Mittwoch, 17. April 2024

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Tod des Terrorverdächtigen al-Bakr
"Wir verlieren auch eine wichtige Informationsquelle"

Die Hintergründe der geplanten Taten von Dschaber al-Bakr seien zum Zeitpunkt des Suizids noch unklar gewesen, sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach im DLF. Das sei neben dem Verlust des Lebens die eigentliche Tragödie. Es gebe viele offene Fragen, "um die Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten".

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.10.2016
    Der Bundestagsabgeordnete, Wolfgang Bosbach (CDU), spricht am 06.09.2016 in einem Haus des Deutschen Bundestages in Berlin mit einer Journalistin der Deutschen Presse-Agentur.
    Wolfgang Bosbach (CDU) fordert: Fehler müssten nun von den Verantwortlichen eingeräumt werden. (dpa / picture alliance / Gregor Fischer)
    Es sei bekannt gewesen, dass der Terrorverdächtige suizidgefährdet war. Nun komme es auf die Aufklärung an und auf die Frage, welche Vorgaben es bei der Überwachung von al-Bakr gegeben habe und wie sie umgesetzt worden seien.
    Er habe es schon "zu oft" erlebt, dass sich eine Tragödie ereignet habe und nachher "alles schön geredet" worden sei. Allerdings wolle Bosbach noch nicht bewerten, ob es sich beim Suizid des Verdächtigen in der JVA Leipzig um ein Systemversagen handle. Fehler müssten nun von den Verantwortlichen eingeräumt werden.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wir sprechen heute Morgen über den Selbstmord des terrorverdächtigen Syrers Jaber al-Bakr gestern Abend in einer Gefängniszelle in Leipzig und am Telefon ist Wolfgang Bosbach, bis im vergangenen Jahr Vorsitzender des Innenausschusses im Deutschen Bundestag, nach wie vor CDU-Abgeordneter. Schönen guten Morgen, Herr Bosbach.
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Bosbach, dieser Selbstmord eines Terrorverdächtigen, wirft das wieder mal ein schlechtes Licht auf die Sicherheitsbehörden in Sachsen?
    Bosbach: Ich möchte zunächst einmal die genauen Umstände kennen, bevor ich zu einer Bewertung komme. Das ist eine wahre Tragödie, was sich dort ereignet hat - nicht nur, weil ein Mensch sich selber umgebracht hat. Auch wenn er Terrorverdächtiger war: Es ist immer eine Tragödie, wenn ein Mensch auf diese Weise sein Leben verliert. Aber wir verlieren auch eine wichtige Informationsquelle. Es war ja gerade nicht so, dass die Tat und die Hintergründe der geplanten Tat aufgeklärt waren. Es gab ja sehr, sehr viele noch offene Fragen, die wichtig gewesen wären, um die Sicherheit in unserem Lande zu gewährleisten, und es war ja wohl bekannt, dass der Häftling suizidgefährdet war. Und egal, ob man jetzt sagt, er stand unter permanenter Beobachtung, oder unter regelmäßiger Beobachtung, entscheidend ist doch: Was wurde angeordnet auch zu seinem Schutz. Es bestand ja die Gefahr der Eigengefährdung und wie ist diese Anordnung in der Praxis umgesetzt worden? Das sind jetzt noch offene Fragen.
    Armbrüster: Sie kennen ja nun, Herr Bosbach, die Praxis in solchen Einrichtungen durch Ihre jahrelange Arbeit als Innenpolitiker. Können Sie sich irgendeine Erklärung vorstellen dazu, wie so etwas passieren kann, wieso ein Häftling, der als suizidgefährdet gilt, der eigentlich permanent beobachtet werden soll, wieso der nicht beobachtet wird und tatsächlich dann auch Selbstmord begehen kann?
    Offensichtlich nicht kontinuierlich überwacht worden
