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Todesfall bei Medikamententest
Viele Fragen, wenige Antworten

Warum starb in Frankreich ein Mann bei einem eigentlich ungefährlichen Medikamententest? Der Zwischenbericht der Untersuchungskommission gibt keine Antworten, stellt aber kluge Fragen.

Von Anneke Meyer | 10.03.2016
    Blutbestandteile von Studienteilnehmern werden im Labor untersucht.
    In Rennes (Frankreich) war nach einem Medikamententest ein Mann gestorben. (dpa/picture-alliance/Waltraud Grubitzsch)
    "Wir werden sicherstellen, das alle Fragen der Betroffenen und ihrer Familien geklärt werden", so die französische Ministerin für Soziales und Gesundheit, Marisol Tourain, im Januar. Unmittelbar zuvor war bei einer klinischen Studie des potenziellen Schmerzmittels BIA 10-2474 in Rennes ein Mann gestorben. Drei weitere haben irreparable Hirnschäden erlitten.
    Seitdem Tröpfeln die Informationen nur zäh. Statt Antworten häufen sich die Fragen. Das ändert sich auch nicht mit dem ausführlichen Zwischenbericht des "Temporären wissenschaftlichen Experten-Komitees", der diese Woche durch die französische Arzneimittelbehörde ANSM veröffentlicht wurde. Darin heißt es:
    "Obwohl BIA 10-2474 anscheinend als Schmerzmittel entwickelt wurde, ist die Wirksamkeit nur in zwei Tierversuchen gezeigt worden, in denen kein etabliertes Schmerzmittel zum Vergleich gegeben wurde. Auf dieser Grundlage erscheint die Weiterentwicklung mit menschlichen Versuchspersonen nicht unbedingt gerechtfertigt."
    Nach wie vor kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht
    Das portugiesische Pharmaunternehmen BIAL, das die Rechte an BIA 10-2474 besitzt, hatte das offenbar anders gesehen. Sie hatte im Sommer letzten Jahres den französischen Dienstleister "Biotrial" mit der Durchführung einer ersten klinischen Studie an gesunden Probanden beauftragt. In niedrigen Dosierungen bis 20mg pro Tag hatte es keine Probleme gegeben. Die ursprünglich geplante Höchstdosis lag bei 100mg. Bei 50mg täglich setzen plötzlich die dramatischen Nebenwirkungen ein. Auf der Basis der vorangegangenen Tierversuche sei das nicht zu erwarten gewesen, betont der Bericht. Die Wahl der Dosis erscheint den Gutachtern dennoch fraglich:
    "Hochrechnungen von im Tier gemessenen Werten auf den Menschen legen nahe, dass der höchste Wirkungsgrad der Substanz bereits bei einer 20- bis 80-mal geringeren Dosis erreicht ist, als für die Maximaldosierung im Studienprotokoll geplant war."
    Die von BIAL entwickelte Substanz gehört zu den sogenannten FAAH-Inhibitoren. Andere Pharmakonzerne wie Pfizer und Johnson & Johnson hatten in den letzten Jahren Medikamentenkandidaten derselben Wirkstoffklasse getestet. Dabei waren mitunter sogar noch höhere Dosen verabreicht worden – ohne dass es jemals zu Nebenwirkungen kam. Allerdings blieb auch die gewünschte Wirkung aus. Die meisten klinischen Studien wurden abgebrochen, weil die Therapie keinen Effekt zeigte. Laut Untersuchungskommission hätte das für den Kandidaten von BIAL kaum anders sein dürfen:
    "Die Menge an Substanz, die gebraucht wird, um einen halbmaximalen Wirkungsgrad zu erreichen liegt für BIA 10-2474 beim zweihundertfachen von dem des verwandten Pfizer-Moleküls. Damit ist seine Spezifität für das Zielenzym relativ gering."
    Heißt: Die Substanz von BIAL hatte einen schlechteren Wirkungsgrad als bereits früher getestete Kandidaten. Als Ursache für das katastrophale Ende der klinischen Studie in Rennes kommen nach wie vor verschiedene Möglichkeiten in Betracht.
    Rein formal habe BIAL sich an alle Bestimmungen und Vorschriften gehalten
    Dass die relativ geringe Spezifität von BIA 10-2474 ausschlaggebend war, ist laut Untersuchungskommission allerdings sehr wahrscheinlich:
    "Es ist anzunehmen, dass das Molekül von BIAL an zahlreiche Nicht-Ziel-Enzyme im Gehirn bindet. Das passiert vor allem dann, wenn die Konzentration der Substanz oder ihrer Abbauprodukte sich erhöht. In dem Zusammenhang muss bedacht werden, dass die Dosis, die den geschädigten Probanden verabreicht wurde deutlich über der maximalen Wirkungskurve lag."
    Rein formal habe BIAL sich an alle Bestimmungen und Vorschriften gehalten. Grundlegende Fehler seien dem Unternehmen nicht vorzuwerfen, hält die Expertenkommission fest. Trotzdem hat sie dem Pharmakonzern eine Liste von unangenehmen Fragen aufgebrummt. Dabei geht es insbesondere um Untersuchungen der Bindungseigenschaften von BIA 10-2474.
    Wie Le Monde berichtet, sollen solche "Betriebsgeheimnisse" in Zukunft auf Nachfrage auch an externe Wissenschaftler weitergegeben werden und zitiert ANSM-Chef Dominique Martin "Das Medikament ist sowieso vom Tisch". Ob Ende März, nach dem nächsten Kommissionstreffen, auch alle Fragen vom Tisch sind bleibt abzuwarten.