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Todestag von Else Lasker-Schüler
"Meine Seele verglüht in den Abendfarben Jerusalems "

Vor 70 Jahren starb in Jerusalem die deutsch-jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler. Sie gehört zu den bedeutendsten Vertretern der avantgardistischen Literatur. In ihrer tiefen Religiosität lehnte sie jeden Dogmatismus ab und übernahm neben dem mystischen Judentum auch Elemente christlicher und muslimischer Traditionen auf.

Von Burkhard Reinartz | 21.01.2015
    Die Schriftstellerin (u.a. "Der Malik", "Mein blaues Klavier") in einer zeitgenössischen Aufnahme. Wegen ihrer jüdischen Abstammung emigrierte sie 1933 über die Schweiz und Ägypten nach Jerusalem, wo sie ab 1937 völlig verarmt lebte. Else Lasker-Schüler wurde am 11. Februar 1869 in Elberfeld geboren und ist am 22. Januar 1945 in Jerusalem gestorben.
    Else Lasker-Schüler (picture alliance / dpa / Ullstein)
    "Am schwärzesten Fluss der Welt, der Wupper, lernt man erkennen, welche Menschen leuchten.
    Der Himmel fällt herab von Schieferklippen.
    Immer gähnet schläfriger Tag sein Regenlied."
    Else Lasker-Schüler wird am 11. Februar 1869 in der Herzogstraße in Wuppertal-Elberfeld geboren. Die Stadt hatte damals 50.000 Einwohner. Etwa 1.500 von ihren waren Juden. Lasker-Schülers Urgroßvater Hirsch Cohen war Oberrabbiner von Rheinland und Westfalen, ihr Vater Aaron Schüler Bankier. Schüler ist ein typisch rheinischer Unternehmer, jemand, der sich in sozialer Verantwortung fühlt.
    Jeannette Schüler, die Mutter, ist eine stille melancholische Frau - und eine begeisterte Literaturliebhaberin, die abends im Haus zu Lesungen einlädt. Unter dem Einfluss der Mutter beginnt das Mädchen zu reimen, zu dichten und ihr bemerkenswertes Zeichentalent herauszubilden. Die frühe Kindheit scheint für sie eine Zeit der Geborgenheit zu sein. Ihr Haus, der Garten und der angrenzende Wald: Orte, in denen sich Traumwelten und der sichere Halt der Familie verbinden.
    "Unsere Zimmer haben blaue Wände
    und wir wandeln leise hin durch Himmelsweiten,
    Und am Abend legen Innigkeiten
    Mit Engelaugen ineinander unsere Hände."
    Als Else Lasker-Schüler 13 ist, stirbt ihr Lieblingsbruder Paul mit 21 Jahren an Tuberkulose. Im Juli 1890 folgt der nächste Schock für die junge Frau: Jeannette Schüler stirbt 53-jährig an Krebs. Nichts wird für die inzwischen 21-jährige mehr so sein wie vorher. Es ist der Tod ihrer Mutter, der Else Lasker-Schüler zur Dichterin macht.
    Alter Egos als Selbstschutz
    1894 heiratet Else Lasker-Schüler den Arzt Berthold Lasker. Die beiden ziehen nach Berlin. Für sie ist Berlin ein Ort der Befreiung. Sie löst sich von ihrem Mann, die Scheidung folgt 1903.
    In der Zeit um die Jahrhundertwende bricht in Literatur, Philosophie und Theologie eine Renaissance mythischer Strömungen aus. Else Lasker-Schüler schafft sich ihren eigenen Mythos - ein Amalgam aus syrisch-ägyptischen, griechischen, jüdischen und christlichen Bildern. Als Prinz von Theben verteidigt die Dichterin ihr Märchenreich gegen die Zumutungen des Alltags. Die Alter Egos Else Lasker-Schülers sind nicht nur literarische Fantasiegestalten. Sie dienen ganz real ihrem Selbstschutz. In vielen Phasen ihres Lebens litt die Dichterin unter bitterer Armut.
    1903 heiraten Herwarth Walden und Else Lasker-Schüler. Ein Jahr davor ist ihr erster Gedichtband "Styx" erschienen. Darin klingen schon alle Themen an, die sie in ihren späteren Werken umkreist: Das Gefühl der Einsamkeit, die Sehnsucht nach Liebe, die Trauer über die Vergänglichkeit allen Glücks und ihre inbrünstige Religiosität.
    "O, ich lernte an deinem süßen Munde
    Zu viel der Seligkeiten kennen!
