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Three Chord Society
Einfach mal lossegeln

Die Hamburger Band Three Chord Society kann mehr als nur drei Akkorde spielen: frischen, melodiösen, energetischen Punkrock, der auch mal mit andere Stilen kokettiert. Sänger Ben Braun und Gitarrist Manuel Endtricht erzählen, wie nach längerer krankheitsbedingter Auszeit das neue Album "Anchors aweigh" entstanden ist.

Ben Braun und Manuel Endtricht im Gespräch mit Anja Buchmann | 04.07.2015
    Ein Segelschiff kreuzt zwischen den Felsinseln vor der Altstadt von Saint-Malo, aufgenommen am 04.09.2013. Foto: Thomas Muncke
    "Einfach mal lossegeln, um zu schauen, was da noch so wartet" - eine Message des neuen Albums "Anchors aweigh". ( picture alliance / Thomas Muncke)
    Anja Buchmann: Darf man fragen, warum genau Ihre Band in den letzten Jahren pausiert hat - ein Bandmitglied war ernsthaft erkrankt?
    Ben Braun: Fragen können Sie da natürlich, ich bleib da trotzdem ein bisschen nebulös. Es ist schon so, wie es kolportiert wurde, dass wir aus krankheitsbedingten Gründen uns entschieden haben, eine Pause zu machen. Weil einer von uns krank geworden ist, auch so sehr krank, dass es ums Überleben und Gesundwerden ging und die ganzen Sachen, die damit verbunden sind. Deshalb haben wir uns überlegt, wir machen ja alle zusammen Musik und es bringt ja nichts, dass wir jemanden, der gerade nicht kann, dann rauswerfen und sagen: Wir machen das alleine. Und wir machen das ja schon einige Jahre und dann ist es auch so, dass sich da Freundschaften entwickeln. Und dann haben wir gesagt, dass es wichtiger ist, dass es den Menschen in dieser Band, dass es denen gut geht. Weil, wenn es denen nicht gut geht, dann funktioniert das auch nicht.
    Buchmann: Unabhängig davon, wer jetzt derjenige war, der erkrankt ist: Was war das für Sie als Band und als Einzelpersonen für eine Erfahrung? Hat Sie das auch persönlich geprägt, was sich dann letztlich auch auf der Musik des neuen Albums niederschlägt?
    Manuel Endtricht: Ja klar, definitiv. Es hat einem noch mal gezeigt: Man hat nur dieses eine Leben und sollte das auch ausnutzen. Gerade wenn jemand, der einem so nahe steht, erkrankt und man den Ausgang nicht ganz genau weiß, ist das eine krasse Erfahrung und das schlägt sich natürlich auch in der Musik nieder. Es war ja auch zu der Zeit, als die Krankheit schon da war, daraus ist auch der Text und der Song zu "The Brink" entstanden, der allerdings auf dem alten Album ist. Und ich denke, dass man beim neuen Album noch mal mit einer anderen Sichtweise heran gegangen ist, wie man Songs schreibt, wie sie klingen sollen. Dass man offener ist und sich nicht von vornherein so einschränkt, sondern sagt: Wir bauen jetzt dieses Album zusammen und es soll so klingen, wie es klingen wird. Und wir sagen nicht von vornherein: Es soll so und so klingen, nach Punkrock, nach Rock oder die und die Elemente müssen drin sein. Wir haben einfach geguckt: Was sprudelt da gerade aus uns raus und das dann so aufgenommen.
    Buchmann: Also den eigenen Intuitionen etwas mehr vertrauen.
    Manuel Endtricht: Ja, genau.
    Buchmann: Und vielleicht auch ein bisschen mehr. Ich will jetzt nicht unterstellen, dass die letzten Alben keine Sorgfalt erfahren haben. Aber vielleicht noch mehr Sorgfalt, weil es besonders gut werden sollte und ein Zeichen: Jetzt sind wir als Band wieder zusammen?
    Ben Braun: Das definitiv. Es ist auch so, dass ein Aufnahmeprozess, das Schreiben und anschließende Aufnehmen von Songs, das ist ein sehr anstrengender kreativer Prozess. Das war bei diesem Album auch so, aber ich glaube gerade vor dem Hintergrund, dass man sich bewusst entschieden hat, okay, jetzt geht das alles wieder – nebenbei gesagt: Die Krankheit ist auch überwunden und dem Mann geht es wieder gut soweit, das ist auch schön, sonst würden wir auch nicht einfach so weiter machen. Aber dadurch, dass das wieder so ist, haben wir gesagt: Das soll man auch hören. Dass die letzten zwei Jahre nicht einfach waren, aber - und das ist die Grundmessage in vielen Songs auf dieser Platte - dass es immer Sinn macht trotzdem weiter zu machen, immer wieder weiter zu machen und das zu machen, was einen glücklich macht. Was nicht unbedingt Geld oder Erfolg oder sonst was sein muss, das ist ganz individuell. Und für uns als Band war es sehr wichtig, dieses Album so zu machen, dass wir auch sagen können: Wir sind mit dem Album mehr als zufrieden und das hört man auch.
