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Tierno Bokar, der Weise von Bandiaghara

Das Stück "Tierno Bokar" basiert auf einer Buchvorlage des Schriftstellers Amadou Hampaté Ba aus Mali. Der hatte damit Bokár, seinem spirituellen Lehrer, dem Weisen von Bandiaghara, ein literarisches Denkmal gesetzt. Hampaté Ba machte sich sein Leben lang für die Gleichberechtigung mündlicher Überlieferung der afrikanischer Kulturen stark. Der Experimental-Regie-Altmeister Peter Brook hat sich nun der immer aktuellen Botschaft von religiöser Toleranz, in westafrikanischer Verkleidung angenähert.

Von Karin Fischer | 07.07.2004
    Neulich mal wieder Spike Jonzes Film "Adaptation", zu deutsch: Adaption, Anpassung, mit Nicolas Cage in einer Doppelrolle gesehen. Das ist der Film, in dem sich der berühmte Hollywood-Drehbuchautor Charlie Kaufman – der Autor von "Being John Malkovich" – selbst ein Denkmal setzt, und sich sogar einen weit erfolgreicheren Zwillingsbruder, Donald, dazu erfindet. Charlie selbst muss einen Roman über Orchideen für den Film adaptieren, eine ziemlich abwegige Story, und am Ende hat er in dem Projekt alle Gesetze Hollywoods gebrochen, die da lauten: keine Erzählstimme aus dem Off! Bloß keine Zeitsprünge oder Rückblenden Und konzentrier dich, bitte, auf einen Helden!

    Der Regisseur Peter Brook macht schon länger als Charles Kaufman einzig, was er für richtig hält, auf der Bühne, und hat sich zu diesem Zweck ein paar eigenen Theatergesetzes verschrieben. Zum Beispiel soll die Schauspielerei weder angelernt noch aufgesetzt wirken, noch von einem Regie-Gott vorbestimmt und bloß exekutiert werden. Darüber, und über die Zusammenarbeit mit einigen Getreuen, die mit ihm schon seine theatralische Recherche, das komplett voraussetzungslose Improvisieren in Afrika Ende der 60er Jahre unternommen haben, womit er später im Pariser "Bouffe du Nord" eine passende Heimstatt fand, ist der Autodidakt Brook selbst so eine Art Regie-Gott geworden. Keiner Lehre oder Botschaft, sondern nur der eigenen Intuition vertrauend, begreift er Theaterarbeit als etwas, das vor allem innere Prozesse kenntlich machen will. Kein Wunder, dass seine kammerspielartigen Inszenierungen, wie der "Hamlet" oder ein karg ausgestatteter, aber seelisch reicher "Don Juan" am besten wirken, wenn eine Kamera sie aufzeichnet. Brook hat es, ähnlich wie der andere große Theatermann, Patrice Chéraux, nämlich mit dem Filmischen und seinen Möglichkeiten.

    Mit seinem neuen Stück, "Tierno Bokar", hat Peter Brook bzw. seine Partnerin Marie-Hélène Estienne die Geschichte des Weisen von Bandiagara adaptiert, nach einem Roman des malischen Schriftstellers Amadou Hampate Ba, und sie haben dabei wie selbstverständlich die dramatischen Gesetze der Zunft unterlaufen. Zum Beispiel gibt es einen Erzähler in Anlehnung an die mündliche Tradition Afrikas, der Tierno Bokar charakterisiert, während Sotigui Kouyaté, der den weisen Asketen schon mit seiner hageren Figur beglaubigt, das Erzählte illustriert. Brook legt das Gewicht auf gleich drei Hauptfiguren, Tierno Bokar, seinen Schüler Amkoullel und den Erzähler, was die Charaktere nicht deutlicher macht. Die Spielweise wirkt sehr abgeklärt, die Hände der Schauspieler sind das wichtigste Ausdrucksmittel. Peter Brook hat sich jeder Form des Afrika-Kitsches, aber auch einer politischen Zuspitzung komplett verweigert. Der Regisseur setzt, obwohl es um ein hochbrisantes Thema geht, überhaupt nicht auf Dramatisierung eines Konflikts, er zeigt exemplarische menschliche Verhaltensweisen. Wer also für heute verwertbare Botschaften über die Kolonisierung oder das wirkliche Wesen des Islam erwartete, wurde heftig enttäuscht.

    Was erzählt wird, ist die Lebensgeschichte Tierno Bokars, eines afrikanischen Sufi-Lehrers, der einen toleranten, pazifistischen Koran predigt. "Ich bitte Gott", sagt er kurz bevor er stirbt, "dass ich bei meinem Tod mehr Feinde haben werde, denen ich nichts tat, als Freunde." Er gerät zwischen die Fronten eines religiösen Konflikts, der von afrikanischen Clans begonnen, von den französischen Kolonialherren geschürt, am Ende seinen Ausschluss aus der Gemeinschaft und seinen Tod in fast völliger Isolation zur Folge hat. Soll man im Gebet die Tradition der 11 oder der 12 Perlen pflegen? lautet die Frage. "Es gibt drei Wahrheiten", sagt Tierno Bokar, "meine Wahrheit, deine Wahrheit und DIE Wahrheit". Hässlichkeit der Geschichte: Tierno Bokar beweist seine Glaubensstärke, indem er die Tradition eines anderen religiösen Führers anerkennt, damit aber seinen Clan verrät und verstoßen wird.

    Peter Brook erzählt auf ganz einfacher, gelb leuchtender Bühne aus Reisstrohmatten mit nur wenigen Requisiten ein paar kleine Geschichten: wie die jungen Schwarzen entdecken, dass die Exkremente der Weißen genauso schwarz sind wie ihre! Wie man in Afrika Konflikte löst, ohne die Gesetze des Dorfes zu überschreiten; wie die Kolonisatoren den tribalen Hass für ihre Zwecke zu nutzen wissen und Menschlichkeit darüber auf der Strecke bleibt; wie Religion und Weisheit nur wachsen kann: indem man sie loslässt. Denn "der Keim liegt in der Erde, bevor er wächst. Man kann ihn nicht essen oder behalten. Man muss auf ihn verzichten."

    Mit solch schönen Weisheiten gespickt fließt das Stück träge dahin wie ein Stück Holz auf dem Unterlauf des Niger. "Wenn du einen Baumstamm ins Wasser wirfst, wird aus ihm kein Krokodil werden", lautet ein afrikanisches Sprichwort. Das gelbe Floß, das in Duisburg angelandet ist, kann unseren Vorurteilen auch nicht wirklich gefährlich werden. Seine harmlose Botschaft der Toleranz versteckt sich aber in Geschichten, die man bei uns viel zu selten erzählt.