Freitag, 29. März 2024

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Suche nach Erlösung
"Gutes Gewissen durch schlechtes Gewissen“

Mit den Ostertagen geht die Fastenzeit zu Ende. Doch gefastet wird heute kaum noch aus religiösen Gründen. Der Überflussgesellschaft wird die Askese entgegengesetzt. Am Ende aber gehe es doch um Buße, sagte der Philosoph Marcus Steinweg im Dlf.

Marcus Steinweg im Gespräch mit Anja Reinhardt | 30.03.2018
    Friedrich Nietzsches Satz "Gott ist tot" und Tristan Tzaras Aussage "Die Kunst ist tot". Wir müssen uns in der Wüste der Freiheit zurechtfinden
    Friedrich Nietzsches Satz "Gott ist tot" und Tristan Tzaras Aussage "Die Kunst ist tot" (picture alliance / dpa / Ennio Leanza)
    "Kant hat uns metaphysische Tiere genannt, es sieht so aus, als seien wir nicht bereit, aufzuhören an irgendetwas zu glauben", sagt Marcus Steinweg. Wir seien nicht bereit, auf etwas Absolutes zu verzichten und das könne man auch in den nichtchristlichen Gesellschaften beobachten. Freiheit sei nach wie vor schwierig auszuhalten. Schon Nietzsche sagte: "Eher will der Mensch das Nichts wollen, als nicht wollen." Jean-Paul Sartre habe in seinen philosophischen Überlegungen hinzugefügt, dass wir verurteilt seien, die Freiheit auszuhalten. Also glaubten wir an Ersatzreligionen: "An die romantische Liebe, an die Kunst oder andere Absolutismen. In jedem Fall helfen Sie uns, die Glaubensgewissheit vom Tod Gottes zu überleben."
    Die Suche nach dem Absoluten
    "Das Schlimmste für jeden von uns wäre, wenn wir nicht mal mehr büßen müssen, für das, was wir getan haben und nicht bestraft werden würden." Extremsportler versuchten, sich am Absoluten zu messen. Stein hält solche Versuche für "Intensitätsprogramme", in denen es darum gehe, sich zu spüren. Solche Erfahrungen seien darauf ausgerichtet, sich als Subjekt im Verhältnis zum "Erhabenen", zum "Inkommensurablen", zum nicht Messbaren zu erfahren. Und zwar gerade deswegen, weil der Mensch sich als Subjekt im 19. und 20. Jahrhundert infolge der Psychoanalyse, der Evolutionstheorie und der Entfremdungstheorie verloren gegangen sei. Nun suche das Subjekt im Leeren Raum seinen Sinn.
    Selbstentlastungsprogramme durch Gewissensbefragung
    Die Idee der Intaktheit gelte für keinen von uns mehr, so Steinweg, und führt Heiner Müller an, für den Unschuld ein Phantasma war. Religion im problematischen Sinn sei der Glaube, man könne unschuldig durchs Leben gehen – oder es gäbe wenigstens ein Erlösungsversprechen. "Aber vielleicht müssen wir akzeptieren, dass Erlösung oder Freispruch keine Option in dieser Welt ist", so Steinweg. Ein gutes Gewissen durch ein schlechtes Gewissen zu ersetzen, sei eine beliebte Ideologie – und unglaublich bequem. "Das sind Selbstentlastungsprogramme, die da laufen", weil man eben nicht selbst verantwortlich sei.
    Kafka entdramatierst die löchrige Realität
    Franz Kafka und Robert Walser hätten mit der Möglichkeit einer zweiten Ebene, mit der Transzendenz radikal gebrochen. "Wir sind verstrickt, vernäht mit dem Realitätsstoff, den wir unsere Wirklichkeit nennen. Und dann werden wir geboren und müssen uns arrangieren mit den Verhältnissen, die wir nicht frei gewählt haben". Der Ausweg bei Kafka bedeute nicht Flucht vom Diesseits ins Jenseits, denn es sei ja alles schon hier – auch das Jenseits. Das Diesseits bei Kafka, die Wirklichkeit, habe Löcher, aber genau darin bestehe die Hoffnung. Kafka entdramatisiere die "Löcher" in der Wirklichkeit und die Risse in uns selbst. Erlösung gebe es nicht, Lösungen dagegen schon.