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Tod eines Kritikers

Da man von mir, was zu schreiben ich mich jetzt veranlasst fühle, nicht erwartet, muss ich wohl mitteilen, warum ich mich einmische in ein Geschehen, das auch ohne meine Einmischung schon öffentlich genug geworden zu sein scheint. Mystik, Kabbala, Alchemie, Rosenkreuzertum -, das ist, wie Interessierte wissen, mein Themengelände. Tatsächlich unterbreche ich, um mich in ein täglich mit neuen Wendungen aufwartendes Geschehen einzumischen, die Arbeit an meinem Buch 'Von Seuse zu Nietzsche'.

Maike Albath | 30.06.2002
    Da erhebt jemand gequält seine Stimme, fegt schweren Herzens Predigten und Traktate vom Tisch, kehrt der düsteren Gelehrtenkammer den Rücken und taucht ein in das gleißende Licht der Öffentlichkeit. Der Literaturbetrieb wird im Mittelpunkt seiner Recherche stehen, der mysteriöse Verbleib eines übermächtigen Kritikers namens André Ehrl-König, schillernder Star eines Büchermagazins im Fernsehen, allseits verhasster Richter über gute und schlechte Literatur. Sämtliche Größen des Kulturlebens wird Michael Landolf befragen, denn der Mystik-Experte will die Unschuld seines Freundes Hans Lach beweisen, der des Mordes an Ehrl-König bezichtigt wird. Noch zögert der tiefsinnige Denker, sich dem Diesseitigen zuzuwenden, noch sucht er tastend nach Worten. Seine wahre Bestimmung ist die Vergangenheit. Im vorbürgerlichen Zeitalter, da verbirgt sich der Kern des Seins, da schlummert die reine Seele.

    Es sind eher die Vorbereitungen zu diesem Buch, die ich unterbreche, als die Arbeit an ihm. Inhalt: In die deutsche Sprache kommt der persönliche Ton nicht erst durch Goethe, von dem Nietzsche gierig profitierte, sondern schon durch Seuse, Eckhart und Böhme. Weil das bürgerlich Geschriebene unsere Erlebnis- und Fassungskraft besetzt hat, haben wir, das Publikum, nicht wahrnehmen können, dass die Mystiker ihre Ichwichtigkeit schon so deftig erlebt haben wie Goethe und wie nach ihm Nietzsche. Nur waren sie glücklich und unglücklich nicht mit Mädchen, Männern und Frauen, sondern mit Gott ...

    "Ichwichtigkeit" - so lautet das Stichwort, und von krankhafter Egomanie sind Walsers Helden allesamt befallen. Aber weil sie nicht Gott, sondern andere Menschen als Bezugsgrößen wählen, steigert sich ihr Selbstempfinden ins Unermessliche. Schon auf der ersten Seite seines neuen Romans Tod eines Kritikers entwirft Martin Walser mit kühnem Federstrich eine Gegenwelt zu der verlogenen Medienöffentlichkeit unserer Tage und vermutet ähnlich wie Botho Strauss im Mittelalter einen Hort des Ursprünglichen. Noch nicht vom Keim der Aufklärung infiziert und fern von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, scheint den Mystikern eine utopische Kraft inne zu wohnen. Das trutzige Deutsch des Meister Eckhart, Heinrich Seuses zartes mystisches Fühlen mit seinen pantheistischen Anwandlungen und die sprachgewaltigen Gedankengebäude des polternden "philosophus teutonicus" Jacob Böhme mögen es Walser angetan haben. In Meister Eckharts Buch der göttlichen Tröstungen von 1308 erscheint das Sein Gottes als das reine Sein, das sich aus Ideen wie Wahrheit, Gerechtigkeit und Weisheit zusammensetzt. Während bei dem mittelalterlichen Mystiker der Verlust des materiellen Gutes dem Menschen über das Leid den Zugang zum transzendentalen Sein ermöglicht, kommt Walsers Held dem anmaßenden Umgang mit Begriffen wie Gerechtigkeit und Wahrheit auf die Schliche und porträtiert eine zynische Literaturschickeria, die jede metaphysische Verankerung verloren hat. Walsers dreistufige Beweisführung, untergliedert in die Teile "Verstrickung", "Geständnis" und "Verklärung" ließe sich als Anspielung auf die dreistufige Schöpfungslehre Jacob Böhmes deuten, der im 17. Jahrhundert Natur- und Menschengeschichte nach diesem Muster auffächerte und eine neue Gottesvorstellung entwarf, bei der Gott sich selbst gebiert. Bei Martin Walser wird der Literaturkritiker zu einer göttlichen Instanz. Doch zunächst einmal eilt der Ich-Erzähler Michael Landolf seinem verdächtigen Freund Hans Lach zu Hilfe. Hans Lach, ebenfalls Schriftsteller und anders als Landolf leidenschaftlicher Teilnehmer am öffentlichen Diskurs, soll im Anschluss an eine Party im Hause des Verlegers Pilgrim André Ehrl-König umgebracht haben. Ein blutgetränkter Cashmere-Pullover ist das einzige Indiz, von der Leiche fehlt jede Spur. Das Motiv: Rache. Ehrl-König, bis in die Diktion hinein Marcel Reich-Ranicki nachempfunden, hatte Lachs Roman Mädchen ohne Zehennägel in seiner Fernsehsendung "Die Sprechstunde" im Beisein der amerikanischen Intellektuellen Martha Friday grausam verrissen.

