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Thomas Wenner: "Veranstaltungsraum ist das wichtigste Kriterium"

Veranstaltungen wie die Loveparade seien zwar weiterhin machbar, sagt der ehemalige Polizeipräsident von Bochum, aber nur mit ausreichender Fläche. In Bochum wurde die Parade letztes Jahr wegen Sicherheitsbedenken abgesagt.

Thomas Wenner im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 31.07.2010
    Jürgen Zurheide: In Bochum wurde vor einem Jahr die Loveparade abgesagt. Sie wurde abgesagt, weil sowohl die Stadtverwaltung, die Oberbürgermeisterin als auch der Polizeipräsident klar gesagt haben, wir schaffen das nicht, wir können das nicht bewältigen. Die Kommentare waren damals außerordentlich hart. Da war die Rede von einer Bankrotterklärung von Provinzpolitikern, die die große, weite Welt nicht verstehen.

    Sie wissen es: Heute sieht man all diese Stellungnahmen etwas anders. Wir wollen mit demjenigen reden, der damals maßgeblich Nein gesagt hat und viel Kritik hat einstecken müssen. Wir wollen mit Thomas Wenner reden, dem damaligen Polizeipräsidenten von Bochum. Er ist am Telefon, guten Morgen, Herr Wenner!

    Thomas Wenner: Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Zunächst einmal, was waren damals Ihre Bedenken in Bochum?

    Wenner: Die bestanden hauptsächlich darin, dass in Bochum einfach ein geeigneter Ort, der die Weite aufwies, dass sich eine solche Veranstaltung entfalten konnte, nicht gefunden werden konnte – jedenfalls nicht gefunden werden konnte unter Berücksichtigung der notwendigen Sicherheit.

    Und dass, zweiter wichtiger Grund, dass der Abweg zum Bahnhof und die Bewältigung des Rückstroms über den Bahnhof nicht in der Zeit hätte geschehen können, in der man da, sagen wir, spannungsfreies Abfließen hätte erwarten können. Wenn die Leute sehr lange warten müssen und sich drängen, dann haben wir wieder genau diese Gefahren.

    Zurheide: Wie war es damals eigentlich, die Unterstützung der Politik zu bekommen? Denn auch damals war ja ein gewisser Druck zumindest im Ruhrgebiet, dass man das machen muss. Die Oberbürgermeisterin haben Sie schnell auf die Seite ziehen können; war das dadurch leichter oder war das dennoch ein schwieriger Prozess, auch intern, das so klar dann zu sagen? Denn das war ja hart, dann Nein zu sagen, oder?

    Wenner: Das war sicherlich hart, Nein zu sagen. Aber das hat in einer vollständigen Übereinstimmung mit der Stadt Bochum stattgefunden, mit den leitenden Beamten und der Oberbürgermeisterin. Und deshalb war das intern eigentlich nicht so spannungsgeladen oder spannend, sondern es war ein sehr sachlicher Prozess, wo sich insbesondere Ordnungsamt, Feuerwehr und Polizei mit ihren Argumenten durchgesetzt haben.

    Zurheide: Jetzt ist es natürlich schwierig, wenn wir heute darüber reden mit den Erfahrungen von Duisburg. Wenn Sie da noch mal zurückspulen die Zeit und wenn Sie sagen, wie hat das damals auf Sie gewirkt? Denn als es dann öffentlich wurde, dann brach ja der Sturm der Entrüstung los. Ich habe es gerade schon gesagt, Bankrotterklärung und was wurde Ihnen da nicht alles vorgeworfen. Wie hat die Diskussion dann auf Sie gewirkt?

    Wenner: Ja, da hatte ich so den Eindruck, dass aus einem politischen Raum, aus einem Raum, in dem keine Verantwortung getragen wird für das, was man sagt, und schon gar nicht für das, was man tut, und wo die Verantwortung dann denen angelastet wird, wenn es schiefgeht, von denselben Leuten, die sich heute dann darüber mokieren, dass man es nicht macht. Also, das hat mich sehr geärgert damals und deshalb habe ich ja auch in diesem offenen Brief darauf geantwortet. Und ja, danach war es dann eigentlich recht schnell wieder ruhig, dann konzentrierte sich die Kritik eigentlich darauf, dass man sagte, das hätte er aber eher sagen können.

    Zurheide: Ist der ein oder andere inzwischen schon zu Ihnen gekommen und hat sich bei Ihnen entschuldigt?

    Wenner: Nö!

    Zurheide: Ich weiß auch nicht, ob Sie das erwarten würden, aber …

    Wenner: Nein, nein!

    Zurheide: Okay, lassen wir das mal so stehen. Wie ist das überhaupt: Wir haben ja eine Tendenz – wir haben es vorhin schon besprochen in dieser Sendung mit dem Kollegen Manfred Breuckmann –, eine Tendenz zu Großereignissen und auch fast zu einem Hype um Großereignisse. Jetzt sehen Sie das natürlich aus polizeilicher Sicht und haben dann immer gerade die Sicherheit im Auge; ist das richtig, dass wir da immer mehr so diese Tendenz haben und dass Sie dann immer mehr in die Rolle des Bremsers kommen als Polizei?

