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Timo Soini ist "kein Faschist"

Elmar Brok macht eine übertriebene politische Korrektheit in Finnland für das Erstarken der Rechtspopulisten verantwortlich. Zu viel Konsens lasse sich "die Bevölkerung auf Dauer nicht gefallen". Man dürfe sich nicht scheuen, Widersprüche offen auszusprechen.

Elmar Brok im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.04.2011
    Christoph Heinemann: Die finnischen Rechtspopulisten verlangen nach ihrem klaren Wahlerfolg Neuverhandlungen über das EU-Stabilitätspaket. Die Partei Wahre Finnen hat ihre Stimmenzahl fast verfünffacht und 19 Prozent erhalten. Knapp die Nase vorn haben und damit stärkste Partei wurden die Konservativen von Finanzminister Katainen mit 20,4 Prozent, die für den EU-Stabilitätspakt eintreten. Das ungarische Parlament stimmt heute über eine neue Verfassung ab. Da die Regierungspartei Fidesz über die für Verfassungsänderungen notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt, gilt es als sicher, dass der Entwurf vom Parlament gebilligt wird. Die Präambel, das sogenannte nationale Glaubensbekenntnis, erhebt Werte wie König, Krone, Stolz auf die Geschichte und Christentum zu Rechtsmaßstäben. Kritiker fühlen sich an die faschistische Ideologie der 30er-Jahre erinnert. Gergely Pröhle ist stellvertretender Staatssekretär im ungarischen Außenministerium. Er versteht die Aufregung über die neue Verfassung nicht.

    O-Ton Gergely Pröhle: Wahrheit ist, dass viele falsche Nachrichten kursierten über diese neue Verfassung. Ich glaube, die Fassung, die dann heute höchst wahrscheinlich angenommen wird, beinhaltet keine Besorgnis erregenden Dinge. Die europäische Öffentlichkeit und natürlich auch die Opposition hier in Ungarn nimmt das sehr mit großen Schwierigkeiten zur Kenntnis, dass hier so eine große demokratische Mehrheit nach einer demokratischen Wahl entstanden ist. Wichtig ist, dass in vielen Ländern in Europa eine neue Verfassung nicht mit einer Volksabstimmung abgesegnet worden ist.

    Heinemann: Gergely Pröhle heute Früh im Deutschlandfunk.
    Zurück noch einmal zum Beginn unserer Sendung: Finnland nach der Parlamentswahl, Ungarn vor der Verfassungsabstimmung. Am Telefon ist jetzt der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Guten Tag!

    Elmar Brok: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Brok, blicken wir nach Finnland. Die Partei Wahre Finnen wehrt sich gegen Hilfszahlungen an Länder wie Portugal, Griechenland und Irland. Finnland hat das EU-Stabilitätspaket noch nicht ratifiziert. Muss dieses nun neu aufgeschnürt werden?

    Brok: Ich hoffe nicht und ich hoffe, dass der zukünftige Ministerpräsident Katainen, der ja dieses Paket mit ausgehandelt hat, in der Lage ist, bei den Koalitionsverhandlungen einen entsprechenden Weg zu finden, denn wenn dies aufgeschnürt wird, wird das logische Konsequenzen an den Märkten haben, dass die Europäer nicht in der Lage sind, ihre Dinge zusammenzubringen, dass dieses auch nicht im finnischen Interesse ist.

    Heinemann: Welche Folgen hätte das?

    Brok: Nun, wenn man sieht, dass das nicht funktioniert, dann wird der Druck wachsen, dann wird es schwieriger noch werden für diese Länder, dann wird es noch teurer werden und es wird dann ein Kreislauf in Gang gesetzt, den wir alle nicht wollen, und ich hoffe, dass aus diesem Grunde heraus Jyrki Katainen in der Lage ist, seinen Koalitionspartner auf einen vernünftigen Weg zu bringen, zumal man ja sieht, dass in Zukunft beim europäischen Stabilitätsmechanismus Zahlungen nur kommen, wenn es einstimmig erfolgt, sodass auf diese Art und Weise hier Finnland immer noch die Möglichkeit hat, in solchen Fällen einzuschreiten.

    Heinemann: Und wenn die Wahren Finnen, die "sogenannten", stur bleiben?

