Freitag, 19. April 2024

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Tod von Petra Kelly und Gert Bastian
Zwei Leichen, viele offene Fragen

19. Oktober 1992: In einem Bonner Reihenhaus werden die Leichen von Petra Kelly und Gert Bastian gefunden. Der Tod der beiden Friedens- und Menschenrechtspolitiker erschütterte ihre Partei, Die Grünen. Das Rätsel darüber, warum Bastian zuerst seine Freundin und dann sich erschoss, überlagerte auch eine faire Würdigung von Kellys Leistung.

Von Ulrike Winkelmann | 01.10.2017
    Die Grünen-Politiker Gert Bastian und Petra Kelly anlässlich der Bundesversammlung der Grünen 1985.
    Die Grünen-Politiker Gert Bastian und Petra Kelly anlässlich der Bundesversammlung der Grünen 1985. (imago / Sven Simon)
    "Ich glaube an keinen Selbstmord. Sie wären nicht freiwillig von uns gegangen, ohne es uns zu erklären. Es geschah etwas Schreckliches, Grausames, vielleicht wird es einmal aufgeklärt."
    Mit diesen Worten verabschiedete der russische Intellektuelle Lew Kopelew seine beiden Freunde, Petra Kelly und Gert Bastian, Ende Oktober 1992. Kopelew war der erste Redner auf der Trauerfeier in der Bonner Beethovenhalle, welche die Grünen, Kellys und Bastians Partei, vor 25 Jahren für die beiden ausgerichtet hatten.
    Auch die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley erinnerte daran, wie stark sich Kelly und Bastian für einen demokratischen Aufbruch im Osten Europas eingesetzt – und sich dadurch von den Grünen auch abgesetzt hatten.
    "Als wir 1989 aus dem DDR-Knast in den Westen abgeschoben wurden, waren Petra und Gert die ersten, die uns in Bethel besuchten. In der Tasche ihre Protestschreiben an die DDR-Regierung, und Zahnbürsten und Briefpapier für uns. So haben sie geliebt. Damals organisierten sie in Bonn ein Gespräch mit der grünen Fraktion. Die Hälfte aller Grünen verließ den Saal: Für sie waren wir Störenfriede der Entspannungspolitik. Ihre Missachtung der Menschenrechtsverletzung im Osten war aber auch eine Nicht-Achtung von Gerts und Petras Politik. Wie oft werden sie diese Demütigung erlebt haben."
    Bohley war nicht die einzige, die auf der Trauerfeier von dem Graben sprach, der Kelly und Bastian schon Jahre vor ihrem Tod von der grünen Partei trennte. Joschka Fischer sagte offen:
    "Petra und ich waren uns immer sehr fremd geblieben – und haben uns gegenseitig wenig verstanden, ja oft gegeneinander in der Partei gestritten."
    "Dass mit Sicherheit eins ausgeschlossen werden kann..."
    Fast drei Wochen hatten die beiden Friedens- und Menschenrechtspolitiker tot in Kellys Reihenhaus im Bonner Stadtteil Tannenbusch gelegen, als sie am 19. Oktober gefunden wurden. Bastians in München lebende Ehefrau Charlotte hatte sich Sorgen gemacht und eine Nachbarin alarmiert. Die Behörden datierten den Tod später auf den 1. Oktober `92.
    Schon am Tag nach dem Fund der Leichen erklärte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Bonn, Peter Iwand:
    "Ich habe mich aber informieren lassen, dass mit Sicherheit eins ausgeschlossen werden kann: dass dritte Personen an dem Tode von Frau Kelly und von Herrn Bastian verantwortlich sind. Sodass Strafverfolgungsmaßnahmen nicht in Betracht kommen."
    Kriminalhauptkommissar Hartmut Otto ergänzte:
    "Die Todesursache bei Herrn Bastian und bei Frau Kelly sind jeweils ein Schuss in den Kopf."
    Demnach…
    "… muss man nach dem bisherigen Ermittlungsstand und den Untersuchungen der Rechtsmedizin und der Sachverständigen davon ausgehen, dass Frau Kelly erschossen worden ist und anschließend sich Herr Bastian erschossen hat. Es ist ein absoluter Nahschuss, ein sogenannter aufgesetzter Schuss, gewesen. Und da gibt’s einfach nur die Möglichkeit, entweder lag ein Einverständnis vor, oder es ist eben im Schlaf geschehen."