    Er, Ehrl-König, predige in einer ihm schon selbst auf die Nerven gehenden Hartnäckigkeit, dass er beschränkte Weibspersonen weder im Leben noch in Romanen ertrage. Was tut Feroind Lach: schiebt eine unbelehrbar bescheränkte Weibsperson über vierhundertneunzehn Seiten durch einen Roman, der dann auch noch Mädchen ohne Zehennägel heißt. Oh, wie habe er, dieses Buch lesen müssend, die Putzfrauen, Pardon, die Reinigungsfrauen in öffentlichen Gebäuden beneidet. Was für eine interessante, spannende Tätigkeit, den Staubsauger über immer neue Bodenschattierungen zu führen, begeleitet vom wunderbaren Gerundton des Elektromotors. Und er muss einen Roman lesen mit bald sovielen Personen wie Seiten. Ach was, Personen! Wenn's doch Personen wären, nur Namen seien's, Pappfiguren mit daraufgekelebten Namen, bis hundert habe er mitgezählt, dann habe er's gelassen, da lese er doch lieber gleich das Telephonbuch, habe er gedacht. Martha Friday lachte hell heraus, klatschte, so auch das Publikum. Ach ja, Martha, seufzte er dann, Sie wissen nicht, was man mitmacht, wenn man sein Leben für die deutsche Literatür opfert. Fast nur dämliche Frauenfiguren, keine Erotik, die einem unter die Haut gehe, keine Sexualität, die es mit einem Glas Champagner aufnehmen könnte, nichts als Fanta, Fanta, Fanta, aber ohne -sie.

    Ein selbstverliebter Kritiker, ein unterhaltungswütiges Publikum, geifernde Zeitgeist-Feuilletonisten und pseudo-moralische Intellektuelle - so karikiert Martin Walser die bundesrepublikanische Kulturwelt und lässt alles aufmarschieren, was Rang und Namen hat, satirisch verfremdet, versteht sich. Der teutonische Brausekopf vom Bodensee ist schließlich selbst Teil des Betriebs und nützt mit Kalkül sein Wissen, teilt aus, ohrfeigt, verrät intime Details und spart nicht an boshaften Bemerkungen. Wer die Szene kennt, kann Tod eines Kritikers als Schlüsselroman lesen: Der Überraschungsgast der "Sprechstunde" Martha Friday ist ein Susan-Sonntag-Verschnitt, ein Kontrastprogramm zu Sigrid Löffler, die schließlich wegen der beleidigenden Bemerkungen Marcel Reich-Ranickis in puncto erotischer Literatur vor zwei Jahren aus dem "Literarischen Quartett" ausschied. Das eher wacklige Gerüst des Romans bilden die Nachforschungen Michael Landolfs, der sich von sämtlichen Beteiligten die letzte Sendung Ehrl-Königs und die anschließende Party schildern lässt, außerdem Hans Lach im Gefängnis aufsucht und verschiedene Tonbänder transkribiert. Hinter Landolfs kulturgierigem Hauptinformanten Professor Silberfuchs, genannt Silbenfuchs, verbirgt sich Joachim Kaiser. Der schwergewichtige, aber rhetorisch plumpe Verleger Pilgrim, der im Verlauf des Romans auch noch stirbt, ist der tatsächlich schwerkranke Siegfried Unseld, seine begehrenswerte Gattin Julia Pelz Pilgrim die Ehefrau Unselds Ulla Berkéwicz. "DAS" lautet bei Walser der Name eines Magazins, das dem Spiegel ähnelt. Der beschwichtigende Professor Wesendonck teilt zahlreiche Eigenschaften mit Jürgen Habermas, und das geschlechtslose Geschwisterpaar Reiner Heiner Henkel und Ilse-Frauke von Ziethen ist ein ebenso bösartiges wie treffendes Porträt der Eheleute Inge und Walter Jens. Auch der Schriftsteller und Hauptverdächtige Hans Lach, der, wie sich gegen Ende des Romans herausstellt, den emsigen Detektiv Michael Landolf nur erfunden hat, bekommt sein Fett ab: ein geltungssüchtiger, kränkbarer Literat, der auf allen Hochzeiten tanzt und, wie es heißt einer "Brutalplastik asiatisch-afrikanischer Naivkunst" ähnelt. Aber das Zentrum von Martin Walsers Tod eines Kritikers ist die kaum camouflierte Marcel Reich-Ranicki-Figur André Ehrl-König. Seit seinen frühen Romanen durch eine konfliktreiche Beziehung an den Großkritiker gekettet, ahmt Walser Reich-Ranickis Sprechweise, Argumentationsstrategien und Denkmuster nach und nimmt physiognomische Besonderheiten und Körpersprache aufs Korn.