    Brok: Also hier muss dann die zukünftige finnische Regierung ein klares Konzept haben und dann muss Jyrki Katainen auch möglicherweise sagen, dass er dann nicht in diese Koalition hineingeht, und dann müssen die proeuropäischen Parteien sich bei allen Schwierigkeiten zusammenschließen, denn es gibt ja auch eine Mehrheit zwischen Konservativen, den Sozialdemokraten und den zentristischen Parteien. Dann müssen die sich halt zusammenschließen.

    Heinemann: Aber die nationalen Regierungen beziehungsweise Parlamente müssen doch eben zustimmen?

    Brok: Ja, aber die haben ja auch dann eine Mehrheit im Parlament. Es ist nicht zwangsläufig aufgrund des knappen Wahlergebnisses – vier Parteien haben ja zwischen 35 und 39 Sitze im Parlament -, dass dieses zwangsläufig dazu führt, dass das nur geht mit den "Wahren Finnen". Man könnte auch die Zentristen mit hineinnehmen.

    Heinemann: Herr Brok, wo verorten Sie die finnischen Rechtspopulisten politisch, eher bei der ungarischen Fidesz, oder beim französischen Front National?

    Brok: Nein, beim Front National ist es nicht. Ich kenne den Vorsitzenden, er ist ja bis jetzt Europaabgeordneter gewesen, das ist sicherlich kein Faschist, sondern er ist ein Populist, ein nationalistischer Populist, aber dem man nicht sagen kann, dass er da antidemokratische Tendenzen hat oder Ähnliches, sodass das, glaube ich, anders zu nehmen ist und von daher die prinzipiellen Probleme in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht hier in dem Sinne da gegeben sind, und deswegen glaube ich auch noch, dass man mit solchen Leuten reden kann.

    Heinemann: Wenn man mal überlegt, was einem zu Finnland so einfällt, dann sind es einmal die Pisa-Bestnoten, viele tragen ein Stück Finnland auch in der Tasche in Form eines rechteckigen Telefons, eines Handys. Warum scharen sich ausgerechnet die Europäer im Norden jetzt um die sogenannten "Wahren Finnen"?

    Brock: Ich glaube – wir haben ja ähnliche Ergebnisse auch in Dänemark oder in Schweden, auch in den Niederlanden; das sind alles Konsensländer gewesen, dort waren früher alle Parteien immer eng zusammen und es durfte nichts gesagt werden, was nicht politisch korrekt war, und das lässt sich die Bevölkerung auf Dauer nicht gefallen. Ich glaube, wenn man versucht, nur im Konsens jene Dinge zu betreiben und nicht offen auch Widersprüche auszusprechen, dann werden sich dann Leute auf Ebenen zusammenschließen, die dann nicht so sinnvoll sind. Deswegen haben wir in all diesen vier Ländern dasselbe Phänomen.

    Heinemann: Und vielleicht bald auch in Deutschland. Im Moment sind ja alle Parteien grün.

    Brok: Wir haben dieses Problem in Deutschland bereits, denn die Linken sind vergleichbar zu dieser Protestpartei, denn da spielt relativ wenig eine Rolle, ob diese Parteien auf der rechten oder linken Seite angesiedelt sind, und wenn man sich manches von links oder von dem Herrn in Finnland anschaut, dann sieht man manche Parallelen da.

    Heinemann: Herr Brok, beunruhigt Sie die Verfassungsänderung, die geplante, in Ungarn?

    Brok: Also im innerstaatlichen Bereich, was das Verhältnis der Verfassungsorgane ist, scheint es da, so weit ich den Text bisher habe analysieren können, keine Probleme zu geben. Das Problem ist allerdings, dass die Frage der Definition, was Ungarn sind, hier zu Problemen mit sich führen könnte, dass neue Staatsbürgerschaftsüberlegungen innerhalb der Europäischen Union über die Grenzen hinaus Probleme bilden könnten und dass daraus Streitfälle mit Mitgliedern innerhalb der Europäischen Union entstehen könnten, dass daraus interpretiert werden könnte, dass es Irredenta gibt und dass der berechtigte Zorn der Ungarn über die Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg – kein Land ist so bestraft worden wie Ungarn – hier zu Realitäten in der Politik führen könnten, die 100 Jahre später im Rahmen eines Vereinten Europas nicht mehr notwendig sein sollten.