    Bastian hatte Kelly umgebracht. Die Behörden vermochten bei dieser Pressekonferenz so wenig wie irgendjemand sonst zu sagen, ob Petra Kelly den Schuss gewünscht haben konnte.
    Petra Kelly: "Hellster Stern am Himmel" bei den Grünen
    Petra Kelly und Gert Bastian lernen sich im November 1980 kennen. Kelly, 32 Jahre alt und damit fast 25 Jahre jünger als Bastian, gilt zu diesem Zeitpunkt als hellster Stern am Himmel der gerade gegründeten grünen Partei.
    Sie stammt aus Günzburg an der Donau, doch zieht ihre Familie in ihrer Schulzeit in die USA. Kelly ist Jahrgangsbeste, sammelt Leistungsmedaillen, wird "Student Leader", tritt als 19-jährige Vietnamkriegs-Kritikerin mit dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten in einer Talkshow auf.
    Ihre kleine Schwester Grace stirbt an Krebs. Kelly schreibt den Tod der Bestrahlungstherapie zu, er lässt sie zu einer glühenden Kämpferin gegen jede radioaktive Strahlung, gegen Atomkraft werden. Sie zieht nach Europa, arbeitet bei den Europäischen Gemeinschaften in Brüssel. Zur Europawahl `79 ist sie Spitzenkandidatin der soeben gegründeten "Sonstigen Politischen Vereinigung die Grünen", wird im Jahr darauf eine von drei Grünen-Vorsitzenden.
    Sie füllt Säle, sie spricht auch auf der größten Demonstration, die die Bundesrepublik bis dahin gesehen hat, am 10. Oktober 1981 im Bonner Hofgarten. Unter dem Motto "Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen" demonstrieren etwa 300.000 Menschen gegen die Stationierung von Atomraketen in Westeuropa, gegen den sogenannten NATO-Doppelbeschluss.
    "Wir lehnen atomare Bomben und Reaktoren überall ab. Dank der zahlreichen Atomkraftwerke auf dieser Welt, bei uns und anderswo, im Osten wie im Westen, besteht auch die Chance, aus einem ganz gewöhnlichen konventionellen Krieg einen Atomkrieg zu machen. Danke."
    Gerd Bastian: Generalmajor gegen den NATO-Doppelbeschluss
    Zu diesem Zeitpunkt hat der "Krefelder Appell" der westdeutschen Friedensbewegung schon über drei Millionen Unterstützer gesammelt. Gert Bastian hat diesen Appell gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen maßgeblich mit formuliert. Bastian ist ein unwahrscheinlicher, aber deshalb für viele umso glaubwürdigerer Friedenskämpfer: 1923 in München geboren, kämpft Bastian freiwillig im Zweiten Weltkrieg, tritt früh in die Bundeswehr ein. Als Generalmajor hat er das Kommando über eine Panzerdivision, als er 1980 um die Versetzung in den Ruhestand bittet: Er könne den NATO-Doppelbeschluss nicht mittragen.
    Im Mai 1983 sind Kelly und Bastian in Ost-Berlin. Sie wollen für Abrüstung in Ost und West demonstrieren, werden aber schnell von den DDR-"Kontrollorganen" verhaftet. Der Deutschlandfunk-Reporter befragt sie nach der Freilassung vor Ort.
    (Bastian) "Wir wollten aber mit unserer Aktion vermitteln, dass wir es nicht akzeptieren, wenn Friedensbewegungen von beiden deutschen Staaten jeweils nur im anderen Lager bejubelt und unterstützt werden, verbal, aber im eigenen Lager diffamiert werden."
    (Kelly) "Ich habe heute sehr viel gelernt in der DDR, ich habe auch gelernt, dass viele Menschen, Bürgerinnen und Bürger der DDR, die Blumen angenommen haben, froh waren. Die Basis hat hier sehr positiv reagiert, die Funktionäre haben negativ reagiert; das kenne ich auch manchmal bei den Grünen."
    (Bastian) "Ja, und wir haben appelliert an die nach unserer Meinung bestehende besondere Verantwortung der beiden deutschen Staaten für Frieden und Abrüstung in Europa."
    Reporter: "Ob das was bringt, Herr Bastian?"
    (Bastian) "Das wird nicht unmittelbar etwas bringen, aber das ist ein kleiner Tropfen auf dem großen Fluss, der notwendig ist, um etwas zu verändern. Und ohne viele kleine Tropfen wird es zu diesem großen Fluss nie kommen."
