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Tierschutz
"Man kann Hummer betäuben"

Hummer werden zur Zubereitung oft lebend in heißes Wasser geworfen. In Schweizer Restaurants ist das künftig verboten. Forscher vom Alfred-Wegener-Institut haben in einer Untersuchung nach Wegen der tiergerechten Tötung gesucht. Ein Ergebnis: Hummer können betäubt werden.

Ulf Bickmeyer im Gespräch mit Uli Blumenthal | 16.01.2018
    Cooked Lobster Is Taken From A Pot.
    In Schweizer Restaurants dürfen Hummer nicht mehr bei Bewusstsein in kochendes Wasser geworfen werden - doch mit welchen Verfahren kann man die Tiere zuverlässig betäuben? (imago / Chromorange)
    Ulli Blumenthal: Neue Regeln für die Zubereitung von Krustentieren: Hummer dürfen in Schweizer Restaurants künftig nicht mehr bei Bewusstsein in kochendes Wasser geworfen werden. Die Krebstiere müssen ab 1. März vor der Zubereitung betäubt werden, wie die Schweizer Regierung letzte Woche beschloss. Künftig dürfen lebende Hummer in der Schweiz auch nicht mehr auf Eis oder in eiskaltem Wasser transportiert werden.
    Ich spreche darüber mit Ulf Bickmeyer. Er ist Zoologe und Zellbiologe am Alfred-Wegener-Institut und hat eine vergleichende Untersuchung zur tiergerechten Betäubung oder Tötung von Krustentieren durchgeführt.
    Wieviel Schmerz erleidet ein Hummer, wenn er in kochendes Wasser geworfen wird?
    Ulf Bickmeyer: Allein die Frage, wie viel Schmerz, da wird es schon sehr schwierig, denn Schmerz ist ja sehr klar kognitiv oder wird vom Bewusstsein beeinflusst. Wir empfinden Schmerz, wenn wir abgelenkt werden, zum Beispiel viel, viel weniger, als wenn wir nicht abgelenkt werden. Also Schmerz ist offensichtlich sehr stark an das Bewusstsein gekoppelt, und deswegen haben wir in unserer Studie den Unterschied gar nicht gemacht zwischen Schmerz, was möglicherweise wirklich nur höhere Organismen, wie auch immer, empfinden können. Und den nozzeftiven Reflex, das heißt, das ist ein Reflex, um den Organismus zu schützen, solche Schutzmechanismen haben alle Lebewesen auf dieser Welt offensichtlich. Und wir haben extra gesagt und auch geschrieben, wir machen keinen Unterschied zwischen Schmerz und diesem nozzesiven Reflex, weil Schmerz ist in dem Falle, würde ich sagen, ganz einfach nicht der richtige Begriff.
    "Schwer zu beurteilen, ob ein Organismus Schmerz empfindet"
    Blumenthal: Sie haben durchgeführt eine vergleichende Untersuchung zur tiergerechten Betäubung oder Tötung von Krustentieren. Wie sind Sie da bei dem Versuchsaufbau vorgegangen? Wie haben Sie diese Untersuchung durchgeführt?
    Bickmeyer: Wir können von außen sehr schwer beurteilen, ob ein Organismus Schmerz empfindet oder was auch immer. Aber ein Mechanismus ist natürlich, wenn man direkt die Nervenaktivität elektrophysiologisch in dem Moment ableitet, indem man ganz klar, wenn die Nerven nicht mehr antworten, wird kein Signal übertragen. Und wir haben uns dann entschieden, so ein Verfahren zu verwenden, dass wir diesen Tieren ganz winzige Elektroden in das - also die haben so ein dezentrales Nervensystem - eingeführt haben, mit dem sie wunderbar sich bewegen konnten, alles machen, alles bewegen, und haben dann versucht, sie zu reizen, zum Beispiel mit einem kleinen Schwämmchen, mit so einem kleinen Pinselchen, oder auch mit einem kleinen elektrischen Reiz. Wenn diese Reizweiterleitung in das zentrale Nervensystem nicht mehr messbar war, da haben wir gesagt, dann sind die Tiere betäubt.
    Blumenthal: Wie sind Sie da vorgegangen? Welche verschiedenen Verfahren haben Sie dann eingesetzt? Sie haben Tiere genommen und was untersucht? Nur kochendes Wasser, oder auch andere Verfahren?
