und Einförmigkeit verwechselt.

    Klein: Bei solchen Besuchen, die natürlich auch viele, viele Menschen hier in Deutschland anziehen, wird natürlich auch thematisiert die Kluft, die vielen erscheint, zwischen dem Papst, dem Vatikan auf der einen Seite, der weltlichen Gesellschaft auf der anderen. Die Haltung Homosexuellen gegenüber oder in Bezug auf Empfängnisverhütung sind ja nur zwei Beispiele. Wie soll man das Menschen erklären, und vielleicht wäre das auch ein Anlass, jetzt beim Papstbesuch zu versuchen, sozusagen Menschen dafür zu gewinnen, oder aber auch zu erklären, warum die Katholische Kirche an dieser Haltung festhält?

    Thierse: Also das ist eine Aufgabe derer, die diese Überzeugungen teilen, das immer wieder neu zu erklären. Aber für die Katholische Kirche insgesamt gilt ja, wenn sie in allen Fragen, wo sie in der Kritik steht, den Zeitgeist teilen würde, dem Mainstream folgen würde, sich nicht unterscheiden würde, dann würde sie sich in gewisser Weise auch selber überflüssig machen. Also dass da die Katholische Kirche und erst recht dieses eigentümliche Papstamt wie ein erratischer Block aus der Geschichte herüberreicht in die Gegenwart, das ist so, das kann man im Grundsatz nicht ändern. Aber was ich mir wünsche, sehr wünsche ist, dass die Katholische Kirche als ein Teil der Christenheit, die einmal in die Geschichte das Mitleiden gebracht haben - das ist eine christliche Erfindung -, dass sie das auch nach innen praktizieren und nicht so hart, so erbarmungslos mit Homosexuellen, mit Wiederverheirateten, Geschiedenen, mit Frauen umgehen. Da hat die Kirche wirklich viel Änderungsbedarf um der Liebesbotschaft des Christentums selber willen.

    Klein: Herr Thierse, abschließend gefragt: Der Papst kommt morgen nach Berlin. Katholiken sind dort eher in der Diaspora. Sie selbst stammen aus dem Osten Deutschlands, wo das noch mal in einem ganz anderen Sinne galt. Wie erleben Sie das, jetzt im Augenblick als Katholik in Berlin, auch im ehemaligen Ostberlin zu leben?

    Thierse: Ich bin gewohnt, Angehöriger einer Minderheit zu sein. Ich bin gewohnt aus DDR-Zeiten, dass eine Mehrheit und dann sogar noch von Staatswegen mit Befremden, mit Kopfschütteln, mit Häme auf diese katholischen Christen, auf die Christen überhaupt geschaut hat. Das irritiert mich nicht. Mich irritiert ein bisschen die Aggressivität, die Heftigkeit der gegenwärtigen Kritik und die mangelnde Souveränität. Zuhören jemandem, dessen Ansichten man nicht unbedingt teilt, wäre doch ein kleiner Beitrag zu dem Dialog der Religion und Weltanschauung, von dem wir immer reden, den alle fordern um des Friedens in der Welt willen. Hier kann das das deutsche Parlament und die deutsche Öffentlichkeit praktizieren. Ich bin sehr gespannt, ob der Ton der Häme und der Kritik weiterhin die Oberhand hat.

    Klein: Wolfgang Thierse, SPD-Bundestagsabgeordneter, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Thierse.

    Thierse: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.