    Stand in Akten des KGB Belastendes über Bastian?
    Bastian war auch Mitglied der "Generale für den Frieden". Weil diese Gruppe von der Stasi initiiert und bezahlt wurde, stand Bastian nach der Wende unter IM-Verdacht – die Frage der Akteneinsicht spielte auch direkt vor Kellys und Bastians Tod eine Rolle.
    Doch der Verdacht bestätigte sich nicht. Seine Stasi-Akte gab nichts her – im Gegenteil: Dem DDR-Regime hatte das Paar Kelly-Bastian mit der Unterstützung für die DDR-Bürgerrechtler großen Kummer bereitet. Unklar ist allerdings bis heute, ob in den Akten des sowjetischen Geheimdienstes KGB noch Belastendes über Bastian stehen könnte.
    Die Grünen, darunter Petra Kelly und Gert Bastian, die im März 1983 in den Bundestag einzogen, trugen einen enormen basisdemokratischen Anspruch mit sich. Die "Anti-Parteienpartei" wollte durch zweijährliche Rotation verhindern, dass die Fraktion zu sehr "Establishment" wurde. In der Praxis hieß das: Wer sich gerade eingearbeitet hatte, sollte sofort wieder abtreten. Kelly und Bastian machten nicht mit. Bastian verabschiedete sich auch deshalb schon bald aus der Fraktion.
    Christa Nickels, die viel später, unter Rot-grün, Gesundheits-Staatssekretärin wurde, erinnert sich:
    "Gert Bastian war General. Er kam aus einer Struktur, die auf Befehl und Gehorsam funktionierte. Für den muss das richtig quälend gewesen sein, sich dieser Diktatur des Gesäßes auszusetzen. Wir hatten am Anfang öffentliche Sitzungen, dann haben erst einmal sich dann alle möglichen Eitelkeiten ausgetobt bis 21 Uhr. Und danach hat man dann von 22 Uhr bis 2 Uhr die wichtigen Sachen in trockene Tücher gekriegt. Dass das für einen Mann, der schon lebensälter war, ein Horror war, wo er vielleicht regelrecht auch physisch drunter litt, kann ich nachvollziehen."
    "Verloren im Bundestag"
    Doch auch Kelly wirkte im Bundestag plötzlich verloren. Trat sie vors Plenum, schien es, als hätte ihr jemand ihre berühmten Unmengen an Energie einfach abgesaugt.
    Mit Marieluise Beck scheidet aktuell die letzte Vertreterin der ersten Grünen-Fraktion aus dem Bundestag aus. Beck erzählt, im hoch emotionalen Umfeld der Friedensbewegung habe Kelly mit ihrer Vehemenz große Kraft entfalten können:
    "Und ich kann mich gut daran erinnern, dass ich diese Elektrisierung auch selber gespürt habe."
    Doch im Bundestag bekam Kelly es mit dem Zynismus und der Härte des politischen Gegners zu tun:
    "Der Deutsche Bundestag war ein vollkommen anderer Ort, so als ob es keinen Raum für eine Akustik, für ein kein Echo für ihre Stimme gegeben hätte. Und sie wirkte auf einmal bis hin zu ihrer äußerlichen Aufmachung so schlicht, so ... klein. Sie konnte in diesem Raum kein Charisma entfalten."
    "Wenn man Petra im Parlament reden hörte, das hatte etwas Gehetztes, als hätte man irgendwie so ein Reh da reingetrieben – und – ja."
    Die Freiheit Tibets, das Schicksal der Indianer in den USA, der australischen Aborigines, der Überlebenden von Hiroshima - Kelly kämpfte für sie, und sie spannte dafür alle um sich herum ein, Tag und Nacht, messianisch und bisweilen wohl auch manisch, unzählige Anekdoten handeln davon. Für die Fraktion und für die Partei war das zu viel Welt, und zu viel Leid, zu viel Petra, und zu wenig Team.
    Abgang: "Abgelegt wie einen alten Waschlappen"
    Und niemand hat Kelly gestoppt. Bekannt, wie sie war, bekam sie auch bedrohliche Schreiben bis hin zu Morddrohungen. Sie begann, unter Angstzuständen zu leiden. Irgendwann wandte sich Gert Bastian an seinen Sohn, den Mediziner Till Bastian.
