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Tiefsinn und Heiterkeit in Balance

Sein Bestseller "Sofies Welt" wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt, und allein in Deutschland gingen mehr als drei Millionen Exemplare über den Ladentisch. Andere Titel wie "Das Kartengeheimnis" und "Das Leben ist kurz – Vita brevis" hatten ebenfalls beachtliche Auflagen. Damit ist Jostein Gaarder der erfolgreichste norwegische Schriftsteller aller Zeiten. Auf einer Lesereis durch Deutschland hat Jostein Gaarder sein neues Kinderbuch "Das Schloss der Frösche" vorgestellt.

Von Sylvia Schwab | 22.04.2006
    Ob in seinem Weltbestseller "Sofies Welt", in seinen vielen anderen Romanen oder in seinen Büchern für Kinder und Jugendliche – bei Jostein Gaarder geht es immer um weitaus mehr als um die Geschichte seiner Protagonisten. Da geht es um die Geschichte der Philosophie oder der Evolution, um Religion und Magie, und damit um das Unfassbare, das dem menschlichen Leben erst seinen Ernst, seine Tiefe und seine Würde gibt. So auch in seinem neuen Kinderbuch "Das Schloss der Frösche", das allerdings zum frühen Werk des Autors gehört und in Norwegen schon 1986 erschienen ist.

    "In vielleicht allein meinen Büchern es gibt zwei Niveaus, ich meine, zwei verschiedene Geschichten. Es gibt immer eine fantastische Geschichte und einen realistischen Hintergrund. Und auch hier - hier wir gehen mit einem Jungen in den Traum dieses Jungen. Aber wir verstehen immer mehr, welches realistische Leben dieses kleine Kind lebt."

    Mit dem Satz "Ich weiß nicht mehr, wie alles angefangen hat, aber ich bin mir sicher, dass ich im Mondlicht über verharschten Schnee ging", mit diesem Satz öffnet Jostein Gaarder das Tor in eine geheimnisvolle Welt, in die der sechsjährige Kristoffer ganz überraschend gerät. Und während der Leser – zumindest der erwachsene – bald begreift, dass er mit dem kleinen Jungen in dessen Traum geraten ist, erlebt ein Kind, das diese Geschichte liest – oder besser: vorgelesen bekommt - zuerst einmal ein buntes und spannendes Märchen. Ein Märchen mit allem, was dazugehört: mit einem Frosch, der zum Prinzen geküsst wird, mit einem Schloss und einem Märchenwald, einem guten König und einer bösen Königin, mit einem klugen Zwerg und einem gestohlenen Herzen. Was der kleine Kristoffer Poffer, selbst zum Prinzen geworden, in seinem Traum-Märchen alles erlebt, bis er am Ende alle Abenteuer und Prüfungen bestanden hat, das ist ein wenig verwirrend und zugleich psycho-logisch, geheimnisvoll und doch klar - wie Träume eben sind.

    Und wie jeder Traum sich auf irgendeine Weise auf die Welt des Träumenden bezieht, so hat auch Kristoffers Traum vom "Schloss der Frösche" ganz unmittelbar mit seinem Leben zu tun:

    "In vielen meiner Bücher erzähle ich von Kindern und Jugendlichen, die etwas aus einer fantastischen Wirklichkeit hören. Im 'Schloss der Frösche' gibt es eine ganz andere Erzählsituation. Hier führt das Kind das Wort. Und im Grunde erzählt das Kind vom Dasein der Erwachsenen. Ich hoffe aber zugleich, dass Christoffel Poffels Darstellung der Erwachsenenwelt den Erwachsenen etwas über die Reaktionen von Kindern auf das Erwachsenenleben beibringen kann."

    Ob die böse Königin verbietet und bestraft wie irgendeine strenge Tante, der gute König zuhört und erzählt wie ein gütiger Großvater oder der Hofmarschall Gedanken lesen kann wie ja scheinbar viele Eltern oder Lehrer - was Kristoffer im Schloss erlebt, spiegelt seine Erfahrungen und die fast jedes Kindes mit der Welt der Erwachsenen.

