Donnerstag, 18. April 2024

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Thüringer SPD
"Große Skepsis" vor neuer GroKo

Die SPD scheint auf dem Weg in eine neue Große Koalition - auch gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen. So hatte der Thüringer Landesverband sich gegen die Neuauflage eines Bündnisses mit der Union ausgesprochen. Landesvorsitzende Heike Taubert sagte im Dlf, es gebe Alternativen für die SPD.

Heike Taubert im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 08.01.2018
    Thüringens Finanzministerin Heike Taubert von der SPD bei einer Pressekonferenz.
    Thüringens Finanzministerin Heike Taubert sieht in einer Minderheitsregierung eine Alternative zur Großen Koaltion (dpa-Zentralbild / Martin Schutt)
    Taubert sagte, man sei in Thüringen skeptisch, ob wichtige Themen in einer Großen Koalition angepackt werden könnten. Als wichtige Themen für eine mögliche künftige Koalition nannte Taubert die Solidarrente, Bildung und die Veränderung der Arbeitswelt.
    In der Vergangenheit habe man vor allem mit der CSU Probleme gehabt. "Worte haben da manchmal eine Halbwertszeit, die nicht befriedigend ist", so Taubert. Auch jetzt sehe sie mit Sorge, "was aus der Boygroup um Alexander Dobrindt verlautbart" werde.
    Taubert sieht Alternativen zur Großen Koalition: etwa eine Minderheitsregierung. Die SPD habe signalisiert, über die Duldung einer solchen Regierung nachzudenken.
    Mit Blick auf den von ihrer Partei angekündigten "Erneuerungsprozess" sagte Taubert, man müsse sich nicht nur "inhaltlich bearbeiten, sondern auch bei den Köpfen". "Wir brauchen eine Mischung aus erfahrenen Genossen und jungen". Auch ihr Landesverband sei im Umbruch. Taubert ist nur kommissarische Landesvorsitzende, seit Andreas Bausewein sein Amt im Dezember niedergelegt hatte.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Bis zum Ende der Woche wird stramm durchsondiert, Gemeinsamkeiten gefunden, Unterschiede vielleicht überwunden, ein gemeinsamer Kurs gesteckt, um vielleicht wieder gemeinsam zu regieren. Union und SPD sitzen in dieser Woche täglich in einer anderen Parteizentrale, um dort die Köpfe zusammenzustecken. Gestern ging es los im Willy-Brandt-Haus.
    Kommen die drei Parteien am Ende zu dem Schluss, dass sie Koalitionsverhandlungen aufnehmen wollen, dann muss diese Entscheidung wie gehört bei der SPD noch eine wichtige Hürde nehmen, nämlich den Parteitag am 21. Januar. Da werden die Delegierten entscheiden.
    Und schon vor den Sondierungen gab es aus der SPD Gegenwind von den Jusos, aber sogar von einem ganzen Landesverband. Die Thüringer SPD, die stellte sich auf einem Landesparteitag Mitte Dezember hinter einen Antrag der dortigen Jusos, der eine GroKo ablehnt. Kollektives Nein zur GroKo per Parteitagsbeschluss aus Thüringen – scheint also schwierig zu werden von dieser Seite. Fragen wir nach bei Heike Taubert, Thüringens Finanzministerin und kommissarische Landesvorsitzende der Thüringer SPD. Guten Morgen!
    Heike Taubert: Schönen guten Morgen!
    Büüsker: Frau Taubert, wieso diese Skepsis vor einer neuen GroKo?
    Taubert: Na ja. Entgegen dem, was Herr Detjen gesagt hat, kommen wir aus einer Koalition, die nicht immer so funktioniert hat, auch wenn man sich kennt, und ich habe selber als stellvertretende Ministerpräsidentin kennen gelernt im Bundesrat, wie das vor allen Dingen auch mit der CSU ist, dass die Worte, die in Berlin gegeben werden, eben dann doch eine Halbwertszeit haben, die nicht befriedigt. Deswegen haben wir große Skepsis, dass wir die für Deutschland tatsächlich wichtigen Themen in einer neuen Großen Koalition anpacken können.