    Dabei warf er die Hände so heftig schräg nach oben, dass es aussah, als wolle er sie loswerden. Das war bei ihm immer die Geste seiner völligen Hingerissenheit von sich selbst, sein Publikum kennt das und reagiert seinerseits auf jeden so von ihm produzierten Höhepunkt mit Hingerissenheit, Lachen, Klatschen, auch schon mal mit begeistertem Johlen. Sein runder Kopf falle, wenn er die Hände so fortwerfe, schräg nach unten, sagt, vom Genauigkeitsehrgeiz befallen, der Professor. Er sei deshalb schon mit Christus verglichen worden. Das sei ihm einmal in einer der vielen Talk-Shows, die er absolviere, gesagt worden, halb spielerisch natürlich. Er aber habe sofort zugegriffen mit einer Heftigkeit, die zwischen Spiel und Ernst keinen Unterschied mehr gestatte: Ihm sei vom gescheitesten der jungen DAS-Intellektuellen bescheinigt worden, dass er durch seine SPRECHSTUNDE die Tradition des elenden Sowohl-als-auch in der Literaturkritik beendet habe, er sei da gefeiert worden als der Entweder-Oder-Mann, und seit dem sei er dann und wann der genannt worden, der die Praxis Christi: Ihr sollt Ja sagen oder Nein und die flauen Lauen ausspucken aus eurem Munde, der diese Entschiedenheit in die Literaturkritik eingeführt habe.

    Hemmungslose Rachlust spricht aus den Tiraden der ehemaligen Freunde André Ehrl-Königs, der sich hier, flankiert von der TV-Gemeinde, zum Nachfolger Christi aufschwingt. Der Vergleich ist boshaft, passt allerdings in das Koordinatensystem des Romans. Schließlich hatte Walser seinen Alchemie-Adepten Michael Landolf zuvor von den Mystikern und deren "Ichwichtigkeit" bramarbasieren lassen, die in Abhängigkeit zu Gott erkämpft wurde. Hier nun, und dies ist eine Grundidee Walsers, gebiert das Ich sich selbst. Gott spielt keine Rolle mehr. Erfüllungsgehilfe war ausgerechnet der einstige Intimus und christliche Linksdemokrat Reiner Heiner Henkel, denn er brachte Ehrl-König erst zu sich selbst. Seit seinem bahnbrechenden Erfolg gilt für Ehrl-König nur noch Ehrl-König, millionenfach in alle Wohnzimmer projiziert, ein Fall von totaler Megalomanie, der Ego-Gau schlechthin. In einem atemlos überbordenden, überschäumenden Tonfall, wie wir ihn aus Walsers Romanen kennen, umkreist der Erzähler dieses alles verschlingende, zermalmende Kritiker-Ich. Manches ist amüsant und gekonnt auf den Punkt gebracht, anderes gehässig, vieles geschmacklos. Die 150seitige Suada unterstreicht die Bedeutung des Kritikers noch, denn jeder der Beteiligten ist in seinem Selbstbild vollständig abhängig von Ehrl-Königs Urteil. Hans Lach tut nichts anderes als barmend auf die Gunst des Kritikers zu harren. André Ehrl-König, so heißt es, sei die Verkörperung des Superlativischen, aber das Superlativische, die fortwährende Überbietung des bereits Gesagten, entspricht auch der Machart des gesamten Buches. Quälend langatmig gestalten sich dann auch die Variationen der Klagegesänge über die Grausamkeit des Ur-Vaters, die mal aus diesem, mal aus jenem Munde tönen, sich in Form und Inhalt aber ähneln. Völlig verquast wirken die Gesundungsphantasien der verderbten Kulturwelt aus tieferen Regionen. Hier ist die entzückende und eiskalte Julia Pelz Pilgrim federführend, von der sich Michael Landolf Schützenhilfe verspricht, weil sie Gefallen fand an dem überspannten Hans Lach.

