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Todesfälle in der portugiesischen Armee
Die politische Elite schweigt

Bei starker Hitze starben im Spätsommer zwei Rekruten der portugiesischen Armee. Sie mussten extreme Übungen über sich ergehen lassen. Die Medien berichteten ausführlich über den Fall - auch die Staatsanwaltschaft kritisierte die unmenschlichen Trainingsmethoden. In politischen Kreisen hüllt man sich in Schweigen.

Von Tilo Wagner | 06.12.2016
    4. September 2016. Auf einem Trainingsgelände des Militärs in Alcochete, 20 Kilometer östlich von Lissabon, absolvieren 67 Rekruten die Härteprüfung einer Eliteeinheit der portugiesischen Armee. Bei bis zu 48 Grad im Schatten wird die körperliche Verfassung der jungen Männer stundenlang mit Fitness- und Kampfübungen getestet - ohne große Pausen, mit viel zu wenig Wasser. Wer zusammenbricht, wird in die Brombeerbüsche geworfen oder bekommt Sand in den trockenen Mund gerieben, um sicher zu gehen, dass die körperliche Schwäche nicht vorgetäuscht ist. Am Nachmittag wird die Übung schließlich abgebrochen. Fast ein Drittel der Rekruten muss medizinisch betreut werden, zwei Soldaten sterben später an den Folgen ihrer Überhitzung.
    Der Bericht der Staatsanwaltschaft, der in den vergangenen Wochen in den portugiesischen Medien detailgenau wiedergegeben wurde, liest sich wie eine Horrorgeschichte. Selbst in Militärkreisen fragt man sich, wie es zu dem schweren Zwischenfall kommen konnte, so auch der pensionierte Marineoffizier Luís Costa Correia, der auf seinem Blog regelmäßig über politisch-militärische Themen schreibt:
    "Natürlich müssen Eliteeinheiten über besondere Fähigkeiten verfügen. Ich halte es aber für problematisch, unter so harten Bedingungen zu trainieren, die während des militärischen Einsatzes fast nie existieren. Wir können nicht das Leben von Dutzenden von Rekruten aufs Spiel setzen, um für eine Mission zu üben, die vermutlich nie kommen wird. Wenn wir die Rekruten bei einer derartigen Hitze trainieren lassen, muss man sich fragen: Wo sollen die denn kämpfen können? In der Sahara?"
    Bisher wenig Opfer im portugiesischen Militär
    Der Vorfall wirbelt auch deshalb so viel Staub auf, weil das portugiesische Militär in den vergangenen Jahrzehnten nur sehr wenige Opfer zu beklagen hatte. Portugal beteiligt sich zwar regelmäßig mit kleineren Kontingenten an Einsätzen internationaler Organisationen wie der NATO oder der Vereinten Nationen. Doch in Ost-Timor, im Kosovo oder in Afghanistan konnten sich die portugiesischen Streitkräfte überwiegend aus brenzligen Situationen raushalten.
    Für Aufsehen sorgen aber nicht nur die beiden toten Soldaten, sondern auch die Härte, mit der die Rekruten durch die Hitze getrieben wurden. Die Staatsanwaltschaft spricht von "irrationalem Hass" der Ausbilder und Militärärzte gegenüber den jungen Soldaten.
    Diese emotionale Sprache hält die Soziologin Helena Carreiras jedoch für übertrieben. Carreiras, ehemalige Vize-Direktorin der unabhängigen Forschungs- und Bildungsstätte Institut für Nationale Verteidigung, glaubt, dass die portugiesische Staatsanwaltschaft sich nicht genau mit den internen Strukturen der Eliteeinheit befasst habe. Von "Hass" zu sprechen würde den Fall noch stärker aufbauschen. Die Militärexpertin geht davon aus, dass es eine besondere Form der Gruppendynamik gibt, die innerhalb der Eliteeinheit zu dem Vorfall geführt habe:
    Die Eliteeinheit braucht einen außergewöhnlichen Gruppenzusammenhalt, wenn sie die extremen Situationen meistern will, auf die sie während eines Einsatzes treffen kann. Doch die Einheit läuft damit auch Gefahr, sich von der Außenwelt abzukapseln und eine interne Ordnung zu etablieren, die sich nicht mit den allgemeinen Regeln und Zielen des Militärs vereinbaren lässt. In diesem konkreten Fall waren die Trainingsbedingungen so hart, dass sie zum Tod der Rekruten geführt haben, und die Kontrollmechanismen der Armee haben scheinbar versagt. Das kann natürlich nicht im Sinne des Militärs sein."
    Die politische Elite schweigt
    Die Diskussion um den tödlichen Zwischenfall ist überwiegend in den Medien geführt worden. Im portugiesischen Parlament ist das Amt des Verteidigungsministers von der Opposition zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt worden. Das Schweigen der politischen Elite sei nicht ungewöhnlich, sagt Militärexpertin Carreiras. Denn in Portugal herrsche in wichtigen Fragen der nationalen Verteidigung parteiübergreifende Einigkeit:
    "Die radikaleren Linksparteien mögen gewisse Punkte, wie die Zugehörigkeit Portugals zur NATO, in Frage stellen. Aber sie wollen nicht dazu beitragen, dass ein allgemeiner nationaler Konsens untergraben wird. Das hat auch damit zu tun, dass die Portugiesen eine große Achtung vor den Institutionen haben. Dadurch lässt sich auch erklären, warum es in den Krisenjahren nie zu lang anhaltenden intensiven Protesten gekommen ist. Die Portugiesen wollen daran glauben, dass die Institutionen ihre Arbeit ordentlich machen – und in diesem Fall sind die Behörden ja scheinbar bei der Aufklärung des Falles aktiv."