    "Dann hat er uns mal besucht und sich schon deutlich darüber ausgelassen, dass er Petra für seelisch krank hält - womit er sicher recht hat, das war auch mein Eindruck -, und welche Therapie-Möglichkeiten es denn gäbe. Aber er hat das schon gemerkt, dass mit ihr was nicht in Ordnung war, um das so mal auszudrücken."
    Die Grünen litten derweil unter fortdauernder Fraktionierung. Kelly selbst erzählte 1988 vor einer Berliner Schulklasse:
    "Die Strömungen bei den Grünen - nicht nur diese Realo- und sogenannte fundamentalistische Strömung - große Strömungskämpfe – die bedauere ich sehr. Ich denke, wenn wir so weiter wurschteln, dann würden die Grünen 1991 nicht mehr in den Bundestag kommen. Durch die Strömungskämpfe."
    Sie behielt recht – nur dass die Wahl dank der Deutschen Einheit schon 1990 kam. Die West-Grünen rutschten unter die Fünf-Prozent-Hürde. Auf dem folgenden Parteitag in Neumünster bereiteten sie sich selbst ein politisches und menschliches Desaster:
    "Aaaah – der schlimmste Parteitag, den es je gab, in einer Viehversteigerungshalle. Das war ein Parteitag von individuell taumelnden Delegierten…"
    …auf dem Petra Kelly, die für den Vorstand kandidierte, nur noch wenige Dutzend Stimmen erhielt. Auch andere Führungskräfte wurden von der Basis verstoßen. Doch Kelly bekam gar keinen Platz mehr in der Partei, obwohl die halbe Welt sie weiterhin als die grüne Globalpolitikerin ansah und auch vereinnahmte:
    "Diese ganze Flut von Kontakten, man hatte ja kein Internet, das musste alles per Post gehen, Waschkörbeweise kam das bei der an, – das war schon damals eine gigantische Überforderung. Und als wir dann aus dem Bundestag rausgeflogen waren, hörte das Interesse der Menschen, die in Bewegung waren, nicht auf! Und dann saß die dann wirklich buchstäblich in ihrem ganzen Kram. Und das war dann ein Riesen-Zirkus, bis man der dann ein Stück weit - ihr minimalst eine Unterstützung gab, das bewältigen zu können. Ich hab gedacht, das kann doch nicht sein. Die hat einfach die Gabe, unglaublich was zu bewegen –für uns war es ja auch inspirierend – und man hat die dann so abgelegt wie einen alten Waschlappen. Das kanns ja nicht sein."
    "Keinen Hinweis, dass Kelly hatte sterben wollen"
    Doch das wahre Unglück wohnte bei Kelly und Bastian zu Hause. Till Bastian berichtete schon bald nach dem Tod seines Vaters, dass die Beziehung eine Falle für beide gewesen sein muss. Aus dieser "symbiotischen Verstrickung", sagt Till Bastian, habe sein Vater, der Soldat, der meist eine geladene Waffe bei sich hatte, wahrscheinlich keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als sich zu töten - und Kelly auch. Ein "Akt fürsorglicher Gewalttätigkeit", der ihn am Ende gar nicht so überrascht habe, erzählt er heute:
    "Ich wusste sehr wohl, dass mein Vater ein problematischer Mensch ist, was seine Gewaltbereitschaft anbetrifft. Ich habe Petra Kelly oft genug sagen hören: ‚Wenn du mal nicht mehr lebst, will ich auch nicht mehr leben‘, und ‚ohne dich will ich nicht auf der Welt sein‘. Sodass sich bei meinem Vater diese Auffassung verdichtet haben könnte, wenn ich sterbe, dann ist es mit ihrem Leben auch vorbei."
    Die Staatsanwaltschaft ging zum Abschluss ihrer Ermittlungen im Februar `93 von einem "erweiterten Suizid" aus: Bastian hatte Kelly getötet, weil er glaubte, sie könne ohne ihn nicht leben. In ihrer Presseerklärung schrieb die Behörde jedoch irreführend: Es gebe, Zitat, "keinen Anlass, an einem Selbstmord der beiden zu zweifeln".
