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Tierschutz
Mit Hightech gegen das Kükenschreddern

Weil männliche Küken in der Aufzucht zu teuer sind, um sie gewinnbringend zu verkaufen, werden sie bei lebendigem Leib in den Schredder geworfen. Tierschützer kritisieren die Praxis, der in Deutschland jedes Jahr 45 Millionen Tiere zum Opfer fallen. Jetzt will Agrarminister Christian Schmidt (CSU) für Abhilfe sorgen.

Von Dieter Nürnberger | 09.07.2015
    Ein wenige Stunden altes Küken sitzt im Brutkasten zwischen anderen und noch nicht geschlüpften Küken.
    Männchen oder Weibchen? Das kann über sein Schicksal entscheiden. (picture-alliance / dpa-ZB / Waltraud Grubitzsch)
    Agrarminister Christian Schmidt (CSU) sprach von einem auch persönlichen Anliegen, den Ausstieg aus der Kükentötung zu forcieren. Diese sei aus Tierschutzgründen und auch aus ethischer Sicht nicht mehr akzeptabel. Der Minister unterzeichnete deshalb einen Zuwendungsbescheid von über einer Million Euro, um die Forschung auf diesem Gebiet voranzubringen. Und als Ziel formulierte Schmidt das Jahr 2017, ab diesem Zeitpunkt soll dann Schluss sein mit dem männlichen Kükenschreddern. Minister Christian Schmidt:
    "Wir haben jedes Jahr rund 45 Millionen männliche Küken, die getötet werden, weil sie das falsche Geschlecht haben. Weil sie nicht weiter verwendet werden können. Wir müssen eine praktikable und tragfähige Alternative vorweisen. Sonst verlagert sich die Tierschutzproblematik nur in andere Länder und die weiblichen Küken werden billiger aus dem Ausland eingekauft. Das Problem wäre nicht gelöst, sondern nur verlagert."
    Seit Jahrzehnten ist es ja gängige Praxis, dass die geschlüpften, männlichen Küken in der Legehennenhaltung aussortiert werden. Ein brutaler Vorgang - denn die Küken werden bei lebendigem Leib in einen Schredder befördert. Hintergrund ist, dass die Aufzucht der männlichen Küken aus wirtschaftlicher Sicht nicht attraktiv ist. Bis ein männliches Tier schlachtreif ist, bräuchte es doppelt so viel Futter - die männlichen Küken setzen also zu wenig Fleisch an.
    Tierschutzgruppen und -verbänden ist diese brutale Praxis natürlich schon lange ein Dorn im Auge. Und um Abhilfe zu schaffen, wird nun also ein Projekt gefördert, welches das Geschlecht schon im Ei feststellen kann. Bisher war diese Bestimmung erst nach dem Schlüpfen möglich. Das Schreddern der Tiere hätte somit ein Ende, weil dann nur noch weibliche Tiere ausgebrütet würden.
    Die heute zugesagten eine Million Euro sollen somit zur Entwicklung eines Gerätes beitragen, dass diese Geschlechtsbestimmung im Massenbetrieb vornehmen kann. Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns vom Forschungsverbund der Universität Leipzig erklärt, wie es funktioniert:
    "Wir werden nicht ohne Loch in der Kalkschale des Eis auskommen. Da hat der liebe Gott einen guten Schutz für den Embryo geschaffen. Wir müssen also ein Loch in die Kalkschale fräsen. Und können dann mittels der Nah-Infrarot-Raman-Spektroskopie berührungsfrei - anhand von Blutgefäßen, die sich im drei Tage alten Ei schon entwickelt haben - und innerhalb von Sekunden die Geschlechtsbestimmung durchführen."
    Auf der Suche nach dem "Zweinutzungshuhn"
    Interessant ist natürlich, wie Tierschutzverbände auf die Nachricht reagieren. Der deutsche Tierschutzbund kritisiert beispielsweise, dass es mit einer rein technischen Lösung nicht getan sei. Man begrüßt zwar, dass nun in einem überschaubaren Rahmen das Schreddern aufhöre, doch für den Tierschutzbund ist das mehr eine Systemfrage - die nicht artgerechte Massentierhaltung in diesem Bereich würde dadurch nicht angetastet. Thomas Schröder, der Verbandspräsident, erinnert zudem an den Tierschutzparagrafen im Grundgesetz:
    "Der millionenfache Kükenmord ist ein klarer Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Deswegen ist dringender Handlungsbedarf angesagt. Der Bundesminister handelt zwar jetzt und setzt auf eine technische Lösung - damit das geschlüpfte Küken nicht mehr getötet werden muss. Aber das darf nur eine kurzfristige Maßnahme sein. Langfristig muss es darum gehen, das ganze System umzustellen. Denn es bleibt dabei, dass wir eine hochgezüchtete Zuchtlinie haben - und deswegen nutzt es nichts, nur eine Schraube zu drehen. Das ganze System muss geändert werden."
    So fordert Tierschutzbund beispielsweise ein verbindlicheres Enddatum für das Kükenschreddern. Freiwillige Vereinbarungen mit der Wirtschaft würden nicht ausreichen.
    Und auch die Tatsache, dass künftig Millionen von Eiern entsorgt würden und allenfalls der Futtermittelindustrie zugeführt würden, sorgt für Kritik. Der Tierschutzbund favorisiert deshalb ein anderes System. Es sollte mehr in die Züchtung eines sogenannten Zweinutzungshuhns investiert werden. Das ist ein Tier, welches Fleisch ansetzt und gleichzeitig auch Eier legen kann.
    Zufrieden mit der rein technischen Lösung ist der Tierschutzbund somit nicht. Aber immerhin kündigte Agrarminister Schmidt heute ebenfalls an, künftig auch Forschungsgelder für das sogenannte Zweinutzungshuhn bereitzustellen.