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Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD)
"Zwei Klatschen, die uns schmerzen"

Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel warnt vor "vorschnellen Antworten" auf die Frage, warum seine Partei bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt so hohe Verluste erlitten hat. Im Hinblick auf das Erstarken der AfD sagte er im DLF, die SPD müsse sich wieder mehr um den gesellschaftlichen Zusammenhalt bemühen.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Sandra Schulz | 14.03.2016
    Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel im hessischen Landtag
    Thorsten Schäfer-Gümbel meint, die SPD müsse sich wieder mehr um den gesellschaftlichen Zusammenhalt bemühen. (picture alliance / dpa / Alexander Heinl)
    "Der Anspruch, dass niemand gegeneinander ausgespielt wird", müsse in der Gesamtpolitik wieder deutlicher werden, betonte Schäfer-Gümbel. Vor allem die SPD müsse diesen Aspekt in Zukunft stärker akzentuieren. Denn die Auseindersetzung mit den Rechtspopulisten werde auch im Vorfeld der Bundestagswahl im kommenden Jahr eine wichtige Rolle spielen.
    Die Verluste der SPD in Baden-Württemberg erklärte Schäfer-Gümbel damit, dass es schwierig gewesen sei, sich als kleiner Partner in der grün-roten Koalition Gehör zu verschaffen. Dagegen habe Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz einen fulminaten Wahlsieg eingefahren.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Die Analyse der Landtagswahlen, die wird uns sehr wahrscheinlich noch länger beschäftigen. Besonders widersprüchlich sind die Ergebnisse bei den Sozialdemokraten. In Rheinland-Pfalz bleiben sie mit Malu Dreyer stärkste Kraft, in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt dagegen brechen sie ein, verlieren zweistellig und landen in Sachsen-Anhalt bei einem Ergebnis von nur noch knapp über zehn Prozent. Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD und SPD-Chef in Hessen. Guten Morgen.
    Thorsten Schäfer-Gümbel: Einen schönen guten Morgen.
    Schulz: Ist die SPD überhaupt noch eine Volkspartei?
    Schäfer-Gümbel: Ja natürlich. Volksparteien machen sich ja danach fest, ob sie auf der einen Seite Klientelparteien sind - das sind wir nun ausdrücklich nicht -, oder ob sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt sehen. Das ist der wesentliche Charakter von Volksparteien und den wird uns auch niemand ernsthaft absprechen, völlig unabhängig davon, dass wir gestern zwei Klatschen bekommen haben in Sachsen-Anhalt insbesondere, aber auch in Baden-Württemberg, die uns schmerzen.
    Schulz: Wer ist denn verantwortlich für diese Klatschen, wie Sie sagen?
    Schäfer-Gümbel: Na ja, ich glaube, dass da sehr unterschiedliche Sachen zusammenkommen, und Sie haben ja eben selbst schon gesagt, vorschnelle Antworten gestern Abend und heute sind sicherlich unangemessen. Wir wissen beispielsweise in Baden-Württemberg, dass es unendlich schwierig war, in der Auseinandersetzung, einer historisch einmaligen Situation, dass es einen grünen Ministerpräsidenten gibt, der in Konkurrenz zum CDU-Herausforderer steht, dass es unendlich schwierig war, als kleinerer Koalitionspartner dort überhaupt Gehör sich zu verschaffen. Das kennen andere Parteien normalerweise umgekehrt. Jetzt haben wir es in Baden-Württemberg erlebt.
    In Sachsen-Anhalt ist die Situation, glaube ich, noch viel, viel komplizierter. Da können wir uns noch keinen richtigen Reim drauf machen, auch nach der Regierungszeit. Das wird man sich wirklich in aller Ruhe anschauen.
    Und Sie haben es auch gesagt: Auf der anderen Seite das wirklich fulminante Ergebnis von Malu Dreyer, wo wir noch vor acht Wochen zehn Prozentpunkte hinter der Union lagen und wir jetzt im Kern das Ergebnis völlig umgekehrt haben. Es ist wirklich ein Wechselbad der Gefühle für uns. Es ist aber vor allem auch ein Ergebnis, das die Demokratie fordert, weil mit dem Erstarken der Rechtspopulisten werden wir uns intensiver mit der AfD beschäftigen müssen.
    "Die Rheinland-Pfälzer haben sich riesig gefreut"
    Schulz: Sie haben die Frage nach der Verantwortung jetzt offen gelassen (kann ich nach dem Wahlausgang auch verstehen). Aber umgekehrt, wenn wir auf Malu Dreyer schauen. Da habe ich gestern ganz genau zugehört. In ihrer Dankesrede, in ihrer Reaktion, da ist komischerweise der Name Sigmar Gabriel gar nicht gefallen. Hat das was zu bedeuten?
    Schäfer-Gümbel: Ich glaube, dass Sie da etwas überinterpretieren. Als ich beispielsweise vor zwei Jahren ein gutes Wahlergebnis in Hessen geholt habe, in dem Moment, wenn Sie nach vorne gehen, dann sind Sie ein Stück weit in dem Ergebnis gefangen in der eigenen Situation. Da würde ich nie zu viel reininterpretieren. Das ist einfach ein super Erfolg gewesen. Die Rheinland-Pfälzer haben sich riesig gefreut. Die haben unendlich geackert dafür, dass sie zu diesem Wahlergebnis gekommen sind.
