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Tibetischer Buddhismus
Konflikt um Shugden-Kult

Schon seit Jahrhunderten schwelt der Konflikt um die sogenannte Schutzgottheit Shugden im tibetischen Buddhismus. Der Dalai Lama rät von diesem Kult ab und gerät damit besonders bei den Shugden-Anhängern in Europa in die Kritik, die gegen ihn demonstrieren und ihn beschimpfen.

Von Ingrid Norbu | 02.10.2014
    Der Dalai Lama hält eine Rede
    Der Dalai Lama hält Shugden für einen "schädlichen Geist". (dpa / Sanjay Baid)
    "Beim Besuch verschiedener Länder treffe ich in den letzten sieben Jahren sehr häufig auf Demonstranten der Shugden-Anhänger. In England hat es angefangen, nun kommen sie auch nach Deutschland, Frankreich und Italien. Ich denke, diese Leute genießen ihre Reisen, die sie nicht selbst bezahlen müssen."
    Der Dalai Lama reagiert zunächst etwas scherzhaft auf einen Fragesteller, der ganz offensichtlich zu den Shugden-Anhängern gehörte. Wo auch immer der Dalai Lama in Europa zu Besuch ist, trifft er auf Demonstrationen von Shugden-Anhängern.
    Auch der Tibeter Jangchub Gyältsen ist ein Anhänger des vom Dalai Lama abgelehnten Kultes:
    "Wir skandieren zwei Forderungen an den Dalai Lama. Gib uns die Religionsfreiheit und hör auf zu lügen. Er hat gelogen, in dem er behauptet, dass unsere geistigen Lehrer dem falschen Glauben verfallen seien, und dass Shugden ein schädlicher Geist sei. Außerdem sei unser Glaube eine Irrlehre und wir keine Buddhisten; für uns sind dies alles Lügen. Deshalb fordern wir den Dalai Lama auf, nicht zu lügen."
    Keine Frage von Wahrheit oder Lüge
    Für Außenstehende ist das Bild rätselhaft. Historisch wird Shugden als die Wiederverkörperung eines Gelehrten im 17. Jahrhundert angesehen, der eine mit allen Mitteln geführte Auseinandersetzung um die reelle Herrschaft in der Gelbmützen-Schule gegen den V. Dalai Lama verlor und durch mysteriöse Umstände ums Leben kam. Seine Anhänger behaupteten seither, dass es sich bei Shugden, also der Wiederverkörperung dieses Gelehrten, nicht um einen Geist handle, der Schaden anrichte, sondern um eine Schutzgottheit. Der Tibetologe Jens-Uwe Hartmann erklärt, dass die Verehrung oder die Ablehnung von Shugden keine Frage von Wahrheit oder Lüge sein kann:
    "Grundsätzlich kann eine Schutzgottheit alles sein oder gar nichts. Es kommt darauf an, was die jeweiligen Anhänger daraus machen. Man kann Schutzgottheiten sehr gut instrumentalisieren, um andere Konflikte damit zum Ausdruck zu bringen. Shugden wird von seinen Anhängern als transzendente Erscheinung angesehen ... Es lässt sich nicht sagen, was eine solche Figur wirklich ist. Das entsteht in den Vorstellungen der jeweiligen Anhänger. Das ist wie bei uns, ob ich eine Gestalt für einen Heiligen halte oder nicht, liegt bei mir. Ich halte ihn für einen Heiligen, ein anderer mag das ganz anders sehen."
    Schon Buddha soll übernatürliche Wesen, die die Welt bevölkern, in den Dienst der Lehre gestellt haben. Die Verehrung von Schutzgottheiten, die den Menschen aber auch ebenso schaden können, sind in Tibet mit Elementen der vorbuddhistischen religiösen Vorstellungen verschmolzen. In der Gelugpa- oder Gelbmützenschule, der auch der Dalai Lama angehört, hat sich die Shugden-Verehrung in den letzten 100 Jahren weiter verbreitet, es kam jedoch immer wieder zu Konflikten, weil andere Schulen Shugden vehement ablehnen. Dazu der Dalai Lama:
    "Ich habe selbst aus Unwissenheit den Shugden Geist verehrt, denn mein jüngerer Lehrer war ein Anhänger von Shugden. Mein älterer Lehrer aber war strikt gegen diese Verehrung. Langsam bekam ich erhebliche Zweifel und wir haben das Phänomen, das es seit 400 Jahren im tibetischen Buddhismus gibt, gründlich untersucht. Dabei sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei Shugden um einen schädlichen Geist handelt. Ich habe damit aufgehört und auch andere fragen mich, was ich davon halte. Ich sage ihnen die Wahrheit und viele verehren deshalb Shugden nicht mehr länger."