    Heinemann: Schwierigkeiten mit welchen Staaten genau erwarten Sie?

    Brok: Das ist Rumänien und die Slowakei vor allen Dingen, wo es Probleme gibt, aber das geht auch dann in Nachbarländer hinein, die mal Mitglied der Europäischen Union werden könnten, in der Vojvodina beispielsweise. Wir müssen sehen, dass ja Ungarn dramatisch zurechtgestutzt worden ist in dem Pariser Vorortvertrag und dass es große Minderheiten in diesen Ländern gibt, die jetzt alle als Ungarn bezeichnet werden und innerhalb der Europäischen Union dann doppelte Staatsbürgerschaften entstehen, und daraus könnten sich Konflikte ergeben, wenn das nicht vernünftig gehandhabt wird. Die Verfassung selbst wird da noch keine Veränderung herbeiführen; das stellt sich heraus, welche Praxis dann damit gemacht wird. Wir wollen nur hoffen, dass das nicht zu neuen Spannungen führt.

    Heinemann: Herr Brok, genau dass solche Verträge, solche uralten Ungerechtigkeiten oder als Ungerechtigkeit empfundene Dinge keine Rolle mehr spielen sollten, dafür ist ja unter anderem die Europäische Union gegründet worden. Was ist denn da schief gegangen?

    Brok: Das ist genau der Fall und es ist, glaube ich, dieser Ursprung der europäischen Einigung, die Nationalstaaten zu entmachten, dass sie nicht mehr in der Lage sind, Kriege aufeinander vorzubereiten, dass dieser Ursprung, der am Beginn der Montan-Union stand, im Bewusstsein der heute Handelnden verloren gegangen ist und dass das über die nationalen Interessen hinausgehende gemeinsame Interesse für eine gemeinsame Zukunft nicht mehr so im Vordergrund steht. Das ist letztlich auch bei den finnischen Populisten der Fall, das ist bei der Lega Nord der Fall und was wir jetzt im Rahmen der Migrationsdiskussion zwischen Italien und Frankreich hören. Dies hat alles ein Stückchen Hintergrund und ich glaube, das kann nur geleistet werden, wenn wir als Europäische Union uns auch ein bisschen zurücknehmen. Das bedeutet, dass Kommission und Parlament und auch Rat nicht jeden Kram, den man beschließen könnte, wo man zuständig wäre, auch macht. Warum macht man so eine Diskussion über Dieselsteuer, dass man sich in Deutschland darüber ärgert, oder in anderen Bereichen? Sich zurücknehmen und das Wesentliche tun, ist, glaube ich, in dieser Phase das richtige, damit wir unsere Bürger nicht überfordern.

    Heinemann: Brüssel ist die eine Seite. Gibt es inzwischen noch irgendwo in Europa eine politische Partei, der Sie den Titel "Wahre Europäer" zuerkennen würden?

    Brok: Ach das glaube ich schon. Ich bilde mir immer noch ein, dass die meisten Christdemokraten diese Position haben. Wir müssen sehen, dass viele Sozialdemokraten seit geraumer Zeit Verantwortung übernommen haben, in kritischer Phase, von Papandreou in Griechenland bis hin zu auch Spanien, und dass sie hier diese Austerity-Programme gemacht haben, um den Laden in Ordnung zu bringen nach den Fehlern der Vergangenheit. Ich sehe, dass eine Reihe von Grünen hier gute Positionen haben, Liberale ohnehin, sodass es immer noch eine breite Mehrheit von Pro-Europa gibt. Aber sie kommen überall in Druck hinein, sie haben Parteien für Mehrheitsbildungen, die es ihnen schwer machen, und auch diese Parteien müssen alle merken, mit antieuropäischem Populismus in bestimmten Einzelfragen, obwohl sie insgesamt für Europa sind, erreichen sie nichts. Damit machen sie nur die eigentlichen Populisten stärker, denn im Populismus sind diese immer besser. Deswegen müssen wir uns wieder zu Europa bekennen und deswegen muss Berlin auch mal deutlich machen, dass dieses Europa uns nützt. Das wird ja auch in Berlin kaum noch zum Ausdruck gebracht. Wie sollen das die Leute wissen?

    Heinemann: Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Brok: Ich danke auch. Auf Wiederhören.