    Bosbach: Ich kenne die genauen Umstände des Einzelfalles nicht. Ich möchte auch keine Vorwürfe erheben. Solange ich den Vorgang im Detail nicht erklärt bekommen habe. Aber es ist ja regelmäßig so, leider so, dass Häftlinge, U-Häftlinge, suizidgefährdet sind. Man weiß um die Gefahren und sie müssen dann in ganz, ganz engen Takten kontrolliert werden. In ganz anderem Zusammenhang hatten wir diese Debatte bei den Haftbedingungen von Herrn Middelhoff. Damals haben die Anwälte erklärt, es seien ja schon fast Verhältnisse wie Guantanamo, Herr Middelhoff würde unter Schlafentzug leiden, durch die regelmäßige Beobachtung, weil auch wohl immer wieder das Licht in der Zelle angemacht wurde, um zu kontrollieren, wie es dem Häftling geht. Wie die Umstände in Sachsen waren, wissen wir beide im Moment des Gespräches nicht, aber ganz offensichtlich ist er ja nicht so kontinuierlich überwacht worden, dass nichts passieren konnte. Sonst hätte er sich gar nicht in der Zelle erhängen können. Das ist ja das wirklich Unbegreifliche an diesem Fall.
    Bosbach: Wir berichten ja nun immer wieder über Versagen in Sachsen, vor allem bei den Justiz- und Sicherheitsbehörden, auch zum Beispiel vor wenigen Tagen bei der Festnahme von Herrn al-Bakr. Sehen Sie da möglicherweise eine Serie, oder dass da möglicherweise an zentraler Stelle in der sächsischen Sicherheitspolitik etwas schief läuft?
    Bosbach: Sie haben es nicht genannt, aber Sie sprechen wohl von einem Systemversagen. Ich glaube, man sollte sich im Moment noch zurückhalten, ob es sich hier um menschliches Versagen gehandelt hat, also ein momentanes Versagen. Bevor man die genauen Umstände nicht kennt, ist es sehr, sehr schwer oder fahrlässig, ein wirklich valides Ergebnis dann festzustellen. Aber ich habe es schon zu oft erlebt, nicht nur oft, zu oft erlebt, dass man eine wirkliche Tragödie hatte, ein dramatisches Ereignis, und hinterher wurde im Detail erklärt, dass eigentlich alles richtig gelaufen sei, dass niemand einen Fehler gemacht habe. Man kann auch Vertrauen dadurch gewinnen, indem man mal einen Fehler einräumt, indem man Versagen eingesteht. Wie es in diesem konkreten Fall war, wissen wir beide im Moment nicht, aber ich fürchte, es wird uns auch um elf Uhr in der Pressekonferenz wiederum erklärt werden, eigentlich ist alles richtig gemacht worden, niemand hat einen Fehler gemacht, nur das Ergebnis ist ein Drama.
    Armbrüster: Wie wichtig wäre die Aussage von Herrn al-Bakr denn gewesen für die deutschen Sicherheitsbehörden?
    Al-Bakr war "wohl aussagebereit"
    Bosbach: Sie wäre sehr, sehr wichtig gewesen. Er war ja auch wohl aussagebereit. Nun weiß man nicht, ob die Aussagen, die gemacht werden, richtig sind oder nicht, aber man hätte vielleicht weitere Ermittlungsansätze gehabt. Er war wohl längere Zeit in der Türkei, er hat sich wohl auch in Syrien einige Zeit aufgehalten. Zu wem hatte er dort Kontakt? War es ein Einzeltäter, ist er Teil einer Gruppe? Kennt er möglicherweise von einer etwaigen Gruppe noch andere potenzielle Täter, die sich in Deutschland oder in Europa aufhalten? Woher kam der Sprengstoff? War er selber alleine zur Tat entschlossen, oder hatte er Hintermänner? Hatte er Anstifter, hatte er Gehilfen? Das sind doch alles Fragen, es war ja eben nicht aufgeklärt. Er war festgenommen, das stimmt. Er saß in U-Haft, er war beschuldigt, das stimmt. Aber die Hintergründe sind doch noch völlig ungeklärt gewesen zum Zeitpunkt des Suizides, und das ist neben des Verlustes des Lebens die eigentliche Tragödie, dass jetzt wichtige Erkenntnisse zur Abwehr von Gefahren für unser Land möglicherweise nicht mehr gewonnen werden können.
    Armbrüster: Dann zum Schluss noch die Frage, Herr Bosbach, mit Bitte um eine kurze Antwort. Könnte es eng werden heute für den Justizminister und den Innenminister in Sachsen?
    Bosbach: Möglich ist es. Für sehr wahrscheinlich halte ich es nicht. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass wieder erklärt wird, eigentlich haben wir alles richtig gemacht.
    Armbrüster: Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach heute Morgen hier bei uns in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Bosbach.
    Bosbach: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.