    Dalai Lama hat sich von Shugden abgekehrt
    Das klingt nicht nach einem Verbot. Da der Dalai Lama jedoch nahezu unangefochtene Autorität unter den Tibetern genießt, kommt seine Abkehr von Shugden und der Rat, ebenso zu handeln, wenn er gefragt wird, aber quasi einem Verbot gleich. Dass der Dalai Lama Shugden zumindest für schädlich hält, hängt damit zusammen, dass die Anhänger von Shugden die Lehre des Gründers der Gelbmützen-Schule als die "reinste" Form des Buddhismus ansehen. In ihren Augen ist es verwerflich, dass auch die anderen Dalai Lamas Lehren von anderen Schulen des tibetischen Buddhismus angenommen haben und somit die "reine" Gelugpa-Lehre sozusagen verwässerten und die Dominanz der Gelugpa-Schule in der tibetischen Gesellschaft schwächten. Als religiöses Oberhaupt aller Tibeter will der jetzige Dalai Lama jedoch Harmonie zwischen den verschiedenen Schulen. Doch in den Kampfschriften der Shugden–Anhänger wird der jetzige 14. Dalai Lama auch persönlich angegriffen, indem man behauptet, dass er der Sohn muslimischer Eltern sei, der nach der Flucht aus Tibet seine wahre Herkunft verschleiern konnte. Kurz: Das er ein falscher Dalai Lama sei. Allerdings spielt es keine Rolle, welcher Religion die Eltern eines Dalai Lama angehören. Doch warum gehen so viele Shugden-Anhänger im Westen trotzdem auf die Straße?
    Professor Hartmann:
    "Das ist nicht leicht zu erklären. Meiner Beobachtung nach versuchen aber westliche Anhänger 150 Prozent Anhänger zu sein, oft noch tibetischer zu sein als die Tibeter selbst, und dann kopieren sie ihre Meister, ihre Lamas so gut sie es vermögen. Und sie sehen, dass die Lamas bestimmte Schutzgottheiten praktizieren, und dann beginnen sie dieselben Schutzgottheiten zu praktizieren und sie übernehmen damit die Konflikte, in denen sich die Lamas befinden, auch in ihre eigene Praxis, in ihre eigene Situation."
    Europäische Zentren der Shugden-Verehrung gab es zuerst in England, aber auch in Deutschland haben sich finanzkräftige Einrichtungen angesiedelt. Zentral ist im Buddhismus allgemein und im tantrischen Buddhismus besonders das Lehrer-Schüler-Verhältnis, das weit über das hinausgeht, was wir im säkularen Westen darunter verstehen. Ein Schüler, der sich einem Shugden-Lama anvertraut, und von diesem akzeptiert wird, legt, wenn er eine besondere Nähe zu seinem Lehrer anstrebt, sogar einen Eid ab, der ihn zu absoluter Treue und Gefolgschaft verpflichtet. Diese Verpflichtung ist bis zum Lebensende bindend.
    Professor Hartmann:
    "Ich habe oft beobachtet, dass sie dazu führt, dass man den neutralen Blick verliert und aufgrund der Distanzlosigkeit unbesehen das glaubt, was der jeweilige Lama vertritt. Das heißt, es gehen genau die westlichen Werte von Reflektion, Nachdenken, Überlegen, die gehen dabei verloren. So weit ich sehen kann, ist es unglaublich schwer, sogenannte Glaubensgewissheiten zu erschüttern. Das heißt, jemandem, der ein westlicher Anhänger, ein überzeugter Shugden-Praktizierender ist, den wird man kaum dazu bewegen können, diese Praxis aufzugeben, denn er wird sofort in den Konflikt kommen, der Überlieferung seiner Lamas untreu zu werden. Und aus diesem Dilemma herauszuhelfen, ist fast unmöglich. Die Gefahr, die ich dabei sehe, ist innerhalb derjenigen Anhänger im Westen, die überhaupt mit dem Shugden-Kult Konflikt in Berührung kommen, dass da irgendwann eine völlige Umkehr eintreten wird und sie sich vom tibetischen Buddhismus abwenden werden, weil sie den Konflikt nicht aushalten auf Dauer."
    Einer der beiden großen Konflikte im tibetischen Buddhismus
    Bei bestimmten tantrischen Riten, wie sie auch der Dalai Lama durchführt, werden Shugden-Anhänger von ihm aufgefordert, die Zeremonie zu verlassen, weil ihre Schutzgottheit, der sie sich verschrieben haben, mit anderen Schutzgottheiten in Konflikt geraten würde. Solche religiösen Animositäten haben in Tibet eine lange Tradition. Dabei geht es um handfeste Interessen. Der Tibetologe Jens-Uwe Hartmann hat in den in den letzten Jahrzehnten zwei große Konflikte im tibetischen Buddhismus beobachtet:
    "Der eine Konflikt war um die Wiederverkörperung des 16. Karmapa, der zu einer massiven Spaltung auch unter den westlichen Anhängern geführt hat, der andere ist der Shugden-Konflikt. Beide Konflikte, und das ist in meinen Augen die größte Problematik dabei, beide Konflikte haben ganz offensichtlich den chinesischen Machthabern in Tibet in die Hand gespielt, haben die Interessen der chinesischen Machthaber in Tibet bedient. Der Shugden-Konflikt sicher noch mehr als der Konflikt um den 17. Karmapa, weil im Zentrum des Shugden Konflikts der Dalai Lama steht, der erklärte Gegner der chinesischen Machthaber in Tibet."