    Wenner: Also, die Tendenz haben wir nach meinem Eindruck gewiss. Also, wenn etwas nicht groß ist, hat man fast den Eindruck, dann ist es auch nichts mehr. Und darüber wirft man dann leicht alle Bedenken über Bord, weil man das dann so machen will. Auch bei dieser Loveparade ist es ja letztlich so gewesen, dass das Land die Veranstaltung gefördert hat, die die Stadt Duisburg gar nicht hätte machen können ohne eine solche Förderung. Obwohl dem Land natürlich auch bewusst sein musste, das ist gleichzeitig die größte Drogenparty mit viel Alkoholgenuss, die man im Ruhrgebiet haben kann so auf einmal. Und ein Land, das viele Programme gegen Drogen und auch Alkohol hat, müsste sich da eigentlich auch schwerer tun, nicht nur unter Sicherheitsbedenken.

    Aber daran kann man sehen, allein die Größe zählt und dafür wird dann alles über Bord geworfen. Polizei kann das natürlich nicht machen, weil je größer die Veranstaltung, desto mehr Unsicherheitsfaktoren kommen ja gerade unter dem Aspekt der Masse dazu. Und da kann man natürlich zum Spielverderber werden, was man allerdings dann im Grunde genommen bei Veranstaltungen, die gewachsen sind historisch, nicht tun muss, weil es da dann Erfahrung gibt – Cranger Kirmes, sag ich mal, ist ja auch die größte, ja, ich sag jetzt mal im Lande, das wird die Düsseldorfer ärgern …

    Da gibt es ausgefeilte Konzepte, die natürlich auch immer wieder angepasst werden je nach Publikum, wenn es Schlägereien oder so gegeben hat, wie macht man es dann im nächsten Jahr, um das zu vermeiden, da wird ja auch immer nachgearbeitet. Aber das kann man auf diese Weise im Griff halten. Solche Sachen wie die längste Tafel auf der A 40 sind natürlich neu, sind ja auch neue Erfahrungen gemacht worden, dass es sogar mit dem Fahrrad- und Fußgängerverkehr und Skaterverkehr zu Staus kommen kann. Auch das muss man natürlich beobachten, wenn man an Wiederholung denkt, weil da muss man sich polizeilich auch, was Rettungsgassen und Ähnliches angeht, drauf einrichten. Aber ich denke, das ist machbar, auch Großveranstaltungen sind noch machbar, wenn Fläche da ist, wenn Entweichen möglich ist zur Seite und wenn die verkehrlichen und die Rettungswege gesichert sind.

    Zurheide: Ist das die Lehre, die wir da ziehen können? Sie sagen, es ist machbar, aber wir müssen eben die spezifischen Bedingungen berücksichtigen und wir müssen wissen, ist es etwas Neues oder ist es wie Cranger Kirmes und andere Ereignisse etwas, wo man jährlich lernt und wo man mit dem Ereignis wächst?

    Wenner: Ich denke, bei ganz neuen Sachen, da ist der Unsicherheitsfaktor größer. Aber ganz klar noch mal: In Berlin wäre das auch nicht in Kreuzberg passiert oder, hätte man die Loveparade veranstaltet, oder in Wedding oder in Neukölln, sondern da hatte man ganz besondere, ein ganz besonderes Grundstück, nämlich die Straße des 17. Juni an der Siegessäule, wo wirklich in alle Richtungen nach rechts und links man weg konnte. Auch wenn da Gedränge war, da konnte auch was passieren, also ein gewisses Risiko läuft man auch da. Aber dass sich das so aufbaut von … an einer Engstelle, das wäre da nicht möglich gewesen an einer Engstelle, durch die alle durch müssen.

    Und das macht den Unterschied, denke ich. Und die Umgebung ist das Wichtigste, der Veranstaltungsraum ist das wichtigste Kriterium. Stimmt der nicht – und so war das in Bochum, so ist das auch geprüft worden –, stimmt der Veranstaltungsraum unter Sicherheitsaspekten nicht, muss man die Finger davon lassen.

    Zurheide: Braucht die Polizei im Zweifel ein Vetorecht? Wir haben ja gelernt, dass Sie das bei Demonstrationen haben, weil Sie das anmelden und damit auch eine Art Genehmigungsbehörde sind. Bei solchen Ereignissen hat die Polizei vorher gewarnt, aber die Stadt war die alleinige Entscheidungsbehörde. Müsste man das revidieren, brauchen Sie da als Polizei mehr Kompetenz?

    Wenner: Ja, es wäre vielleicht leichter. Aber in einer Situation, wo der Druck dann auch von oben möglicherweise kommt, muss das nicht letztlich helfen. Wenn die Polizei auch heute überhört werden kann, so ist es doch so, dass der jeweilige Polizeipräsident sich hörbar machen kann. Beispielsweise durch einen offenen Brief oder eine Pressekonferenz. Wenn die Polizei den Eindruck hat, das geht gar nicht und hier wird mit dem Leben von Menschen gespielt, dann würde ich mich als Polizeipräsident auch verpflichtet fühlen, in einer Pressekonferenz zu sagen, warum das so ist und weshalb ich vor der Veranstaltung warne und dass sie nicht mit meinem Segen stattfindet. Dann müssen die Leute selber sehen, was sie dann davon halten und ob sie kommen oder nicht.

    Zurheide: Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch. Thomas Wenner war das, der vielleicht zum Schluss einen Schlüssel auch zur Erklärung geliefert hat um 8:20 Uhr. Herr Wenner, herzlichen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören!

    Wenner: Bitteschön!