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Tinariwen
Die Rolling Stones der Sahara

Tinariwen ist eine der ersten Bands aus der afrikanischen Wüste, die in den 1980er-Jahren einen neuen Musikstil kreierte. Sie verknüpfen traditionelle Melodien und Rhythmen der Tuareg sowie Klatschen und Ruf-und-Antwort-Gesang mit elektrisch verstärkten Gitarren. Nun haben sie ihr neues Album "Emmaar" veröffentlicht.

Von Marlene Küster | 25.02.2014
    "Bei uns gab es 2013 in der Wüste im Norden von Mali Aufstände verschiedener Tuareg-Stämme und immer wieder Eingriffe der malischen Regierung. Die Ereignisse überhäuften sich. Die Lage hatte sich so verschärft, dass wir dort unmöglich unser neues Album realisieren konnten. Es war schon sehr gefährlich für uns, aber mit einem europäischen Aufnahmeteam durch die Sahara zu ziehen wäre schier Selbstmord gewesen" berichtet Abdallah Ag Alhousseyini. Der Gitarrist der Band Tinariwen schluckt und runzelt die Stirn. Der Albumtitel "Emmaar" bedeutet brennend heiß und verweist auf die aktuelle prekäre, politische Lage in seiner Heimat. Glücklicherweise hätten sie einen Freund in Kalifornien, fährt Abdallah fort, der sie auf die Idee brachte, die Aufnahmen für das Album in der kalifornischen Wüste Joshua Tree zu realisieren. Bisher haben die Nomaden-Musiker alle ihre sechs Alben in der Sahara produziert, aber dieses Mal mussten sie nach Kalifornien ausweichen.
    Inspiration in der Wüste
    "Auch wenn es nicht die Sahara ist, so haben wir dort doch wichtige Inspirationen gefunden." Endlose Wüstenlandschaften, unerbittliche Trockenheit und harte Lebensumstände spiegeln sich in ihrem rauen, rohen Wüstenrock wider. Am Album "Emmaar" haben der Red-Hot-Chili-Pepper Gitarrist Josh Klinghoffer und der Poet Saul Williams mitgewirkt. Tinariwen thematisieren einerseits die Natur, die Schönheit der Wüste, aber auch Politisches: so werden Forderungen nach Freiheit, Selbstbestimmung und Anerkennung der Tuareg laut. Abdallah ist der kreative Kopf der Band. Sehr viele Texte stammen aus seiner Feder, die er in der einheimischen Sprache Tamaschek schreibt.
    "Übersetzt bedeutet der Titel des Songs: 'Das verkaufte Volk' " Erläutert Abdallah die ersten Zeilen eines Liedtextes. "Dann heißt es: Der Frieden lässt sich nicht erzwingen, und dann folgt ein Appell: 'Tuareg-Stämme, kommt alle zusammen, wir müssen uns vereinigen und zusammenhalten!' Ich gehe auch auf die französische Kolonialisierung ein, und zwar auf deren willkürliche Grenzziehung sowie Aufteilung der afrikanischen Länder. Damit begannen nämlich die schweren Zeiten für die Tuareg, die sich seitdem zusehends verschärfen. Heute sind die Tuareg in allen Staaten Minderheiten ohne Mitsprache, Tausende Kilometer von den modernen politischen Zentren entfernt. Wir sind das 'verkaufte Volk'".
    Musikalischer Aufschrei
    Der Ton ihrer Botschaften ist entschiedener geworden. Die Vorgängeralben waren ein Ruf, doch "Emmaar" ist ein Aufschrei. Und die Konflikte brechen nicht ab: 29.11.2013: in der Stadt Kidal haben Tuareg-Rebellen das Ende ihres Waffenstillstands verkündet, 14.12.2013: Zwei UN-Soldaten in Kidal getötet ...
    Die Nomaden-Band fühlt sich als musikalische Stimme der Tuareg. Auf dem neuen Album setzten sie wie immer die elektrischen Gitarren als friedvolle Waffen ein. Adallah: "Vielen Europäern ist unser Leben als Tuareg unbekannt. Warum sprechen so wenige von unseren Problemen? Wir fühlen uns unverstanden und haben als Band noch viel zu tun. Unsere Lage verbessert sich keineswegs." Mit ihrem Sound haben sich Tinariwen einen Namen als die Rolling Stones der Sahara gemacht und für ihr letztes Album "Tassili" den World-Music-Grammy erhalten. Mit ihren Gitarren kämpfen Tinariwen unbeirrt weiter für ein besseres Leben der Tuareg.