    Schon fühl ich die Lippen Gabriels
    Auf meinem Herzen brennen
    Und die Nachtwolke trinkt meinen Zederntraum.
    O, wie mein Leben mir winkt!
    Und ich vergehe
    mit blühendem Herzeleid
    Und verwehe im Weltenraum,
    In Zeit
    In Ewigkeit,
    Und meine Seele verglüht in den Abendfarben Jerusalems.
    Alles Kranke und den Hass!"
    Suche nach Trost und Erkenntnis in der spirituellen Dimension
    1912 trennt sich Herwarth Walden von seiner Frau. Wieder eine der großen Enttäuschungen im Liebesleben der Dichterin. 1912 lernt Else Lasker-Schüler Franz Marc kennen. In Marcs Bildern findet die Dichterin ihre "Ehrfurcht vor dem einen Leben, das in jedem Geschöpft wohnt". Marcs Tiergestalten, die roten und blauen Pferde, die grünen Füchse stammen aus dem gleichen Traumland, das Else Lasker-Schüler bewohnt. Es entwickelt sich eine enge Freundschaft und ein reger Postkartenaustausch. Im März 1916 fällt Marc vor Verdun.
    Der Erste Weltkrieg zerstört das Land des Prinzen von Theben. Else Lasker-Schüler leidet unter dem Verlust der Freunde, die im Ersten Weltkrieg ums Leben kamen.
    Inzwischen ist sie eine anerkannte Größe im kulturellen Leben Deutschlands. 1919 erscheint die erste Werkausgabe mit eigenen Zeichnungen. Ihr Schauspiel "Die Wupper" wird uraufgeführt. Doch die ersehnte finanzielle Sicherheit bleibt aus. Auch weil sie als alleinerziehende Mutter für ihren kränkelnden Sohn Paul sorgen muss. Mitte der 20er Jahre erkrankt Paul Lasker-Schüler an Tuberkulose. Die Mutter pflegt ihren Sohn Tag und Nacht.
    Else Lasker-Schüler auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost über 50 Pfennig aus dem Jahre 1975.
    Else Lasker-Schüler auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost über 50 Pfennig aus dem Jahre 1975. (imago / Schöning)
    "Ich habe immer vor dem Rauschen meines Herzens gelegen,
    Nie den Morgen gesehen.
    Nie Gott gesucht.
    Nun aber wandle ich um meines Kindes
    goldgelichtete Glieder und suche Gott."
    Else Lasker-Schüler wird ihr Leben lang am frühen Tod ihres abgöttisch geliebten Sohnes leiden. Schon immer war sie ein religiöser Mensch. Jetzt sucht sie noch stärker Trost und Erkenntnis in der spirituellen Dimension des Lebens. Sie liest die Schriften der jüdischen Mystik, die Kabbala und die Gleichnisse des Chassidismus. Ihre Spiritualität ist transkonfessionell. Sie gründet auf dem Bekenntnis zu einer allumfassenden Liebe und der Versöhnung zwischen Juden und Christen, Juden und Arabern.
    Der politische Zionismus bleibt ihr fremd
    Ihren jüdischen Glaubensgenossen gegenüber ist sie kritisch eingestellt. Die bürgerlich-liberalen Juden sieht sie verdorben vom Materialismus und fern der geistigen Berufung des Judentums - die orthodoxen festgezurrt in lebensfernen Dogmen. Auch der politische Zionismus bleibt ihr fremd. Wie stark sie sich dennoch zum Judentum bekennt, zeigt bereits ihr frühes Gedicht "Mein Volk".
    "Hab mich so abgeströmt
    von meines Blutes
    Mostvergorenheit.
    Und immer, immer noch der Widerhall
    In mir,
    Wenn schauerlich gen Ost
    Mein Volk zu Gott schreit"
    1932 erhält Else Lasker-Schüler mit dem Kleistpreis die angesehenste literarische Ehrung, die damals in Deutschland vergeben wurde. Im gleichen Jahr erscheint die Erzählung "Arthur Aronymus" und seine szenische Bearbeitung als Theaterstück. Trotz des idyllischen Schlussbildes des Textes - Juden und Christen in inniger Versöhnung - gibt es wie in einer Vorausschau des Kommenden warnende Sätze zu hören.
    "Unsere Töchter wird man verbrennen auf dem Scheiterhaufen. Nach mittelalterlichem Vorbild. Der Hexenlaube ist auferstanden. Auf dem Schutt des Jahrhunderts. Die Flamme wird unsere unschuldigen jüdischen Schwestern verzehren. Die Tage sind gehetzt und die Nächte ruhelos."