    Altlasten hinter sich lassen
    Buchmann: "Anchors aweigh" heißt das Album und der Titelsong; Leinen los oder Anker los heißt das ja übersetzt - ist das einer von diesen Aufbruchssongs, wo das auch textlich beschreiben?
    Ben Braun: Genau, das ist der Titeltrack und deshalb auch ganz vorne auf dem Album zu finden, um gleich klar zu machen, worum es geht. Da geht es inhaltlich darum, dass man soviel Altlasten mit sich durch die Gegend schleppt, dass es manchmal mehr Sinn macht, die alle loszuwerden, die schlechten Sachen, die man meint als Erinnerung mit sich tragen zu müssen. Dass man die hinter sich lassen kann, verbrennen kann und einfach mal lossegeln, um zu schauen, was da noch so wartet.
    Buchmann: "The whitest lie" ist mir auch deshalb aufgefallen, weil es zumindest mit Akustik-Gitarren beginnt und überhaupt in den Gitarren einen leichten Country-Appeal hat. War das gewollt?
    Manuel Endtricht: Das war definitiv gewollt. Und das ist ein gutes Beispiel für das, was ich vorhin gesagt habe: Dass wir uns nicht an irgendwelche...Regeln kann man es ja nicht nennen...aber nicht das klassische Alle-Songs-müssen-nach Punkrock-klingen-Album geschrieben haben. Und die Idee kam, glaub ich, von Müller und der hat das vor sich her geklimpert..
    Buchmann: Wer ist Müller?
    Manuel Endtricht: Der andere Gitarrist. Muss man vielleicht auch erwähnen. Von daher ist so der Song entstanden und alle waren davon begeistert.
    Buchmann: Worum geht's da? The whitest lie?
    Ben Braun: Da geht es um die Sachen, die einem wichtig sind und dass einem die manchmal nicht wichtig sein können, weil man immer andere Dinge machen muss. Zum Beispiel Geld verdienen, Karriere machen oder Sache, die einem aufgedrückt werden von der Gesellschaft: Das ist wichtig, wenn Du ein glücklicher und erfolgreicher Mensch werden willst, musst du Ziele haben. Und diese Ziele werden definiert durch kapitalistische Kriterien zum Beispiel - da gibt es natürlich Deutungsmöglichkeiten innerhalb des Songs. "The whitest lie" heißt ja frei übersetzt: Die harmlose Lüge.
    Buchmann: Im Sinne von Selbstbetrug?
    Ben Braun: Ja, im Sinne von Selbstbetrug ein bisschen. Dass man sagt: Mein Leben ist zwar nicht schön, weil ich nicht das erreicht habe, was ich erreichen wollte, aber ich kann trotzdem so tun, als wäre es super. Da ist ja schon auch 'ne Kampfansage, dass es nicht sein kann, dass sich Leute jeden Tag abbuckeln sozusagen und trotzdem nicht wertgeschätzt werden und wenn jemand ein dickes Auto hat ist der halt jemand – egal, was der sonst geleistet hat.Es beschreibt eigentlich einen Moment, in dem man am Tresen oder sonst wo sitzt und über so was nachdenkt. Und sich sagt: Auch wenn ich viel weniger habe als andere Menschen, das ist mir jetzt egal. Ich finde das trotzdem gut. Ich mach was draus.
    Manchmal muss man Dinge machen, die man nicht gut findet
    Buchmann: Das was Sie gerade als "Kampfansage" bezeichnet haben, das sieht man auch im Video dazu.
    Ben Braun: Genau, ein bisschen...
    Buchmann: Das Video, muss ich dazu sagen, das sehen ja die Radiohörer gerade nicht vor sich, wurde gedreht in einem Boxring. "Die Ritze" heißt der im Hamburger Kiez, und dort steigen Sie alle in den Ring und lassen sich verkloppen beziehungsweise setzen sich auch zur Wehr. Wie ist die Idee entstanden? Die Perspektive, das noch dazu gesagt, ist quasi aus der Sicht des Gegners.
    Ben Braun: Ja, zum einen ist das so schon mal richtig. Das ist die Handlung. Und die Idee - wir waren in einer Situation, in der man auch als relativ kleine Band mit kleiner Produktion dahinter, also, die Leute, die dahinter stecken, Label und so weiter. Da ist man natürlich auch etwas beschränkt, in den Sachen, die man machen kann. Dann haben wir überlegt, was kann man denn machen mit diesem Video und dann habe ich noch mal gesagt: Es geht ja darum, dass man manchmal Dinge machen muss, die man nicht gut findet.
    Buchmann: Da muss man sich dann quasi durchboxen.
    Ben Braun: Einerseits durchboxen und um das umgangssprachlich zu sagen: Wenn das so ist, dass das Leben einem auf die Fresse haut, dann muss ich da auch durch.