    Büüsker: Aber hat die SPD denn überhaupt eine Alternative?
    Taubert: Ja, sicher! Die SPD hat schon eine Alternative. Wir haben ja gesagt, dass wir auch über eine Duldung einer Minderheitsregierung durchaus nachdenken können.
    Büüsker: Da hat die Union aber schon gesagt, dass sie das auf gar keinen Fall mitmachen wird.
    Taubert: Das mag ja sein, dass die Union das auf gar keinen Fall mitmachen wird. Aber die SPD muss sich ja für sich entscheiden, was ist für das Land gut, was ist für die Menschen gut und was kann man auch in so einer Koalition mit CDU/CSU überhaupt durchsetzen.
    Rente, Bildung, Arbeitsweltanpassung
    Büüsker: Also ist es ein Fehler, dass die Parteispitze jetzt erst mal ergebnisoffen sondiert?
    Taubert: Nein, das halte ich nicht für einen Fehler. Die SPD hatte, sage ich mal, auch signalisiert, dass wir zu Gesprächen bereit sind. Aber es muss eben auch Vernünftiges herauskommen, und ich sehe schon mit Sorge, was da aus der Boygroup um Herrn Dobrindt momentan so alles verlautbart wird. Das macht schon den Eindruck, als ob man nicht unbedingt eine Große Koalition noch im Bund haben möchte.
    Büüsker: Wenn Sie sagen, es muss etwas Vernünftiges dabei herauskommen, was wäre denn aus Ihrer Sicht ein vernünftiges Ergebnis?
    Taubert: Für uns ist zum Beispiel ganz wichtig – und ich denke, das ist für sehr, sehr viele Menschen im Lande wichtig –, dass wir eine armutsfeste Solidarrente auf den Weg bringen können. Wir haben ja gesehen, gerade der Osten hat schon sehr verschnupft reagiert, dass CDU/CSU die Rentenanpassung Ost-West so lange hinausgezögert hat. Oder auch das Thema Bildung ist ein wichtiges Thema und die Arbeitsweltveränderung. Ich sage mal, die kann man nicht mit einer Diskussion abräumen, wie es die CSU macht, die sich an den 68ern abarbeiten will.
    Büüsker: Sie haben jetzt die Rolle des Ostens auch kurz angesprochen. Nun habe ich gestern mit Interesse vernommen, dass Manuela Schwesig vor dem Auftakt der Sondierungen noch mal ein Statement zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags gemacht hat, nämlich dass sich auch die SPD dafür einsetzen möchte, den schrittweise abzuschaffen. Können Sie als thüringische SPD da mitgehen?
    Taubert: Für uns ist das schwierig. Wir haben immer gesagt, es geht nicht darum, den Solidaritätszuschlag in seiner jetzigen Form zu erhalten, weil das auch rechtlich schwer begründbar ist, sondern diese Finanzeinnahmen auch weiterhin für bestimmte Aufgaben, zum Beispiel für die Bildungsaufgaben zur Verfügung zu haben. Wenn man den Solidaritätszuschlag abschafft, dann muss man überlegen, was man dafür tut, denn die Herausforderungen, die sind gewaltig, und ich persönlich als Finanzministerin muss sagen, die Rede immer, dass so viel Geld jetzt mittlerweile durch Steuereinnahmen reinkommt, das verkennt einfach, dass wir natürlich auch über viele Jahre in großen Schwierigkeiten gelebt haben, wenn Sie an die Finanzkrise denken, und natürlich Nachholbedarf in Größenordnungen besteht.
    Veränderung auch bei den Köpfen
    Büüsker: Sind denn die Interessen der ostdeutschen Bundesländer bei diesen Sondierungen ausreichend vertreten?
