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Throm (CDU) über Flüchtlingsdeal
"Wir stellen der Türkei keinen Blankoscheck aus"

Bei der Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen von den griechischen Inseln dürfe es keinen deutschen Alleingang geben, sagte CDU-Politiker Alexander Throm im Dlf. Mit der Türkei müsse man nun verhandeln, auch wenn sie Flüchtlinge als Druckmittel einsetze.

Alexander Throm im Gespräch mit Stephanie Rohde | 07.03.2020
Alexander Throm (CDU), Bundestagsabgeordneter
Alexander Throm (CDU) ist Bundestagsabgeordneter und Berichterstatter für Rückführung und Rückkehrförderung, Integration sowie Aufenthalt und humanitäre Aufnahme (dpa / picture alliance / Fabian Sommer)
Tausende Menschen harren an der türkisch-griechischen Grenze und auf den griechischen Inseln aus. Die Außenminister der EU haben bei einem Treffen in Zagreb die Öffnung der türkischen Grenze verurteilt. Die Flüchtlinge würden so für "politische Zwecke" missbraucht. Der türkische Präsident Erdogan wiederum fordert von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Regelungen zur Migration zu überarbeiten.
Unterdessen diskutiert man in Deutschland weiter darüber, ob 5.000 schutzbedürftige Minderjährige aus Griechenland aufgenommen werden sollen. Inenminister Horst Seehofer hatte sich dafür offen gezeigt. Der Bundestag hat das jedoch bisher abgelehnt. Nun wird weiter nach einer europäischen Lösung gesucht - ein Thema, das auch den Koalitionsausschuss beschäftigen wird. Alexander Throm (CDU), Bundestagsabgeordneter und Berichterstatter für Rückführung und Rückkehrförderung, Integration sowie Aufenthalt und humanitäre Aufnahme, ist zuversichtlich, dass die Koalition sich auf das Ziel einer europäischen Lösung einigen kann. Dafür müssten nicht alle Mitgliedsstaaten der EU, sondern nur eine substanziellen Zahl von europäischen Staaten sich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Einen deutschen Alleingang lehnt er ab.
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Stephanie Rohde: Warum sind Sie gegen die humanitäre Aufnahme von Minderjährigen?
Alexander Throm: Wir sind überhaupt nicht dagegen, Minderjährige aufzunehmen. Wir arbeiten da an einem konkreten Konzept. Wir sind nur dagegen, hier einen deutschen Alleingang zu machen. Das wäre ein verheerendes Signal in die Welt hinaus. Das wäre aber auch ein schlechtes Signal in die Europäische Union hinein, dass Deutschland jetzt hier einen Alleingang macht und Probleme alleine löst, ohne die anderen europäischen Staaten mit einzubinden. Wir haben eine wichtige Verhandlung zum gemeinsamen europäischen Asylsystem, und die dürfen wir dadurch nicht konterkarieren.
Rohde: Die Grünen haben einen Antrag gestellt im Bundestag. Sie haben dagegen gestimmt. Die Grünen sagen jetzt, das sei gar kein deutscher Alleingang, sondern Gebot der Humanität. Können Sie als Christdemokrat mit Humanität nichts anfangen?
Throm: Ich habe ja gerade gesagt, dass wir eine humanitäre Lösung suchen auf europäischer Ebene. Wir müssen mit anderen europäischen Staaten gemeinsam hier handeln, weil wir ansonsten andere Bemühungen, langfristige Bemühungen um ein gemeinsames europäisches Verteilsystem konterkarieren und beschädigen.
"Grünen wollten einen deutschen Alleingang"
Rohde: Ja, aber diese Lösung gibt es seit fünf Jahren nicht. Warum soll die jetzt auf einmal kommen?
Throm: Das ist ja genau das Problem, dass es sie seit langer Zeit nicht gibt, und die bisherige Lösung Dublin gescheitert ist. Wir können nicht immer wieder Einzelfallentscheidungen herbeiführen. Genau das, was die Grünen wollten, nämlich einen deutschen Alleingang, das war explizit so in dem Antrag formuliert, würde langfristige Bemühungen, die weit darüber hinausreichen, beschädigen.