    Um was es Jostein Gaarder aber vor allem geht in seinem modernen Märchen, das sind die ganz großen Gefühle der Kindheit. Es geht um Liebe und Angst, Freundschaft und Verlegenheit, Genuss und Ekel. Und um die Sehnsucht geht es in dieser ebenso zauberhaften wie spannenden Abenteuergeschichte.

    "Aber dieses Abenteuer oder dieser Traum können auch als Trauerarbeit gedeutet werden, denn Christoffer hat in einer sehr unsicheren und auch empfindlichen Phase seines Lebens gerade seinen Großvater verloren. Und dieser Großvater war sehr wichtig für Christoffer."

    Aber nun im Traum, oder wie es heißt "im Land auf der anderen Seite der Luft", begegnet Kristoffer dem Großvater in dem guten alten König wieder. Und der nimmt ihn faktisch und symbolisch an die Hand und erklärt ihm, dass man auch einen Toten nicht verlieren muss, weil der in der Erinnerung, in der Fantasie und im Traum weiterleben kann.

    Es sind anspruchsvolle Gedanken, mit denen Jostein Gaarder seine kleinen und großen Leser wieder einmal beschäftigt, weshalb es sicher sinnvoll ist, Kindern dieses Buch nicht einfach in die Hand zu geben, sondern es ihnen vorzulesen und immer wieder einmal über einzelne Passagen gemeinsam nachzudenken und miteinander zu sprechen. Um die Zeit geht es und darum, was sie mit den Menschen macht beziehungsweise was die Menschen mit ihr machen oder um die Fantasie, die viel größer und gewaltiger sein kann als derjenige, der sie besitzt. Und schließlich um die Ängste und Traumata, die man - wie Kristoffer - nur bewältigen kann, wenn man nicht vor ihnen davon läuft, sondern ihnen mutig ins Auge schaut.
    "Meine Botschaft hier in diesem Buch""Das Schloss der Frösche" ist, dass wenn etwas ist gefährlich oder ein Trauma oder böse, man soll nicht wie dieser große afrikanische Vogel den Kopf im Sand haben, aber anschauen, was ist schwierig, und das Problem zu lösen zu versuchen."

    Doch so ernst, wie es nun scheinen mag, kommt Jostein Gaarders frühe Geschichte nicht daher, eher sogar kindlich-leicht, von Abenteuer zu Abenteuer hüpfend, locker im Ton, oft durchaus komisch, die Motive des guten alten deutschen Märchens kräftig gegen den Strich bürstend. Da werden gefährliche Tiere oder Situationen nicht immer so ernst genommen, wie sie sein könnten, sondern augenzwinkernd von der lächerlichen Seite präsentiert

    "Es ist ein Märchen, und vielleicht auch ein bisschen influiert von den Märchen, die wir kennen von den Gebrüdern Grimm. Aber meine anderen Bücher, zum Beispiel 'Das Kartengeheimnis', das ist in meinen Augen eine deutsche Erzählung. Es ist so inspiriert von der Erzählungskunst in Deutschland, zum Beispiel von Hermann Hesse und den alten romantischen Geschichten. Aber das 'Schloss der Frösche' ist ein bisschen mehr anglo-amerikan, ein bisschen mehr englisch."

    Womit der Autor die leichte Brise des Humors meint, die hier, anders als im deutschen Märchen – durch das "Schloss der Frösche weht. Und Humor kennzeichnet auch die kräftigen, deftigen und zugleich komischen Illustrationen von Henrike Wilson.

    Fazit: In diesem frühen kleinen Werk des großen Erzählers Jostein Gaarder halten Tiefsinn und Leichtigkeit, Ernst und Heiterkeit auf zarte Weise die Balance, wobei der Autor selbst bescheiden-augenzwinkernd abwehrt:

    "Es ist eine Frösche-Fantasie. Ich habe nur eine Frösche-Fantasie geschrieben."