Donnerstag, 18. April 2024

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Terrorgefahr in Europa
Furcht vor Anschlägen mit bewaffneten Kommandos

Der Kieler Politikwissenschaftler Joachim Krause warnt vor einer zunehmenden Zahl von Anschlägen in Europa. Ob ein Land Ziel von Terroristen werde, hänge davon ab, ob sich Gelegenheiten ergäben oder ob es eine größere Salafistengemeinde gebe, sagte er im Deutschlandfunk.

Joachim Krause im Gespräch mit Martin Zagatta | 08.04.2017
    Der gestohlene LKW, mit dem der mutmaßliche Anschlag verübt wurde, wird in der Nacht vor einem Kaufhaus in der Stockholmer Innenstadt abgeschleppt.
    Der gestohlene LKW, mit dem der mutmaßliche Anschlag in der Stockholmer Innenstadt verübt wurde, wird abgeschleppt. (AFP / Odd Andersen)
    Martin Zagatta: Wir haben ja schon darüber berichtet, in Stockholm hat ein Mann gestern einen Lastwagen in seine Gewalt gebracht und ist damit in eine Menschenmenge vor einem Kaufhaus gerast. Mindestens vier Menschen sind dabei getötet worden, heißt es. Es soll zwei Festnahmen gegeben haben nach diesem Anschlag, über den ich jetzt mit Joachim Krause sprechen kann. Er ist Terrorismusexperte und Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität in Kiel. Guten Morgen, Herr Krause!
    Joachim Krause: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Befürchtungen über bewaffnete Kommandos
    Zagatta: Herr Krause, wieder einmal Terror, so sieht es heute Morgen aus, Terror nach dem Muster von Nizza, von Berlin, zuletzt ja auch irgendwie, oder Ähnlichkeiten mit London. Ein Auto oder einen Lkw zu benutzen, Menschen über den Haufen zu fahren, ist das jetzt diese Art von Anschlägen, auf die wir uns einstellen müssen?
    Krause: Wir müssen uns auf verschiedene Arten von Anschlägen einrichten, vor allen Dingen wenn es mit dem Islamischen Staat weiterhin bergab geht. Wir sehen, dass Mossul zurückerobert wird, wir sehen, dass demnächst wohl auch Rakka fallen wird und andere Städte, die der Islamische Staat dann nur noch kontrolliert, und auch dann kein Staat mehr sein wird. Und es ist anzunehmen, dass es mehr Anschläge geben wird, wobei ich befürchte, es wird noch ganz andere Formen von Anschlägen geben, nämlich solche mit bewaffneten Männern, mit Kommandos, die versuchen, Leute zusammenzuschießen. Dies sind, was wir jetzt in Berlin oder in Stockholm erlebt haben, sind ja eigentlich eher Anschläge, ich würde mal sagen: Verzweiflungsanschläge von Leuten, die keine Waffen halten können und sich dann sozusagen eines Lastwagens bedienen. Das werden wir natürlich immer wieder haben.
    Radikalisierte Salafisten, junge Menschen mit Gewaltpotential
    Zagatta: Aber dass es in letzter Zeit vor allem solche Anschläge mit Fahrzeugen jetzt gegeben hat, ist das vielleicht auch, wenn man das in diesem Zusammenhang überhaupt sagen kann, ein gutes Zeichen, dass also die Schwächung des Islamischen Staates oder bessere Sicherheitsmaßnahmen dazu führen, dass es im Moment offenbar nur noch schwer gelingt, größere Anschläge mit Feuerwaffen oder Bomben durchzuführen? Oder wäre das schon verfrühte Freude?
    Krause: Ja, ich hoffe, das wäre so. Aber man kann das ja nie ausschließen, dass das andere auch noch stattfindet. Aber es gibt eine ganze Menge von potenziellen Tätern, das sind ja alles radikalisierte Salafisten oder junge Menschen, die irgendwie ein Gewaltpotenzial in sich tragen und jetzt in den Einflussbereich von den Salafisten kommen und dann diese verrückte Ideologie nutzen, um ihre Aggressionen loszuwerden. Und in einem Land, in dem der Waffenbesitz relativ gut geregelt ist wie bei uns oder in Schweden, fällt es natürlich schwer, Waffen zu bekommen. Man könnte sie über alle möglichen Kanäle bekommen, über das dunkle Internet, aber das kriegt auch nicht jeder auf die Reihe. Also, es ist schon gut, wenn es in einem Land eine gute Kontrolle von Waffen gibt, aber ausschließen kann man die größeren Sachen auch nicht.
