Donnerstag, 25. April 2024

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Timon und Julian Meyer: "Heute nicht"
Das Zauberwort "morgen"

Wenn Kinder mit einer Krise konfrontiert werden, sind die Eltern in der Verantwortung, sachlich zu informieren und Ängste zu nehmen. Timon und Julian Meyer haben gerade ein Bilderbuch herausgebracht, das zufällig zur Coronakrise passt. Es macht Hoffnung auf ein - möglicherweise - besseres Morgen.

Von Maria Riederer | 20.06.2020
Timon und Julian Meyer: "Heute nicht – doch vielleicht morgen"
Schaf, Krokodil, Löwe, Bär, Panda - alle sind gelangweilt, überfordert, enttäuscht (Buchcover Diogenes Verlag )
"Hat's der Bär
heute schwer?
Rauft der Löwe sich die Mähne?
Kullert schon die erste Träne?
Ist dem kleinen Krokodil
heute alles viel zu viel?"
Zuerst steht da der Bär. Mit einer Pfote stützt er sich an einen Baumstamm, die andere hält einen Aktenkoffer, aufgeplatzt, der Inhalt ergießt sich über zwei Bildseiten auf den Boden. Der Hintergrund ist einfarbig blau, als befände sich das arme Tier mit seinem Baumstamm und ein paar Grashalmen im luftleeren Raum.
Niemand trocknet die Tränen
Ähnlich verzweifelt steht der Löwe am Schwimmbeckenrand, bewaffnet mit buntem Schwimmreifen, Taucherbrille und Wasserball. Aber – da ist kein Wasser, das Becken ist leer. Die erste Träne ist schon zu sehen, aber weit und breit niemand, der sie trocknen würde. Auch das Krokodil steht schluchzend da, zwei Eiskugeln sind ihm von der Waffel auf den Boden gefallen, und keiner beruhigt das arme Tier.
"Zieht der Koala eine Schnute?
Ist ihm heut zu nichts zumute?
Hängt der Lurch
heute durch?"
Jede Seite liefert Szenarien von Überforderung, Enttäuschung, Verzweiflung und Langeweile in der Tierwelt. Lama und Schaf haben sich zu zweit in ein Beziehungsdrama verheddert, alle anderen sind allein mit ihrem Kummer. Der Panda im grau-verregneten Bambuswald leidet besonders herzzerreißend. Der Brief in seiner herabhängenden schwarzen Pfote, so ahnt man, ohne ihn lesen zu können, ist ein Abschiedsbrief.
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Social distancing pur
Jedes Tier ist auf sich gestellt. Keine tröstende Umarmung ist in Sicht, kein Spaß im Schwimmbad, kein Spielkamerad für den gelangweilten Koala. Ein Abbild des Frühlings 2020, social distancing pur. Aber - die Geschichte ist noch nicht zu Ende.
"Alle Tiere sind heut traurig
haben Kummer haben Sorgen"
Und was reimt sich auf Sorgen?
"Wird es denn auch wieder besser?
Heute nicht – doch vielleicht morgen!?"
"Morgen". So lautet das Zauberwort. Es gibt ein Morgen. Wann genau dieses Morgen anbrechen wird, bleibt zwar unklar. Aber allein die Aussicht, dass die Zeiten – irgendwann - wieder besser werden, lässt Kummer und Sorgen der ersten Buchhälfte verblassen. Das, was morgen kommt, malt Illustrator Julian Meyer in den schönsten Farben: Der Bär verlässt das öde Blau, in einem roten Sportwagen saust er - mit viel Gepäck - durch sonnige Küstenlandschaften. Und das Beste: Er bleibt nicht allein. Löwe und Krokodil gesellen sich zu ihm, Koala, Känguru und Krabben bevölkern den Strand.
"Und wer weiß? Vielleicht schon morgen
sind des Pandas größte Sorgen
allesamt schon längst verflogen.
…wer kommt denn da ums Eck gebogen?"
Der Schatten des "Vielleicht"
Das verheißungsvolle Wort "Morgen" wirft allerdings einen kleinen Schatten. Und der heißt: "Vielleicht".
"Vielleicht kommt ihn wer besuchen
und vielleicht gibt's Streußelkuchen?"
Ja – wer weiß das schon? Über das Morgen Aussagen zu machen, ist riskant. Doch die hoffnungsvolle Vision von Gemeinschaft, Trost und Glück ist nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Natürlich ist das Schlussbild im Sonnenuntergang – alle vereint, alle zufrieden – eine Utopie. Aber sie stärkt, sie verleiht Mut an hoffnungslosen, einsamen Tagen. Deshalb gehört dieses Buch jetzt – oder eigentlich immer - in jeden Haushalt.
Timon Meyer/Julian Meyer (Ill.): "Heute nicht – doch vielleicht morgen?"
Diogenes Verlag, Zürich. 32 Seiten, 14 Euro. Ab 3 Jahren.