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Rohde: Na ja, aber man könnte Menschen akut jetzt helfen, und es gibt ja viele Städte und Kommunen, und 120 genau, die bereit sind, Menschen aufzunehmen. Warum kann man da nicht aktuell helfen?
Throm: Noch mal: Wir werden helfen, wir sind bemüht, sind hier auch in konkreten Verhandlungen mit anderen europäischen Staaten, und auch das habe ich diese Woche im Bundestag gesagt, wir müssen nicht warten, bis der letzte Staat in der Europäischen Union sich hier bereiterklärt, aber es muss schon eine substanzielle Größe europäischer Staaten sein.
Was die Kommunen anbelangt, so ist es ein tolles Zeichen der Hilfsbereitschaft, die in Deutschland seit vielen Jahren besteht, aber nicht die Kommunen können in Deutschland entscheiden, ob und wer als Migrant, als Flüchtling nach Deutschland einreisen kann. Das ist eine nationale Aufgabe der Steuerung dieser Migrationsströme. Deswegen müssen wir dies auch auf Ebene der Bundesregierung lösen.
"Zuständigkeit liegt beim Bund"
Rohde: Na ja, aber die Bundesländer könnten ja auch Geflüchtete aufnehmen. Das hat gestern ein Rechtsgutachten belegt, dass im Grundgesetz die Eigenstaatlichkeit der Bundesländer verankert ist. Da könnte man doch einfach sagen, die können jetzt handeln.
Throm: Nein, das ist auch nach unserem Grundgesetz so nicht der Fall. Das Grundgesetz sagt eindeutig, die Zuständigkeit, und zwar die alleinige Zuständigkeit, für die Steuerung und Ordnung der Zuwanderung, der Migration, auch des Flüchtlingsschutzes liegt beim Bund, und wenn die Bundesländer entsprechende Programme auflegen wollen, so brauchen sie hierfür die Zustimmung der Bundesregierung. Auch dies ist eindeutig geregelt.
Rohde: Lassen Sie uns kurz auf die CDU-Position schauen. Ihr Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt, der fordert, dass auch Deutschland jetzt geflüchteten Kindern hilft und diese aufnimmt. Was ist denn jetzt die Position der CDU? Direkt für die Aufnahme oder erst mal gegen die Aufnahme?
Throm: Nein, die ganz klare Position der CDU ist, dass die Situation in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln nicht hinnehmbar ist. Wir wollen hier helfen, wir haben auch in der Vergangenheit schon geholfen durch zusätzliches Personal, durch entsprechende sachliche Ausstattung, aber klar ist, wir wollen und werden keinen deutschen Alleingang machen, weil wir hier übergeordnete Interessen bei den Verhandlungen innerhalb der Europäischen Union für gefährdet sehen.
Wir wollen mit einer substanziellen Zahl europäischer Staaten eine gemeinsame Lösung schaffen. Das ist auch Sinn und Zweck und Inhalt der Europäischen Union, hier auch eine gemeinsame Haltung in solchen Fragen hinzubekommen.
Deutscher Alleingang wäre falsches Signal
Rohde: Ja, und was für ein Signal sendet das, wenn die EU auch nach fünf Jahren noch immer keine gemeinsame Haltung hat?
Throm: Anders herum: Was für ein Signal würde es senden, wenn Deutschland hier einen Alleingang machen würde und damit signalisieren würde, wir lösen die Probleme alleine, egal, ob andere europäische Staaten mitmachen. Genau das wäre das falsche Signal, und genau darum geht es, dass wir hier eine gemeinsame Lösung brauchen.
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Rohde: Aber es ist ja seit vielen Jahren klar, dass viele Staaten nicht mitmachen werden. Also könnte Deutschland doch sagen, wir gehen mit gutem Beispiel voran.
Throm: Deutschland ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Wir haben in den letzten Jahren die meisten Flüchtlinge und Migranten hier in Deutschland aufgenommen. Wir haben wirklich eine große humanitäre Leistung gezeigt.
