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Tiefe Einschnitte in Portugal

Portugal muss seine Haushaltsziele für dieses Jahr einhalten, fordert die EU-Kommission. Premierminister Pedro Passos Coelho will deshalb endlich eine immer wieder verschobene Strukturreform umsetzen. Kritiker befürchten das Ende des portugiesischen Sozialstaats.

Von Tilo Wagner | 09.04.2013
    "Wir müssen alles tun, um ein zweites Rettungspaket zu verhindern."

    Premierminister Pedro Passos Coelho fand dramatische Worte für das Urteil des portugiesischen Verfassungsgerichts. Die Richter hatten entschieden, dass die angestrebten Gehaltskürzungen bei Rentnern und öffentlichen Angestellten im Vergleich zu der Belastung von Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft unverhältnismäßig groß und damit nicht verfassungskonform seien. Die Regierung lehnt neue Steuererhöhungen ab. Die fehlenden 1,2 Milliarden Euro will Passos Coelho nun einsammeln, indem er eine lang geplante Strukturreform schon in diesem Jahr umsetzt:

    "Uns bleibt nun nur ein Ausweg: Wir müssen den Staatsapparat reformieren und damit die öffentlichen Ausgaben senken. Um das Loch im Haushalt 2013 zu stopfen, das jetzt aufgerissen wurde, müssen wir tiefe Einschnitte vornehmen, vor allem in Bereichen wie der Sozialversicherung, dem Gesundheitssystem und der Bildung."

    Kritiker befürchten das Ende des portugiesischen Sozialstaates. Die Medizinstudentin Beatriz Días steht vor Lissabons größtem Krankenhaus Santa Maria und schüttelt den Kopf:

    "Um meinen zukünftigen Arbeitsplatz mache ich mir keine Sorgen, es geht mir viel mehr um die Patienten. Schon jetzt kann das Gesundheitssystem nicht mehr alle Patienten versorgen. Wir sind ja schon seit einigen Jahren in der Krise und das wird jetzt noch schlimmer. Es fehlen grundlegende Materialien. Und in der Onkologie können wir nicht mehr jedem Krebskranken garantieren, dass wir ihn behandeln können."

    Über die Staatsreform diskutiert Portugal seit mehreren Monaten. Im Auftrag der Regierung hatte die Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank einen Vorschlag vorgelegt, wie die Staatsausgaben jährlich um rund vier Milliarden Euro gesenkt werden können. Doch nach heftigem Widerstand von Berufsverbänden, Gewerkschaften und der Opposition hat Passos Coelho die Reform immer wieder verschoben. Wirtschaftsprofessor João César das Neves glaubt, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtes der Regierung jetzt sogar helfen könnte:

    "Die bisherigen Kürzungen waren immer kurzfristige Maßnahmen, die jedoch das Hauptproblem nicht gelöst haben. Jetzt schlägt die Regierung nachhaltige Veränderungen vor, und in diesem Sinne könnte das Nein des Verfassungsgerichtes sogar positive Folgen haben. Anstatt Gehaltskürzungen anzugehen, die sich leicht umsetzen lassen, muss die Regierung jetzt ans Eingemachte und sich gegen die mächtigen Interessensverbände durchsetzen, um das System zu erneuern. Glücklicherweise will die Regierung keine Steuern erhöhen, denn das wäre zum jetzigen Zeitpunkt fatal. Und wenn sie wirklich anfängt, an den richtigen Stellen zu kürzen, kann Portugal davon nur profitieren."

    Der Zeitpunkt für eine Kräfte aufreibende Staatsreform könnte jedoch ungünstiger nicht sein. Die gemäßigten Sozialisten – die größte Oppositionspartei im Parlament – haben mit der Regierung gebrochen und fordern Neuwahlen. Und Finanzminister Vítor Gaspar, der in Europa sehr geschätzt, in Portugal aber schwer unter Beschuss genommen wird, soll sogar seinen Rücktritt erwogen haben.

    Der Erfolg einer Staatsreform hängt aber auch von den Verfassungsrichtern ab. Falls auch das Reformprojekt von den Richtern auch abgelehnt würde, so Wirtschaftsfachmann Neves, drohe Portugal eine Staatskrise:

    "Dann wird es eventuell Ideen geben, die Verfassung kurzzeitig auszuhebeln, so wie es während des Militärputsches vor fast 40 Jahren geschehen ist. Muss es dazu kommen, frage ich? Ich hoffe nicht. Ich hoffe, die Richter begreifen, dass wir wirklich eine tiefgreifende Veränderung brauchen, damit wir endlich wieder frei leben können."