    Taubert: Wir können jetzt für Thüringen nicht klagen. Carsten Schneider ist als Thüringer mit am Tisch und insofern bin ich mir schon auch sicher, dass er unsere Interessen vertritt.
    Büüsker: Schauen wir von den Sondierungen stärker auf die SPD. Nach der Wahl, da hieß es ja von Seiten der Parteispitze, wir müssen in einen Erneuerungsprozess gehen. Das scheint jetzt mit Blick auf die Beteiligung an den Sondierungen doch etwas, na ja, ich sage mal, auf der Strecke zu bleiben. Oder sehen Sie das anders? Ist die SPD in einem guten Erneuerungsprozess?
    Taubert: Ja. Ich denke schon, dass wir alle wissen, dass wir Erneuerung benötigen, dass wir mal unsere Standpunkte verändern müssen und auch ein Stück weit darauf schauen, was haben wir in den letzten Jahren gemacht, und dass wir natürlich auch unsere Partei nicht nur inhaltlich bearbeiten müssen, sondern natürlich auch bei den Köpfen ein Stück weit Veränderung benötigen. Ich selber bin in einem Kreisverband Kreisvorsitzende und ich weiß, wir brauchen eine gute Mischung von den erfahrenen Genossinnen und Genossen und auch jungen Genossinnen und Genossen. Nur das kann uns voranbringen, weil wir dann natürlich auch an den Themen sind, die die Bevölkerung bewegt.
    Büüsker: In welche Richtung thematisch muss sich denn die SPD bewegen aus Ihrer Sicht?
    Taubert: Wie gesagt, ich hatte es schon angesprochen. Arbeitsweltveränderung ist ganz, ganz wichtig.
    Büüsker: Was meinen Sie damit konkret?
    Taubert: Ja, ich sage mal, die Menschen sollen immer flexibler werden und kommen an ihre physischen Grenzen, und insofern müssen wir aufpassen, dass es möglich ist, Arbeit und Familie auch in Zukunft gut zusammenzuführen. Deswegen halte ich es auch für notwendig, dass wir bei der Teilzeit und der Pflicht oder der Möglichkeit der Rückkehr in die Vollzeit weiterkommen in der nächsten Runde in der Bundesregierung und damit natürlich auch Grundlagen dafür schaffen, dass Menschen beides gern tun, Familie und auch Arbeit verbinden.
    Erst mal bis Freitag abwarten
    Büüsker: Sie haben mit Blick auf die eigene Partei und deren Zukunft auch das Stichwort Köpfe genannt. Gibt es Köpfe, wo Sie sagen würden, die sollten ausgetauscht werden?
    Taubert: Da will ich mich heute nicht dazu äußern. Von Landesseite kann man da ganz gut quaken auf Bundesseite. Wir sind selber gerade in einem Umbruchprozess. Sie hatten ja gesagt, ich bin nur geschäftsführend im Amt als Vorsitzende. Wir sind auf der Suche auch bei uns in Thüringen, mit einem neuen Landesvorsitzenden oder einer neuen Landesvorsitzenden den Prozess der Erneuerung voranzutreiben und uns auf die Landtagswahl im Jahr 2019 vorzubereiten, und da gibt es bei uns genug zu tun.
    Büüsker: Okay. Wir halten fest: Die SPD hat viele Aufgaben. Sind Sie denn der Meinung, dass die Partei diesen Aufgaben gerecht werden kann, wenn sie sich in eine neue Große Koalition begibt?
    Taubert: Da sind wir wie gesagt skeptisch aus Thüringer Sicht heraus, wollen jetzt diese Sondierungsverhandlungen bis Freitag abwarten und dann an den Ergebnissen schauen, ob es tatsächlich möglich ist, in Koalitionsverhandlungen einzutreten.
    Büüsker: … sagt Heike Taubert, Landesvorsitzende der SPD in Thüringen. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Interview heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Taubert: Danke und guten Tag!
    Büüsker: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.