    Als ich das las, sagte sie, habe ich gewusst, dass wir zusammengehören, er und ich. Das ist die Beendigung der christlichen Finsternis. Saturn, das wissen Sie, wird mit seiner eigenen Pisse getauft. Deshalb ist er zwar in jeden Schmutz und Abgrund gestoßen, aber er bleibt in jedem Dreck, in den er geworfen wird, der Großvater Apolls. Saturn ist die Zeit vor der Zeit. Und nach ihr. Die absolute Anti-Utopie. Fort und fort frißt er die eigenen Kinder. Hans Lach ist der gequälte Christ, der sich helfen kann zuerst nur mit Delirium, dann mit der Tat. Ehrl-König war die Operettenversion des jüdisch-christlichen Abendlandes, das Antisaturnische schlechthin. Pleasure now, das ist Ehrl-König. Instant pleasure. Blind für den Zustand. Taub für die Gemarterten.

    Das jüdisch-christliche Abendland hat abgewirtschaftet, jetzt ist Mystik gefragt, saturnisch soll es sein. Ganz ernst gemeint ist das nicht, obwohl Julia Pelz Pilgrim alias Ulla Berkéwicz die verführerischste Frauengestalt des Romans ist und am Ende auch noch eine Affäre mit Hans Lach hat. Wer Ulla Berkéwiczs letzten Roman Ich weiß, dass du weißt gelesen hat, erinnert sich an die metaphysisch durchwehten Gestalten mit ihren hochdramatischen Liebesgeschichten und die Allgegenwart Spinozas als Antwort auf das Übel der Welt. Walser macht aus der für ihr sprachmagisches Selbstfindungspathos oft verlachten Berkéwicz die Vertreterin eines ursprünglichen Irrationalismus. Die zerbröselnde Komposition des Romans kann das nicht retten, vor allem im letzten Drittel läuft Tod eines Kritikers mehr und mehr aus dem Ruder. Zuerst gesteht Hans Lach die Tat. Dann meldet sich André Ehrl Königs Gattin zu Wort und behauptet, ihren zu jeglicher sexuellen Befriedigung unfähigen Ehemann erstochen zu haben. Die Medien laufen Sturm, und Reiner Heiner Henkel ist gern gesehener Talkshow-Gast.

    Er, Rainer Heiner Henkel, werde sich allerdings nicht beteiligen an der Herkunftsdebatte. Die erinnere ihn peinlich an andere Zeiten. Egal, zur Schmähung oder zum Preis, er finde Herkunftsdebatten fies und obsolet. Trotzdem ging das weiter: Hans Lach hatte seine Tat in der Tatnacht in der PILGRIM-Villa in einem an Hitler erinnernden Jargon angekündigt. Ab heute nacht Null Uhr wird zurückgeschlagen. - Diesen Hans Lach-Satz konnte man jetzt jeden Tag überall lesen und abends aus allen Kanälen hören. - Wolfgang Leder warf sich im DAS-Magazin diesem Spezialschwall entgegen, erklärte scharf und genau, dass es von nichts als Antisemitismus zeuge, wenn die Ermordung eines Juden, wenn er denn einer gewesen sei, moralisch schlimmer geahndet werde als die Ermordung eines Nichtjuden. Philosemiten seien eben, wie bekannt, Antisemiten, die die Juden liebten. Jetzt mussten die Feuilletons sich mit Leder auseinandersetzen und ihm scharf und genau erklären, dass in Deutschland die Ermordung eines Juden doch wohl ein Faktum ganz anderer Art sei als in jedem anderen Land der Welt. - Dann Leder: Wenn Ehrl-König ermordet worden wäre, weil er Jude gewesen sei, hätten die anderen Recht. Aber es sei ja noch nicht einmal sicher, ob Ehrl-König Jude gewesen sei. Er, Leder, wisse an Ehrl-König nichts so sehr zu schätzen wie dessen Zurückhaltung in der Herkunftsfrage. Dass die Presse daraus immer wieder Tatsachen gemacht habe, sei nicht Ehrl-Königs Schuld, sondern zeige den Geisteszustand der deutschen Gesinnungspresse. Gesinnungspresse war sofort ein Wort, ohne das keiner mehr auskam. Das zweite Leder-Wort für Presse war Meinungsbörse. Das kam nicht in Umlauf. Aber mildern konnten die Feuilletons ihre spezielle Empörung nicht. Warum hat Leder den Hitlerton in der Drohung Ab heute Null Uhr wird zurückgeschlagen einfach übersehen?! So ging es weiter. Erst jetzt hatten die Medien ihr Saisonthema gefunden.

