Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Thomas Oppermann: Rederecht-Vorlage ist nicht ganz ausgereift

Dürfen Fraktionsabweichler und Opposition künftig auch nach einer Debatte Redezeit vom Parlamentspräsidenten zugewiesen bekommen? Ja, sagt Thomas Oppermann (SPD), solange dabei die Redezeit zwischen Regierung und Opposition angemessen verteilt - und "im Benehmen mit den Fraktionen" erteilt wird.

Das Gespräch führte Martin Zagatta | 16.04.2012
    Martin Zagatta: Soll das Rederecht für Bundestagsabgeordnete für sogenannte Abweichler eingeschränkt werden? Seit die "Süddeutsche Zeitung" über entsprechende und gemeinsame Pläne der Union, der FDP und der SPD berichtet hat, ist die Empörung groß. Wird da jetzt schon zurückgerudert? Und weil es sich um Pläne handelt, die offenbar nicht nur von Union und FDP stammen, sondern auch von der SPD mitgetragen wurden, haben wir Thomas Oppermann gefragt, den Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, ob er zu denen gehört, die diese Pläne mit ausgeheckt haben.

    Thomas Oppermann: Zunächst geht es um Empfehlungen des Geschäftsordnungsausschusses, mit denen die Fraktionen sich noch gar nicht beschäftigen konnten. Es gibt noch nicht mal eine Beschlussempfehlung, eine schriftliche. Und was aus dem Geschäftsordnungsausschuss zu uns vorgedrungen ist, macht auf mich den Eindruck einer noch nicht ganz ausgereiften Vorlage. Die wird so nicht in das Parlament kommen, da werden sich jetzt erst mal die Fraktionen mit beschäftigen. Wir stellen als Sozialdemokraten klar: Es darf keine Beschneidung des Rederechtes einzelner Abgeordneter geben. Wir brauchen eine lebendige, wir brauchen eine inhaltlich spannende Debatte im Deutschen Bundestag, auch mit den Minderheiten.

    Zagatta: Aber die SPD hat an diesen Plänen mitgewirkt, also Ihre Vertreter im Bundestagsausschuss zur Änderung der Geschäftsordnung sollen da ja mit beteiligt gewesen sein.

    Oppermann: Das ist richtig. Es geht ja im Geschäftsordnungsausschuss um die Frage, wie können sich Abgeordnete jenseits der allgemeinen, den Fraktionen zur Verfügung gestellten Redezeit zu Wort melden. Dafür kennt ja die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages die sogenannte Kurzintervention. Jeder Abgeordnete hat die Möglichkeit, bis zu drei Minuten sich in der Debatte zu melden und seinen Standpunkt klar zu machen. Davon macht zum Beispiel der Kollege Ströbele immer Gebrauch, weil ihn seine Fraktion nie als Redner in den Afghanistan-Debatten nominiert, er aber über die Kurzintervention sich dennoch zu Wort melden kann.
    Und dann gibt es die Erklärung nach Ende der Debatte, wo ein einzelner Abgeordneter bis zu fünf Minuten darlegen kann die individuellen Beweggründe seiner Entscheidung.
    Und jetzt noch ein Drittes: Der Präsident hat im Falle Willsch und im Falle Schäffler erstmals neben diesen beiden Verfahren den beiden Abgeordneten fünf Minuten Rederecht gegeben, um ihren abweichenden Standpunkt zu begründen, und der ist in der Geschäftsordnung gar nicht geregelt. Aber der Geschäftsordnungsausschuss hat ja den Auftrag, dies nunmehr zu regeln.

    Zagatta: Und warum will man das einschränken?

    Oppermann: Bisher gab es diese abweichende Debattenform gar nicht. Der Präsident hat das aus seinem Ermessen heraus entschieden und es gab auch Unmut über die Entscheidung, denn er hat zwei Abgeordneten der Regierungsfraktion das Wort erteilt, während die Opposition zugucken musste, wie die Regierung zusätzliche Redezeit bekommt. Ich finde, man muss auch darauf achten, dass die Redezeit zwischen Regierung und Opposition angemessen verteilt ist.
    Wir wollen aber nicht diese abweichenden Meinungen im Bundestag behindern. Ganz im Gegenteil: Die sollen zu Wort kommen. Das hat der Geschäftsordnungsausschuss sogar empfohlen. Er hat gemeint, nur drei statt fünf Minuten. Darüber muss man reden. Aber fünf Minuten sind durchaus ein vernünftiges Maß. Aber wir brauchen dann auch Regeln dafür, wenn beispielsweise einseitig Abgeordnete der Regierungsfraktion zu Wort kommen, dass dann auch Oppositionsabgeordnete den Meinungsstand der Oppositionsfraktionen darlegen können. Der kann ja auch viel heterogener sein als zunächst angenommen. Also es geht nicht, dass die Regierung am Ende über abweichende Meinungen im Regierungslager noch mehr Redezeit erhält als die Opposition.