    Die Dichterin scheint zu ahnen, was sich in Deutschland zusammenbrauen wird. Schon in ihrer Wuppertal Kindheit hat sie die Diskriminierung der Juden wahrgenommen.
    "Ich erlebte als Schulkind schon einige antisemitische Aufstände auf dem Heimweg nach Schulschluss. Weinend betrat ich unser schönes Haus. Selbst meiner teuren Mutter Liebe vermochte mich nicht zu trösten. Was mir schon in den Kinderjahren auffiel, mir unverständlich, der Aufständigen banaler Grund der furchtbaren Grausamkeit. Nie beschuldigte man mich auf dem Heimwege oder im Schulhaus selbst wegen der grausamen Kreuzigung des göttlichen Propheten."
    Mittellos am Züricher See
    Kurz vor der Machtergreifung Hitlers appelliert die Dichterin mitten in einer Radiolesung ohne vorherige Absprache an den Papst - "Im Namen des Judentums". Der "Völkische Beobachter" hatte schon anlässlich der Verleihung des Kleistpreises an die Dichterin gegen die "hebräische Poesie" gehetzt, die "uns Deutsche gar nichts angeht": Der Aufmacher: "Tochter eines Beduinenscheichs erhält Kleistpreis". Mehrfach sei sie von Nazi angepöbelt worden, klagt Else Lasker-Schüler. Nach einem solchen Angriff flieht die 64-jährige Dichterin im Frühjahr 1933 verschreckt aus Deutschland.
    Die Flucht führt sie in die Schweiz nach Zürich. Sechs Tage und Nächte verbringt sie völlig mittellos auf einer Parkbank am Zürcher See. Die Polizei nimmt sie wegen des "Verdachts der Landstreicherei" fest und verhört sie. Else Lasker-Schüler lebt in einem kalten Hotelzimmer, liest gelegentlich im Schweizer Rundfunk und verkauft einige ihrer Zeichnungen gegen Lebensmittel. Nach einem Vortrag vor der Jüdischen Studentengemeinschaft, muss sie ein Bußgeld von 27 Franken zahlen, weil sie "ohne fremdenpolizeiliche Bewilligung" gesprochen hat.
    1934 lädt ein in Ägypten wohnendes griechisches Ehepaar die Dichterin nach Alexandria ein. Von dort reist sie im März zum ersten Mal nach Palästina. Sie ist begeistert, zuweilen auch irritiert von der fremden Welt des Orients, die sie bislang nur in der Welt der Fantasie bereist hat. Else Lasker-Schüler wird noch zwei weitere Reisen ins "Land der Hebräer" unternehmen. 1937 erscheint "Das Hebräerland". Die Kritik zerreißt das Buch. Besonders ihr - wie es heißt "naiv-sentimentaler Traum von der Freundschaft zwischen Juden und Arabern", wird belächelt.
    Bis zuletzt am Rande des Existenzminimums
    Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges macht die Rückreise unmöglich. Die Dichterin wird bis zu ihrem Tod in Jerusalem leben. 1943 erscheint ihr letzter Gedichtband, "Mein blaues Klavier" in einer für die Dichterin deprimierenden Auflagenhöhe von 330 Exemplaren. Sie lebt - chronisch krank - am Rand des Existenzminimums und ahnt nicht, dass ihr Werk schon bald zur Weltliteratur zählen wird.
    Anfang Januar 1945 erleidet Else Lasker-Schüler einen Herzanfall. Sie wird ins Krankenhaus eingeliefert und stirbt nach langem Todeskampf am 22. Januar 1945. Einen Tag später wird sie am Fuß des Ölbergs begraben. Bei der Grablegung wird nicht nur das hebräische Kaddisch-Gebet gesprochen. Der Oberrabbiner spricht - einmalig bei einem Begräbnis in Jerusalem - ein deutsches Gedicht: "Ich weiß", eines der letzten Gedichte der Else Lasker-Schüler.
    "Ich weiß, dass ich bald sterben muss
    Es leuchten doch alle Bäume
    Nach längst ersehntem Julikuss
    Fahl werden alle Träume –
    Nie dichtete ich einen trüberen Schluss
    in den Büchern meiner Reime.
    Eine Blume brichst du mir zum Gruß –
    Ich liebe sie schon im Keime.
    Doch ich weiß, dass ich bald sterben muss.
    Mein Odem schwebt über Gottes Fluss
    Ich setze leise meinen Fuß
    Auf den Pfad zum ewigen Heime"