Wir werden auch weiterhin bereit sein, hier unseren Anteil zu tragen, aber gerade weil es seit Jahren dieses Problem gibt – das bestreite ich ja gar nicht –, alle sind sich einig, dass das bisherige System Dublin innerhalb der Europäischen Union nicht mehr tragfähig ist, gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass wir auch in dieser Situation jetzt bei allen Schwierigkeiten, die wir haben, standhaft bleiben und dass wir auf eine europäische Lösung drängen. Das gehört auch zum Verantwortungsbewusstsein in der Politik.
Gemeinsame Position in Koalition zu erwarten
Rohde: Aber wie handlungsfähig ist die EU denn, wenn sie nach fünf Jahren noch immer diskutieren muss, ob man ein paar tausend Menschen aufnimmt?
Throm: Genau darum geht es. Ich kann das nur nochmals wiederholen. Wir müssen diese Handlungsfähigkeit wiederherstellen, aber die stellen wir nicht dadurch her, dass Deutschland alleine vorangeht, sondern die stellen wir nur dadurch her, dass wir auch in einer solchen Situation, auch in einer solch zugespitzten Situation, hier auf eine europäische Lösung, zumindest von einer substanziellen Zahl von europäischen Staaten, drängen.
Rohde: Und Sie glauben, dass das im Koalitionsausschuss morgen auch so beschlossen wird.
Throm: Davon gehe ich aus, ja. Das ist die Haltung der Bundesregierung, des Bundesinnenministeriums und, so habe ich es verstanden, auch die Position der SPD, wie sie sie am vergangenen Mittwoch im Bundestag bei der entsprechenden Debatte vorgetragen hat.
Rohde: Es wird ja immer wieder darüber gesprochen, wie man Flüchtlingen vor Ort helfen kann. Jetzt sagt der EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn, dass die Hilfszahlungen für Flüchtlinge in der Türkei sinken werden, weil viele Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser schon gebaut wurden und der Bedarf kleiner geworden ist. Wie wollen Sie der Türkei vermitteln, dass man der jetzt doch weniger Geld geben möchte?
Throm: Es ist ja zunächst mal eine ganz andere Situation, nämlich die Situation an der türkisch-griechischen Grenze beziehungsweise der Flüchtlinge in der Türkei im Gegensatz zu dem, was wir gerade diskutiert haben, auf den griechischen Inseln. Wir müssen in dieser Situation mit der Türkei, mit Erdogan verhandeln, Gespräche führen. Dazu sind wir offen und bereit.
Allerdings ist auch klar, wir können nicht alle Forderungen, die von der Türkei gestellt werden, wo auch die Flüchtlinge und Migranten, die seit vielen Jahren sich schon in der Türkei in Sicherheit befinden, quasi als Druckmittel genutzt werden, um hier Druck auf die Europäische Union auszuüben.
"Signale in beide Richtungen"
Rohde: Aber das ist doch ein unklares Signal. Man hat der Türkei mehr Geld in Aussicht gestellt für die Flüchtlinge in der Türkei, und jetzt sagt man, ach, möglicherweise doch nicht.
Throm: Ja, genau, wenn man sich in Verhandlungen befindet, deswegen gibt es Signale in beide Richtungen, ist offen und bereit für Verhandlungen und Gespräche und für konkrete Hilfen bei den einzelnen Problemen in der Türkei, aber wir stellen quasi keinen Blankoscheck aus. Genau das ist die Situation, die momentan stattfindet. So wie ich das sehe, finden ja auch auf vielen Ebenen, Kanälen diese Gespräche, Verhandlungen statt.
Rohde: Und braucht die Türkei und die EU ein neues Flüchtlingsabkommen, so wie die Grünen-Chefin Annalena Baerbock das jetzt fordert?
Throm: Na ja, das hält sich ja sehr im Ungefähren, so nach dem Motto: Ich wünsch mir was. Das Problem ist ja, dass sich die Türkei an ein geltendes Flüchtlingsabkommen nicht hält. Das geltende Flüchtlingsabkommen, bei dem die Europäische Union alle ihre Verpflichtungen erfüllt hat, dieses wird von der Türkei nicht mehr eingehalten, sondern vertragswidrig die Flüchtlinge quasi auch an die Grenze verbracht. Deswegen ist es auch immer eine Frage von neuen Abkommen, wie zuverlässig ist mein Vertragspartner.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.