    Das habe man dann vielfach klarstellen, soll heißen: zurücknehmen müssen, erläutert die Bonner Staatsanwaltschaft heute. Denn niemand fand einen Hinweis, dass Kelly hatte sterben wollen: Ihr Terminkalender war voll, trotz vieler Rückschläge hatte sie Pläne, wie immer. Doch in den Tagen nach dem Tod, als Gerüchte aller Art ins Kraut schossen – selbst ein Mord durch Geheimdienste schien manchen denkbar -, saßen sogar grüne Freunde der These vom Doppelsuizid" auf.
    Petra Kelly - erste grüne Globalaktivistin
    Lange Zeit haben die vielen Rätsel um Kellys Verfassung, um die fatale Beziehung und den Tod der beiden auch im grünen Gedächtnis den Blick auf die Leistungen Petra Kellys als erste grüne Globalaktivistin verstellt. Christa Nickels:
    "Die Tatsache, dass sie sich dann eben mehrmals an den Rand eines Burn-outs oder auch in einen Burn-out brachte, den sie dann ohne Auszeit durchgewandert hat, ist kein Ausweis davon, dass sie – ich will es jetzt mal zugespitzt sagen – verrückt war. Niemand würde ja, weil Willy Brandt ein Alkoholproblem hatte, oder irgendwie viele Frauen hatte, ihm seinen Rang als Politiker streitig machen – oder die Verdienste, die er sich um Deutschland erworben hat, kleinreden."
    Marieluise Beck glaubt, Kelly hätte Hilfe gebraucht – und Gert Bastian sei dafür eben der Falsche gewesen. Doch liegt es auch Beck fern, ihr Erbe kleinzureden. Kellys Überzeugung, dass Menschenrechte nicht teilbar sind und überall verteidigt werden müssen, sei ein Maßstab auch für grüne Politik heute, sagt Beck:
    "Für Petra Kelly gab es keine Anti-Pershing-Kampagne ohne eine Anti-SS-20-Aufrüstungs-Kampagne. Und das, meine ich, könnte heute noch – und wäre noch, und ist noch ein Fundament, auf dem sich die Grünen bewegen. Wir haben in der Ukraine den eindeutigen Bruch des Völkerrechts, der - in der Tat der europäischen Friedensordnung. Diese Infragestellung, die würde Petra Kelly scharf kritisieren und das Völkerrecht der Ukraine auf Entscheidungsfreiheit, auch auf Bündnisfreiheit, all das würde sie mit Sicherheit reklamieren. Und mit Sicherheit würde sie die massive Bedrängung der Nichtregierungsorganisationen, die Listung als ausländische Agenten von NGOs – ein Begriff aus dem Stalinismus - all das würde von Petra Kelly, und da bin ich mir sehr sicher, mit genau derselben Klarheit benannt wie durch und durch inhumane Inhaftierung in einem Guantanamo."
    Der Tod als "Mahnung an die Grünen"
    Vieles andere, was die Grünen und die sie umgebenden Initiativen damals beschäftigte, erscheint heute abwegig, manches bestenfalls noch religiös, nicht aber politisch vertretbar. Eine Politik überschießender Gefühle wird heutzutage eher im rechten Spektrum verortet. Die grüne Partei hat sich in einen sehr rationalen Apparat voller gut ausgebildeter Profis verwandelt.
    Doch gerade der älteren Grünen-Generation, die sich über diese moderne Glätte oft beschwert, ist auch klar, dass niemand die 80er und frühen 90er Jahre als bunte, wilde, fröhlichere Zeit der Grünen verherrlichen sollte. Der Ton der Auseinandersetzung muss oft genug demütigend gewesen sein, verletzend auch. Marieluise Beck spricht von "unerträglichem, scharfrichterlichen Verhalten" namentlich derjenigen, die aus den kommunistischen Kadergruppen kamen. Nickels gibt ihr Recht. Sie erkennt in der Bestürzung über Kellys und Bastians Tod einen Wendepunkt:
    "Auf der Trauerfeier, da hatte ich das Gefühl, dass das vor allen Dingen auch die Basis so betroffen hat, im Innersten, dass daraus eine Kraft entstanden ist zu sagen: Das ändern wir. Und ab da ging es meiner Meinung nach auch für die Grünen als Partei ein Stück weit wieder bergauf."
    Auch 25 Jahre später lässt sich der Tod von Petra Kelly und Gert Bastian im Oktober 1992 wenn überhaupt, dann wahrscheinlich aus der zerstörerischen Abhängigkeit der beiden voneinander erklären. Er kam aber zu einem Zeitpunkt, da ihn die Grünen als Mahnung an sich selbst verstehen mussten.