    Die Partei hat da unendlich viel auch zusammen gemacht. Das hat man auch im gesamten Wahlkampf gespürt. Das ist wirklich ein großartiges Ergebnis für die gewesen. Und ehrlich gesagt, bei uns hat gestern kein Mensch über die Frage nachgedacht, wer ist jetzt an der einen Stelle verantwortlich, an der anderen Stelle verantwortlich, muss der Name noch erwähnt werden oder der Name, sondern die haben sich einfach gefreut, nachdem sie runtergeschrieben wurden ohne Ende, dass sie am Ende ein fulminantes Wahlergebnis erzielt haben. Und genauso bitter ist es dann in den anderen beiden Ländern, wo genau das Gegenteil passiert ist, und wir werden ganz sicherlich in Ruhe darüber reden, was geht. Einen Punkt hat allerdings Sigmar Gabriel auch gestern gemeinsam mit der gesamten Parteispitze schon deutlich gemacht: Die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts, des Anspruchs, dass niemand gegeneinander ausgespielt wird.
    Das muss deutlicher werden in der Gesamtpolitik. Es muss deutlicher werden vor allem auch in unserer Politik. Das wird sich auch in Initiativen in dieser Bundesregierung niederschlagen und es wird sicherlich ein zentrales Thema auch bei der Bundestagswahl 2017 werden. Da ist eine wichtige Konsequenz aus dem, was da gestern passiert ist.
    "Akzentuierung im Wahlkampf normal"
    Schulz: Ich würde gerne dort einhaken, weil gerade an dem Punkt manch einer auch ein widersprüchliches Verhalten von Sigmar Gabriel beobachtet hat. Es hat ja diesen Vorstoß gegeben jetzt relativ kurz vor der Wahl für ein Sozialprojekt oder Solidaritätsprojekt, so hat er es genannt. Er hat gesagt, es dürfe nicht das Gefühl entstehen, für die Flüchtlinge gebt ihr alles und für uns gebt ihr gar nichts. Da gab es die Kritik, dass gerade dieser Vorstoß natürlich die Situation der AfD auch noch mal unterstützt hat, weil in dem Moment "endlich mal" ein SPD-Politiker gesagt hat, was die Menschen schon längst gedacht haben.
    Schäfer-Gümbel: Ich glaube ja nicht, dass die AfD dadurch stark wird, dass man Dinge, die einem in Veranstaltungen ständig entgegengehalten werden, und es wird einem ständig entgegengehalten, dass man dadurch die AfD stark macht. Stark würde man sie machen, wenn man diesen Punkt ignoriert. Und sicherlich ist für die Sozialdemokratie das ein Thema, das wir stärker akzentuieren müssen, und deswegen fand ich es richtig, dass dieser Punkt aufgerufen wird.
    Und wenn Sie sich die Landesverbände anschauen, NRW beispielsweise oder auch die Kampagne von Malu Dreyer, die auf Verantwortung und Vertrauen gesetzt hat, oder aber auch die meines eigenen Landesverbandes, wo schon im Slogan "Das Land zusammenhalten" die zentrale Botschaft ist, eine stärkere auch Akzentuierung von Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, ich glaube, dass wir da ein bisschen Nachholbedarf haben, vielleicht auch ein bisschen einen stärkeren Nachholbedarf haben, das zu akzentuieren, und Sigmar Gabriel hat das in diesem Wahlkampf gemacht. Und ich will das auch mal sagen: Wahlkämpfe sind auch dazu da, die Unterschiedlichkeiten deutlich zu machen.
    Von daher den Vorwurf dann, dass man im Wahlkampf akzentuiert, den finde ich immer besonders skurril, weil genau dafür sind Wahlkämpfe da, die Unterschiede deutlich zu machen, um was es geht. Es muss nur anschließend auch in der konkreten Politik folgen und da werden wir sicherlich nachlegen. Das wird eines der Themen sein für die Parteispitze in Berlin in den nächsten Wochen.
    Schulz: Da hat Sigmar Gabriel noch mal Glück gehabt, dass Malu Dreyer so gut abgeschnitten hat?
    Schäfer-Gümbel: Wie gesagt, gestern war nicht SPD-Bundesparteitag mit Abstimmungen über den Parteivorsitzenden, sondern wir haben gestern drei Landtagswahlen mit nationaler Bedeutung gehabt, wo wir wirklich alle auch mit versucht haben zu helfen, so gut es geht. Wir sind alles andere als glücklich mit dem Ergebnis in Baden-Württemberg und schon gar nicht in Sachsen-Anhalt, insbesondere auch mit Blick auf den starken Abschnitt der AfD. Aber wir lassen uns trotzdem nicht nehmen, erstens uns über Rheinland-Pfalz zu freuen und das zu tun, was jetzt notwendig ist. Man kann nicht zur Tagesordnung übergehen nach so einem Ergebnis. Wir werden die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts stärker akzentuieren. Das haben wir gestern angekündigt, das hat auch Sigmar Gabriel gestern angekündigt, und ich hoffe, dass alle den Schlag von gestern verstanden haben. Da bin ich mit Blick auf die Reaktionen aus der badischen Staatskanzlei allerdings nicht sicher.
    Schulz: Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD und SPD-Chef in Hessen und heute hier bei uns in den "Informationen am Morgen". Danke Ihnen.
    Schäfer-Gümbel: Herzlichen Dank. Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.