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Tod eines Kardinals

Ein Erzbischof will sich den politisch Mächtigen seiner Zeit nicht unterwerfen und wird umgebracht. Der Schriftsteller T.S. Eliot hat aus dem Stoff ein Drama gemacht, der italienische Komponist Ildebrando Pizzetti nahm diese Vorlage und verfasste nach dem Zweiten Weltkrieg seine Oper "Murder in the Cathedral". In Frankfurt ist sie nun auf die Bühne gekommen.

Von Frieder Reininghaus | 02.05.2011
    Pizzettis späte Historienoper zum Leben, Streben und Sterben des ehrgeizigen Kanzlers und Erzbischofs Thomas Becket wurde 1958 an der Scala in Mailand uraufgeführt, war ein Erfolg – und wurde vergessen. Sie basiert auf einem Versdrama von T.S. Eliot aus der Mitte der 30er-Jahre – einer bemerkenswerten Dichtung. Eliots Text war durchaus kritisch gegenüber der Kirchenpolitik des Hochmittelalters gemünzt, skeptisch gegenüber den Motiven des Märtyrertums von Thomas Becket und ausgestattet mit einem gewissen Wohlwollen für "eine gerechte Unterordnung des kirchlichen Machtwillens unter die Wohlfahrt des Staates", auch wenn die Methoden zur Erlangung dieses erstrebenswerten Ziels als so unfein dargestellt werden, wie sie dies in der wirklichen Geschichte nun einmal waren.

    Die kompositionsgeschichtlich kenntnisreiche und dicht gewobene Musik Ildebrando Pizzettis schöpfte aus unterschiedlichen Quellen: Anders als die meisten Literaturopern, die vor einem halben Jahrhundert als neue Werke auf die Bühnen kamen, erscheint Assassino nella cattedrale weder neoklassizistisch inspiriert noch entschieden modern motiviert, sondern aus einem wohl dosierten Fortfließen des spättonalen Flussdeltas, in dem Richard Strauss einen Hauptarm bestritt, Ottorino Respighi einen wichtigen italienischen Seitenstrang. Freilich finden sich durchaus Passagen verdichteter Dissonanzen in der Partitur – drastische Schichtungen, die dem dramatischen Duktus geschuldet waren und die sich in hohem Maß um die Unterstützung, Umrahmung und Kontrapunktierung der Hauptpartie ranken.

    John Tomlinson meistert das, was der Stimme Beckets mit auf den Weg gegeben wurde, mit Souveränität und Noblesse; zugleich hebt er mit Momenten des Rauen und Ungehobelten das Halsstarrige der historischen Figur hervor. Die Kombination dieser Momente sorgt für ein eigentümliches, stimmig erklingendes Basskolorit. Tomlinson, mit Silbermähne und Vollbart geschmückt, zeigt den machtversessenen Erzbischof als glänzenden und dabei zugleich selbst reflektierten Selbstdarsteller – vom ersten Augenblick an, in dem er über ein Fallreep zu den drei einsam auf weiter dunkler Flur wartenden Weihnachtsbäumchen heruntersteigt und sich auf Holzpaletten für sein letztes Gefecht ausruht, dann die früheren Mitarbeiter begrüßt, die Frauen von Canterbury verzückt, den drei naheliegenden weltlichen Versuchungen widersteht und der Herausforderung durch die Option des Martyriums gewahr wird.

    Die Inszenierung von Keith Warner folgt einer bewährten Linie der optischen Annäherung ans Hollywoodkino von vorgestern – die Frauen von Canterbury sind immerhin von gestern und die vier bösen Buben, die den Kirchenfürsten mit ihren martialischen Vielzweck-Werkzeugen bedrängen und dann mit langen Messern abstechen, tragen britische Dandy-Anzüge des 18. Jahrhunderts. Die Kostümierung erscheint so schön wie das Blut dekorativ. Das passt nicht schlecht zu Heroisierung und Verklärung des zwiespältigen Thomas Becket, dessen maßlosem Leben und schrecklichem Sterben allerdings bereits die Bearbeitung und Betönung durch den Musikkritiker und Komponisten Pizzetti einen Teil jener kritischen Zähne zog, die T.S. Eliot ihnen zugedacht hatte.