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Tiefe Hirnstimulation
Ein Draht im Gehirn könnte Süchtigen helfen

Die sogenannte tiefe Hirnstimulation ist eine etablierte Behandlungsmethode, um bei Parkinson die schlimmen motorischen Symptome zu unterdrücken. Ärzte untersuchen jetzt, ob sie auch hochgradig Drogen- oder Alkoholabhängigen dabei helfen kann, ihre Sucht in den Griff zu kriegen. Die Idee findet bei Betroffenen aber nicht allzu viel Anklang.

Von Anneke Meyer | 26.10.2016
    Eine Röntgenaufnahme zeigt den Verlauf von Elektroden im Schädel. (undatiertes Handout)
    Eine Röntgenaufnahme zeigt den Verlauf von Elektroden im Schädel. (picture alliance / dpa / Cleveland Clinic)
    "Hier gehen die Elektroden in den Kopf. Circa zwölf Zentimeter. Dann gehen hier so Drähte über den Kopf die gehen dann hier runter." Der Mann, nennen wir ihn Thomas, fährt sich mit dem Finger hinter den Ohren entlang. Er zeigt auf eine Stelle kurz über dem Schlüsselbein, wo es so aussieht als würde eine kräftige Ader hervortreten. "Hier sieht man das Kabel so ein bisschen."
    Wenn man es nicht weiß, käme man nicht auf die Idee, dass Stricknadel große Elektroden in seinem Kopf stecken. Nur der Stimulator ist etwas verräterisch. Er generiert elektrischen Pulse, die dem Hirn dort helfen, wo es seinen Rhythmus verloren hat. Thomas hebt sein T-Shirt hoch und deutet auf etwas, das so aussieht, als ob er ein Handy verschluckt hätte:
    "Das ist echt easy, das Teil da am Bauch. Sieht nur komisch aus am Anfang. Ich hab kein Gramm Fett gehabt und dann hat man da so 'ne Kiste am Bauch."
    Hirnstimulation durch implantierte Elektroden
    Dreißig Jahre war Thomas Heroin abhängig. Nach mehreren Entzügen und anschließenden Rückfällen hat er sich entschieden, eine ungewöhnliche Behandlung zu testen. Im Rahmen einer klinischen Studie probiert er aus, ob ihm tiefe Hirnstimulation dabei hilft, seine Sucht in den Griff zu kriegen.
    "Das war eigentlich mein Antrieb, dass ich immer gedacht habe: Das kann nicht alles sein. So Dumpf durchs Leben gehen und dauernd irgendwie Scheiße erleben und das tut man ja ... Nee, also ... Und das lässt sich jetzt ein bisschen einfacher an."
    Bei der tiefen Hirnstimulation sorgen die implantierten Elektroden dafür, die Aktivität von lahm gewordenen Neuronenschaltkreisen zu kompensieren. Je nachdem wo genau stimuliert wird, ist die Wirkung unterschiedlich. Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass nicht nur Parkinson, sondern auch psychische Erkrankungen, insbesondere Zwangsstörungen, so behandelt werden könnten. Die Idee, dass auch Süchtige profitieren könnten, entstand eigentlich aus einem Zufall, erklärt Jens Kuhn, Leiter der Studie, an der Thomas teilnimmt:
    "Wir haben bei einem Patienten, der wegen einer anderen psychiatrischen Erkrankung in dem Nucleus accumbens behandelt wurde, zufälligerweise festgestellt, dass er sein co-morbides Suchtverhalten auf einmal eingestellt hat. Zumindest modifiziert hat. Und das obwohl sich eben diese primär psychiatrische Erkrankung nicht gebessert hat. Und das ließ uns darüber nachdenken: 'Kann die tiefe Hirnstimulation Suchtverhalten beeinflussen?'"
    Bisher sind in Köln bei fünfzehn Patienten mit Heroin- oder Alkoholabhängigkeit Hirnstimulatoren zur Suchtunterdrückung eingesetzt worden. Weltweit sind es nicht mehr als Hundert, schätzt Jens Kuhn. Von den Patienten, die er selber betreut hat, ging es gut der Hälfte durch die Behandlung deutlich besser. Sie reduzierten ihren Konsum drastisch oder schafften es sogar, dauerhaft clean zu bleiben. Erfolgreiche Einzelfälle, kein Grund zur Euphorie.
    "Es ist auch so, dass wir sehr vorsichtig und zurückhaltend sein wollen in der Bewertung, um nicht verfrüht Hoffnungen zu schüren. Man weiß eigentlich auch, dass gerade so Daten an kleinen Populationen sehr wackelig sind. Man kann im Moment einfach noch nicht genug dazu sagen."
    Das Interesse ist gering
    Um eine klare Aussage über die Wirksamkeit machen zu können, fehlt zurzeit vor allem eines: das Interesse der Drogenabhängigen. Drei deutsche Suchtzentren hatten gemeinsam eine Studie mit Alkoholikern durchgeführt. Sie musste dieses Jahr abgebrochen werden. In einem Zeitraum von fünf Jahren hatten die Forscher statt der geplanten dreißig nur zwölf Teilnehmer gefunden. Und auch die Heroinabhängigen rennen Jens Kuhn nicht gerade die Tür ein.
    "Wir glauben, dass das auch so ein bisschen was mit Abhängigkeitserkrankungen zu tun hat, weil wir führen zum Beispiel auch so Studien zur Behandlung der behandlungsresistenten Zwangsstörungen durch und da ist es so, dass ganz viele Patienten uns anschreiben und sagen: Dürfen wir das Verfahren bekommen? Uns geht es schlecht."
    Bei den Süchtigen sieht das anders aus, bestätigt Thomas. Die Bekannten, mit denen er früher gedrückt hat, halten von seiner Methode, clean zu bleiben, nichts. Ihm ist das egal. Den Eingriff in sein Hirn hat er nie bereut.
    "Also die allgemein gängige Reaktion ist: Bist du bekloppt! Ich lass mir doch nicht im Gehirn rum machen! Kann ich nicht verstehen. Also das ist 'ne Chance. Das ist eine Möglichkeit. Und die Gefahr ist relativ gering. Die ist mit Sicherheit Hundert mal geringer, als jetzt noch ein Jahr zu junken. Das ist Fakt!"