    Zagatta: Aber in dem Entwurf, dem die SPD auch zugestimmt haben soll, zumindest die Vertreter der SPD in diesem Gremium, heißt es, so wird er zitiert, dass da Abweichler nur noch nach Rücksprache mit den Fraktionen reden sollen. Würden Sie das mittragen, kann man sich das vorstellen?

    Oppermann: Damit ist offenkundig gemeint, dass die Fraktionen darüber informiert werden, dass zusätzliche Redezeit gegeben werden soll. Natürlich kann die Entscheidung des Präsidenten, zusätzlichen Rednern Redezeit zu gewähren, nicht von der Zustimmung der Fraktionen abhängig gemacht werden, das steht da so auch nicht. Da steht, "im Benehmen mit den Fraktionen". Es muss schon richtig zitiert werden, das ist hier teilweise nicht geschehen. Also wir wollen jedenfalls keine Regel, wo die Fraktion darüber bestimmt, ob abweichende Meinungen zu Wort kommen.

    Zagatta: Aber "im Benehmen mit den Fraktionen", das deutet ja darauf hin?

    Oppermann: Das heißt nichts anderes, als dass die Fraktionen ein Informationsrecht haben, dass sie vom Präsidenten informiert werden müssen, wenn er zusätzliche Redezeit gewähren will. Das halte ich auch für vernünftig. Im Falle Schäffler und Willsch hat der Bundestagspräsident Lammert damals die Parlamentarischen Geschäftsführer zum Rednerpult gerufen, zum Präsidium, und hat sie darüber informiert, was er vor hat.

    Zagatta: Muss man daran etwas ändern? Spielt das in der Praxis überhaupt eine große Rolle?

    Oppermann: Das hat in der Praxis bisher überhaupt noch keine Rolle gespielt. Die beiden Abgeordneten Willsch und Schäffler waren die ersten und bisher einzigen, die auf diese Art und Weise zu Wort kamen. Der Präsident hatte damals auch die Möglichkeit gehabt, ihnen im Rahmen einer bisher schon möglichen Kurzintervention das Wort zu geben, er hat sich anders entschieden, jetzt haben wir einen Präzedenzfall und jetzt wird es auch in Zukunft Abgeordnete geben, die zusätzliche Redezeit bekommen, aber diese Redezeit darf jetzt nicht einseitig auf einzelne Fraktionen nach dem Motto, je zerstrittener eine Fraktion ist, umso mehr Redezeit bekommt sie, um den fraktionsinternen Stand umfassend darstellen zu können, so darf das nicht laufen. Deshalb sind wir der Meinung, das muss schon vernünftig geregelt werden. Aber das, was jetzt vorgeschlagen worden ist, muss ganz sicher noch mal überarbeitet werden.

    Zagatta: Ist das schon ein gewisser Rückzug, den Sie da aussprechen?

    Oppermann: Wir hatten als Fraktion bisher noch gar keine Gelegenheit, uns mit den Empfehlungen des Geschäftsordnungsausschusses zu befassen. Wir kennen sie aus der Zeitung, sie sind kurz vor Ostern im Geschäftsordnungsausschuss erörtert und beschlossen worden und es gibt nicht mal ein Protokoll von dieser Sitzung. Also das ist der objektive Kenntnisstand, den wir haben. Die Debatte ist dann sofort losgebrochen. Wir werden das in Ruhe besprechen. So wie es da empfohlen worden ist, werden wir es ganz sicher nicht beschließen.

    Zagatta: Sind die Pläne damit vom Tisch?

    Oppermann: Wir werden umfassend reden müssen darüber, wie das Parlament lebendiger wird, wie es spannender wird, wie wir wegkommen von ritualisierten Schlagabtauschen und hin zu kontroversen, inhaltsstarken, meinungsstarken Debatten. Wir werden als SPD unsere Vorschläge für die Parlamentsreform wieder auf den Tisch legen. Dazu gehört auch, dass das Fragerecht der Abgeordneten gestärkt wird. Wir wollen endlich die Bundeskanzlerin in der Fragestunde direkt befragen, beispielsweise wie sie steht zum Betreuungsgeld, ob das Betreuungsgeld wirklich kommt, ob das Kindern aus armen Familien hilft, oder ob es nicht noch mehr Barrieren für Bildung aufbaut. Solche Fragen direkt an die Kanzlerin, das würde zu Sternstunden im Parlament führen.

    Zagatta: Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Oppermann, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Oppermann: Ich bedanke mich auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.