    Bickmeyer: Die Frage war ja, ob man diese Tiere betäuben kann, sodass sie diese Behandlung nicht mehr wahrnehmen können. Und dann haben wir mehrere Parameter angewandt. Das klassische ist, man legt sie auf Eis. Wir haben Süßwassereis genommen, auch Salzwassereis. Verschiedene Organismen betäuben wir mit Magnesium. Das geht bei Weichtieren zum Beispiel sehr leicht, Magnesiumchlorid. Die sind sofort relaxiert und entspannt und sind betäubt. Und wir haben CO2-Begasung benutzt, weil erfahrungsgemäß es relativ gut funktioniert bei verschiedenen Organismen. Wenn man das Wasser bebubbelt quasi mit CO2, dass die Organismen betäubt werden. Und wir haben ein Verfahren benutzt, diese Elektrobetäubung, weil das ja auch bei verschiedenen Organismen, also höheren Tieren, bei Säugern und so weiter verwendet wird, und haben versucht, die verschiedenen Behandlungen durchzuführen und zu sehen, ob die Reizweiterleitung dann noch vorhanden ist.
    "Ganz unterschiedliche Ergebnisse"
    Blumenthal: Und wie unterschiedlich sind die Ergebnisse dann ausgefallen?
    Bickmeyer: Ganz unterschiedlich. Zum Beispiel, Eiswassereis bringt nichts, die Tiere werden nur ganz langsam, alles wird langsam, aber die Reizantworten sind genauso da, nur in Zeitlupe. Bei Seewassereis ist es genauso, es ist alles verlangsamt, immer langsamer, und das geht tatsächlich dann so nahtlos in den Tod über. Also das ist kein klassisches Betäubungsverfahren. Magnesiumchlorid wirkt bei diesen Dekapoden, also Zehnfußkrebsen, gar nicht. Und dann, CO2, ganz erstaunlich, habe ich auch nicht so mit gerechnet, CO2 ist ein sehr schnelles Verfahren, um diese Tiere zu betäuben. Danach war tatsächlich keine Reizweiterleitung mehr nachweisbar. Die elektrophysiologischen Experimente haben wir dann ja auch gemacht und haben die Tiere zwischen Elektroden - haben also Elektroden ins Wasser gesteckt und ihnen einen Stromstoß quasi gegeben. Und da passierte auch etwas ganz Erstaunliches, weil das zentrale Nervensystem wird hochaktiv, die Tiere wirken aber phänotypisch quasi tot. Sie sind komplett gelähmt, aber das Nervensystem zeigt höchste Aktivität. Und in diesem Zustand kann man natürlich nicht mehr diskriminieren, ob ein Reiz von außen noch nach innen kommt, weil alles aktiv ist.
    Bei langsamer Erwärmung zeigten Tiere keine Reaktion
    Blumenthal: Was wäre denn dann Ihre Empfehlung an die Schweizer Eidgenossen, wenn die jetzt verboten haben, dass man Hummer und andere Krustentiere einfach so in kochendes Wasser wirft und damit letztlich tötet. Welches Verfahren, würden Sie sagen, wäre eine Alternative?
    Bickmeyer: Wir haben mal gedacht, was passiert, wenn man das Wasser ganz langsam erwärmt. Und da zeigten diese Tiere überhaupt keine Reaktion, waren ganz entspannt, zumindest bei den elektrophysiologischen Ableitungen, also es waren keine besonders aktive Ableitungen zu messen. Und wenn man die Temperatur so langsam erhöhte, so ein Grad pro Minute, bei 30 bis 35 Grad hörte die Aktivität komplett auf.
    Das heißt, die waren ganz langsam hinübergeglitten, und das Wasser wird trotzdem erwärmt. Wenn Sie mich fragen würden, ist das eine Alternative. Entspricht natürlich keiner Betäubung, weil das ist mit Sicherheit nicht reversibel.
    Es ist aber auch nicht dieses Werfen in heißes Wasser, wo wir natürlich nicht wissen, wie der Hummer drauf reagiert. Es kann sein, dass er über diesen plötzlichen Schock gar nicht weiß, was passiert und deswegen still sitzen bleibt. Aber bei dem langsamen Erwärmen scheint es so zu sein, dass er vollkommen ruhig dort sitzt und keine Reaktionen zeigt.
    Und das hat sich bei den elektrophysiologischen Messungen auch gezeigt. Man findet Signalantworten, und die verschwinden einfach so über 30 Grad. Deswegen, solche Verfahren wirklich zu empfehlen, ist extrem schwierig. Alle haben so ein paar Pferdefüße. Aber man kann zumindest Hummer betäuben, das wissen wir jetzt, weil wir da dieses Verfahren angewandt haben, die Elektroden direkt im Nervensystem zu haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.