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Thomas Bayrle im Kunstbau
Das Museum wird zum Maschinenpark

Eine Choreografie zwischen Mensch und Maschine: Der Pop-Artist Thomas Bayrle stellt im Kunstbau in München aufgeschnittene Motoren und die abstrakte Nachbildung einer Autobahn aus. Überzeugender sind allerdings seine Animationsfilme.

Von Julian Ignatowitsch | 22.12.2016
    Ein Sternmotor von Thomas Bayrle 2012 in der Ausstellungshalle auf der documenta (13) in Kassel
    Auch der auf der documenta (13) in Kassel 2012 ermalig ausgestellte Sternmotor von Thomas Bayrle ist in der aktuellen Ausstellung im Kunstbau in München wieder zu sehen. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Keine Zeit für Stillstand. Da stampfen Kolben, rotieren Kurbeln und Scheibenwischer schwingen durch die Luft. Der Künstler Thomas Bayrle verwandelt das Museum kurzerhand in einen Maschinenpark. Geht ein Motor aus, startet der nächste. Motor, das heißt, Beweger. Und Bewegung ist hier alles inmitten der 15 Motor-Skulpturen, die Bayrle aufgeschnitten, angeworfen und mit verschiedensprachigen Rosenkranz-Gebeten soundtechnisch verknüpft hat. Thomas Bayrle:
    "Donnerstag um halb vier treffen sich zehn Hausfrauen, stellen die Einkaufstaschen hin und sagen: 'Jetzt geht es los.' Und dann rasseln sie den Rosenkranz herunter. Das ist, wie wenn ein Motor läuft. Es ist wunderbar. Ich habe mich oft daneben gesetzt und das wie einen rauschenden Bach mitgekriegt, wie die das runterleiern."
    Eine Choreografie zwischen Mensch und Maschine. Actio gleich Reactio. Gebetsmühlenartig neigen sich die Blätter der Scheibenwischer, so wie sich die Häupter in der Kirche senken. Immer und immer wieder.
    "Die Wiederholung, die immer gleiche Wiederholung hat ja immer eine winzige Abweichung. Ich glaube fest daran, dass es in Wirklichkeit nichts Gleiches gibt - nur sehr Ähnliches."
    Bayrle - ein Verfechter des Seriellen. Schon in den 70er-Jahren bediente er sich des Autos und der Autobahn zur Veranschaulichung dieses Prinzips. Seine ersten Motoren entstanden für die Documenta 2012. Für die Ausstellung in München hat Bayrle nun eigens eine neue Autobahn gebaut, als Wandinstallation aus Holz: 30 Meter lang und 5 Meter hoch. Drei mal drei Spuren mit Kreuzungen und Überschneidungen, ein Gebilde wie aus dem Film "Metropolis". Massenproduktion, Fließbandarbeit und Mechanisierung sind omnipräsente Themen in Bayrles Oeuvre. Als Weber in einer Textilfabrik erlebte der Frankfurter nach dem Krieg den sozio-ökonomischen Wandel aus einer besonderen Perspektive, erklärt Kuratorin Eva Huttenlauch:
    "Die Massenproduktion wurde angekurbelt, dazu brauchte es einen Massenkonsum und neue Distributionswege. Und hier kommt die Autobahn ins Spiel. In den 50er Jahren nach dem Krieg wurde das Frankfurter Autobahnkreuz eingeweiht, das der größte Verkehrsknotenpunkt in Europa noch heute ist. Da fahren täglich 350.000 Autos drüber und das Frankfurter Kreuz ist auch der direkte Zubringer zum Frankfurter Flughafen, dem internationalen Flughafen in Deutschland. Das heißt die Anbindung von den Produktionsstätten in Frankfurt und ganz Deutschland über die Autobahn zum Flughafen, der Warentransport und Güterverkehr - das hängt alles miteinander zusammen."
    Die moderne Gesellschaft als ein monumentales wie klinisch sauberes Ersatzteillager - so erscheint es bei Bayrle. Ein wenig plakativ und bedeutungsschwanger in der Ausdeutung, ja. Letztlich stehen hier doch nur aufgeschnittene Motoren aus aller Welt: etwa ein Lincoln V8, ein Citroen 2CV oder - ganz deutsche Wertarbeit - VW neben Porsche. Der Autofahrer Bayrle zeigt sich selbst auch ganz pragmatisch:
    "Ich fahre schon immer den gleichen BMW, den mein Bruder ablegt. Mein Bruder hat hier 30 Jahre im Werk gearbeitet und ich nehme seine abgelegten Autos an."
    Neben dem vielen Motorengetöse gibt es dann auch noch den Pop Artist Thomas Bayrle zu entdecken. Seine computergenerierten Bilder und Videos haben ihm den Ruf eines deutschen Andy Warhol oder Roy Liechtenstein eingebracht. Auf Filme wie "(B)ALT" oder "Dolly Animation" wollte man im Münchner Kunstbau dann doch nicht verzichten. Und das ist gut so, denn wer mit den Motoren nichts anfangen kann, wird immerhin bei den halluzinatorischen Animationen seine Freude haben.
    Wenn Fotografien des erwachsenen Bayrle zu einem Säuglingskopf verschmelzen und dann umgekehrt der Künstler in seine kindlichen Bruchstücke zerfällt, ist das ein so paradoxer wie erstaunlicher Kreislauf. Ähnlich dem Loop der Autos daneben, die sich auf der Autobahn vorwärts schieben. Immer weiter. Immer wieder. Nichts steht niemals still. Alles fließt. Oder frei nach Bayrle:
    "Das ist wie ein Bach, der immer rauscht."