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Todesfall bei Bundeswehr-Übungsmarsch
Bericht des Ministeriums lässt Fragen offen

Nach dem Tod eines Soldaten bei einem Übungsmarsch im Juli hat die Bundeswehr nun Fehler eingeräumt. So sollen der junge Mann und andere neue Rekruten zu hohen Belastungen ausgesetzt worden seien. Die Untersuchungen zu dem Fall seien aber noch nicht abgeschlossen.

Von Paul Vorreiter | 01.09.2017
    Soldaten in der Grundausbildung marschieren am 01.11.2016 über das Gelände der Marinetechnikschule (MTS) in Parow (Mecklenburg-Vorpommern) bei Stralsund. Die Bundeswehr hat die knapp acht Millionen Euro Ausgaben für die Realitiy-Dokumentation "Die Rekruten" und eine damit verbundene Werbekampagne verteidigt. Die Serie soll nach Angaben der Bundeswehr die Ausbildung der Rekruten mit allen Höhen und Tiefen abbilden. Von Dienstag an wirbt die Bundeswehr in der täglichen Dokumentation auf einem Youtube-Kanal um junge Soldaten, indem sie die Ausbildung und das Leben von zwölf Rekruten der Marinetechnikschule abbildet.
    Soldaten in der Grundausbildung bei einem Marsch (dpa-Zentralbild/Stefan Sauer)
    Es ist wohl nur ein weiterer Schritt auf der Suche nach den Gründen, warum Mitte Juli vier Bundeswehr-Soldaten bei einem Übungsmarsch im niedersächsischen Munster kollabiert sind. Einer von ihnen starb zehn Tage später in einem Krankenhaus. Einer liegt noch auf der Intensivstation.
    Insgesamt elf Personen waren während dieses Ausbildungstages gesundheitlich betroffen. Das Verteidigungsministerium hat einen vorläufigen Abschlussbericht einer Untersuchungsgruppe vorgelegt: und trotz der 42 Seiten Bericht sind viele Fragen noch ungeklärt.
    Hitzeschlag bei Übungsmarsch
    Doch zunächst: Worum geht es? Im Fokus ist ein gut sechs Kilometer langer Marsch, der laut Bericht im Dienstplan nicht vorgesehen war, den aber mehr als 25 Soldaten an einem warmen Sommertag vom Ausbildungsort zur Kaserne zurücklegen mussten, Teile davon im Laufschritt, darunter auch mit Liegestütz-Übungen.
    Die Offiziersanwärter sollten angeblich fehlende Ausrüstungsgegenstände holen. Nach ersten Ergebnissen erlitten die insgesamt vier Soldaten, die kollabiert sind, einen Hitzeschlag. Ihre Körperkerntemperatur soll über 40 Grad gestiegen sein.
    Die Untersuchungsgruppe kommt nun zu dem Schluss, dass - wie es heißt - "mehrfach nicht sachgerechte Entscheidungen" getroffen wurden.
    "Ungünstige Verkettung von Umständen und Faktoren"
    Dazu zählt: Der eigentliche Vorgesetzte sei im Urlaub gewesen und den Soldaten, die zu Beginn ihrer Ausbildung standen, seien ungewöhnlich hohe Belastungen zugemutet worden. Auch seien die Soldaten nicht angemessen bekleidet gewesen: Der am Ausbildungstag getragene Anzug mit der Feldjacke über der Splitterschutzweste hätte zum Wetter und zum Leistungsstand der Soldaten nicht gepasst.
    "So verdichte sich das Gesamtbild, dass in jedem Einzelfall eine ungünstige Verkettung von Umständen und Faktoren vorgelegen hat", teilt die Bundeswehr mit.
    Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bewertete das in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" dahingehend, dass sich keine klare einzelne Ursache abzeichne, die für sich gesehen den Todesfall oder gar das tragische Gesamtgeschehen des Tages erklären könnte.
    Jens Flosdorff, Sprecher der Verteidigungsministeriums verwies heute darauf, dass die Untersuchungen nicht abgeschlossen seien:
    "Es laufen auf den unterschiedlichsten Strängen weiterhin Ermittlungen. Es gibt Ermittlungen disziplinarischer Art in der Bundeswehr es gibt die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, aber es gibt auch gruppendienstliche Maßnahmen, die eingeleitet worden sind und das ist noch offen, welche weiteren Erkenntnisse und Bewertungen wir noch erhalten."
    Illegale Diätpillen im Spiel?
    Weil die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, und eine einzelne Ursache für das Unglück offenbar nicht gefunden wurde, ist die Debatte um mögliche Gründe für den Kollaps der Offiziersanwärter in vollem Gange. Laut einem Bericht der "Hannoverschen Allgemeinen" sollen die Soldaten, die zusammengebrochen sind, in einer Stube geschlafen haben. Dort hätten sie illegale Diätpillen mit dem Wirkstoff Dinitrophenol geschluckt, wird ein ermittelnder Polizist zitiert. Der Soldat, der im Krankenhaus seinem Kollaps erlegen war, soll leicht übergewichtig gewesen sein. Symptome wie Herzrasen und Überhitzung seien üblich für eine Vergiftung mit der Substanz. Versagte möglicherweise die Kontrolle der Spinde?
    Für den SPD-Wehrexperten Rainer Arnold stellen sich noch andere Fragen, darunter:
    "Warum ist die erste Riege der Verantwortlichen gerade in der Phase, wo die neuen Rekruten kommen, im Urlaub? Die zweite Frage ist: Warum gibt man den Soldaten mehr Vorschriften als Ermessenspielräume, um solche Märsche zu organisieren? Und die letzte Frage ist: Es gibt wohl Indikatoren, dass zumindest einzelne Soldaten verbal unter Druck gesetzt wurden, ihr müsst jetzt den Marsch durchstehen, sonst habt ihr keine Zukunft hier bei der Truppe, - da wollen wir dann schon genau wissen, was dort los war."
    Dazu Gelegenheit bietet ein Termin kommende Woche: Dann trifft sich der Verteidigungsausschuss des Bundestags.