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Tierische Baukünstler

Zoologie.- Orang-Utans und andere Affenarten müssen es erst lernen, sich Nester zu bauen. Doch wenn sie nach circa fünf Jahren ihre ersten Schlafstätten selber errichten, haben sie darin erstaunlich komplexe Fähigkeiten erworben, wie nun eine Studie im Fachmagazin "PNAS" zeigt.

Von Tomma Schröder | 17.04.2012
    Sumatra irgendwo im Regenwald. Ein Orang-Utan sitzt hoch oben im Baum und schaut sich um. Nach und nach zieht er einzelne Äste zu sich heran, knickt sie und verwebt sie zu einem Nest. Zum Schluss bricht er ganze Zweige ab, polstert sein Lager für die kommende Nacht damit aus und kratzt sich zufrieden am Kopf. Unten am Fuß des Baumes steht Adam von Casteren. Er filmt die Szene und ist damit gerade beim leichtesten Teil seiner Arbeit angelangt, wie sein Doktorvater Roland Ennos von der Universität Manchester berichtet.

    "Er ist den Orang-Utans den ganzen Tag gefolgt und hat zugesehen, wie sie ihr Nest gebaut haben. Danach ist er dann auf den Baum geklettert und hat das Nest vermessen, wie lang und breit es ist, wie stark es ausgebeult ist und wie stark es an verschiedenen Stellen unter Druck nachgibt."

    Tatsächlich hatten die Schlafstätten, die sich in luftiger Höhe von zehn bis 20 Metern befanden, durchaus komfortable Ausmaße: Circa einen Meter lang und 80 Zentimeter breit waren die Nester im Schnitt, und mit einer Dicke von 20 Zentimetern auch relativ gut gepolstert, erzählt Roland Ennos. Wie ein solches Nest gebaut wird, müssen Orang-Utans im Gegensatz zu Vögeln aber erst lernen.

    "Orang-Utan-Babys versuchen ein Nest zu bauen und spielen mit Ästen herum. Aber sie müssen in der Nähe ihrer Mutter bleiben und zugucken, wie sie Nester bauen. Sie bauen zwar auch selber kleine Übungsnester, aber die verlassen sie dann und schlafen doch bei ihrer Mutter. Erst nach fünf Jahren intensiven Übens können sie ihre eigenen Nester bauen, die ihr Gewicht tragen können und gut genug sind, um darin zu schlafen."

    Was Roland Ennos beim Nestbau der Orang-Utans am meisten überraschte, war die Leichtigkeit, mit der sie Äste abbrechen konnten. Denn frische grüne Äste abzuknicken ist zwar recht einfach, doch meistens brechen sie dann nur halb und spalten sich der Länge nach auf. Um den Ast dann ganz abzutrennen, ist schon sehr viel Kraft oder ein gutes Taschenmesser vonnöten. Die Orang-Utans hingegen brechen Äste mit einer schnellen Drehbewegung ganz leicht ab – wenn sie es denn wollen.

    "Das Überraschende war, dass Orang-Utans diese halb gebrochenen Äste auch gezielt verwendeten. Während sie die dünneren Zweige für die Auspolsterung ganz abbrachen, knickten sie die dickeren Äste nur halb ab und verwebten sie zu einem festen Nest. Es ist erstaunlich zu sehen, wie ausgeklügelt ihr Umgang mit den Ästen und wie gut ihr Wissen über die mechanischen Eigenschaften der Äste ist."

    Schließlich bauten die Affen ihre Nester stets so, dass sie in der Mitte stärker nachgaben als an den Rändern, wie Adam van Casteren und Roland Ennos nachweisen konnten. Damit waren die Nester bequemer und die Orang-Utans konnten während des Schlafs nicht herausfallen. Eine raffinierte Konstruktion, die komplexe technische Fertigkeiten erfordert und in der Evolution eine Grundlage für den Gebrauch von Werkzeugen gewesen sein könnte, meint Ennos.

    "Die Studie unterstreicht die Bedeutung des Nestbaus als ein Beispiel für den Gebrauch von Werkzeugen bei Menschenaffen. Wir denken oft, dass Menschen die einzigen sind, die Werkzeuge machen. Und es gibt tatsächlich sehr wenige Beispiele von Affen, die Werkzeuge herstellen. Aber diese Nester der Orang-Utans können als sehr raffiniertes Werkzeug angesehen werden, das ziemlich viel Intelligenz erfordert. Das möchte ich gerne unterstreichen."