    Auf dem Hintergrund der aktuellen Walser-Debatte liest sich diese Passage wie eine Prophezeiung jener Gefechte, die in den vergangenen drei Wochen über die Feuilletons hereinbrachen. Antisemitisch, wie der Herausgeber der FAZ Frank Schirrmacher es dem Schriftsteller vorwarf, ist Walsers Buch nicht. Allerdings zündelt er mit Denkklischees, legt seinen Figuren Reizwörter in den Mund, nützt auch noch Reich-Ranickis Herkunft für billige Kolportage und lässt als Gegenbild zur Literaturschickeria und Fernsehgesellschaft ein saturnisch angehauchtes mystisches Weltbild am Horizont wetterleuchten. Da Tod eines Kritikers aber im Gewand einer Satire daher kommt und den Charakter einer Kolportage hat, flutscht Walser weg wie ein glitschiges Stück Seife. Der Schluß seines Romans ist lieblos zusammen gezimmert: wie in einem schlechten Krimi zaubert er Ehrl-König im rechten Moment aus dem Ärmel - der notorische Don Juan hat alle an der Nase herumgeführt und romantische Wochen mit seiner Geliebten Cosima von Syrgenstein verbracht. Walsers letzter erzähltechnischer Coup, der auch nicht gerade durch Subtilität besticht, ist die schon erwähnte Michael-Landolf-Fiktion. Der Alchemie- und Mystik-Forscher ist nichts anderes als eine Erfindung des eingebunkerten Hans Lach: der auf Öffentlichkeit versessene Schriftsteller und der lebensabgewandte Gelehrte sind also zwei Seiten derselben Medaille, die zwei Seelen, die auch in Martin Walsers Brust wüten. Eine Gegenfigur zu sämtlichen erfolgsheischenden Schriftstellern hat sich Walser auch noch ausgedacht, einen Psychiatrieinsassen namens Mani Mani, den Hans Lach während seiner Untersuchungshaft kennen lernt. In Mani Mani verbirgt sich ein wahrer Dichter. Weil er aber das Fernsehen für die Wirklichkeit hielt und sich in eine Fernsehansagerin verliebte, wurde Mani Mani verrückt.

    Tausend Jahre nach meinem Tod, gehöre ich zu den Großen. Ich bin eine explodierende Mischung. Arschloch, Schumann, Heine, Dostojewski, Beckenbauer. Was ich eigentlich wollte in meinem Leben - und nichts als das wollte ich -, dass Geneviève Winter vom ORF sagt: Du bist der Mann, den ich begehre, nach dem ich verlange, von dem ich ein Kind will (oder zwei oder drei). Das wollte ich. Habe ich gewollt. Aus. Vorbei.

    Dieser Mann ist noch leidensfähig und erfährt das Schriftstellertum ex negativo. Er wäre ein Genie, wenn er denn zu sich selbst käme. Aber zu sich selbst kommen heutzutage nur noch die Fernsehstars. André Ehrl König lebt auf allen Kanälen, Mani Mani stürzt sich von einer Brücke in den Tod. Und Hans Lach tut das, was zu tun ist. Wie Büchners Lenz geht er einsam ins Gebirg, um alles aufzuschreiben, was ihm wiederfuhr.