    Salafisten und Unterstützer-Netzwerke
    Zagatta: Nun gilt ja Schweden als ein besonders offenes Land auch, das viele Flüchtlinge aufnimmt, das militärisch auch nicht gerade eine Speerspitze im Kampf gegen den Terrorismus darstellt. Macht das Sinn, da nach Motiven für einen solchen Terroranschlag zu suchen, macht es überhaupt noch einen Unterschied, wie stark Länder sich da irgendwie am Kampf gegen den IS beteiligen?
    Krause: Ich meine, nicht. Ob ein Anschlag stattfindet oder nicht, hängt meistens davon ab, ob sich Gelegenheiten ergeben. Und diese Gelegenheiten bedeuten oft, dass es irgendwie eine Gemeinschaft von Salafisten oder von Sympathisanten in einem Land gibt. Und da ist Schweden nicht gerade sozusagen eins mit der größten Salafistengemeinschaft, die größten sitzen in Frankreich oder in Belgien, aber auch in Deutschland inzwischen. Das sind immer die Faktoren dann. Diese Leute haben meistens einen Hintergrund, sie habe meistens Personen, die sie unterstützen, möglicherweise auch Personen mit Kontakt nach Syrien oder in den Irak. Also, das sind nicht immer Einzeltaten eines einzelnen Menschen. Und insofern hat die Verbindung mit der Koalition gegen den Islamischen Staat nicht notwendigerweise etwas damit zu tun, wo der Anschlag tatsächlich stattfindet.
    Die Größenordnung von Anschlägen reduzieren
    Zagatta: Herr Krause, was die Sicherheitsmaßnahmen jetzt selbst angeht: Kann man denn solchen Anschlägen mit einem Fahrzeug oder mit einem Lkw überhaupt etwas entgegensetzen?
    Krause: Ja, schon. Man kann natürlich präventiv arbeiten. Man kann versuchen, Fußgängerzonen durch Boller zu schützen und die Eingänge für Lastkraftwagen auf wenige Einfahrten zu reduzieren, man kann versuchen, dort auch mal Polizei aufzustellen oder dort auch einfach mal Kontrollen zu machen. Also, machbar ist sehr vieles, das haben wir in Berlin gesehen, der Anschlag hätte durch einfache technische Maßnahmen verhindert werden können. Vielleicht hätte er woanders stattgefunden, das kann man natürlich auch argumentieren. Aber ich bin der Meinung, wir machen so viele Maßnahmen gegen das Beparken von Bürgersteigen durch Kfz, da kann man auch mehr Maßnahmen sich überlegen, um solche Anschläge zumindest zu erschweren. Man wird sie nie ausschließen können und man wird auch nie ausschließen können, dass es Todesopfer gibt, aber man wird die Größenordnung reduzieren können und man wird versuchen … man wird mit einigem Erfolg meines Erachtens so etwas eindämmen können.
    Bedeutung von Videos im öffentlichen Raum
    Zagatta: Dass der Täter flüchtig ist – es gibt zwei Festnahmen, wo man noch nicht gehört hat oder wo sich die Polizei vielleicht auch gar nicht sicher ist, ob man die Richtigen oder den Richtigen erwischt hat –, ist das ein weiterer Beleg, wie hilfreich verstärkte Videoaufnahmen sein können? Diese Diskussion hatten wir ja auch in Berlin.
    Krause: Ja, natürlich. Sie können mit Videoaufnahmen doch einigermaßen verfolgen, was abläuft. Sie müssen natürlich sehr viele unterschiedliche Videoaufnahmen zusammensetzen und es ist auch dann hilfreich, wenn man private Videos hat, damit ist sehr viel möglich und man kann den Täter identifizieren. Und wir werden sehen, ob das in diesem Fall zu einem Erfolg führt. Das ist noch zu früh, das jetzt zu entscheiden, denn die Polizei ist noch sehr vorsichtig mit der Identität der Person, die sie jetzt festgenommen hat, aber sie hat ihn als extrem tatverdächtig beschrieben und das heißt eigentlich schon sehr viel.
    Bund, Länder und Behörden erst am Beginn der Analyse des Versagens
    Zagatta: In Deutschland wird ja seit dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt sehr viel darüber diskutiert, wie schlecht die Behörden da zusammengearbeitet haben. Haben Sie den Eindruck, da wurden jetzt die notwendigen Konsequenzen gezogen, oder könnte sich so etwas jederzeit wiederholen?
    Krause: Sie meinen jetzt in Deutschland?
    Zagatta: In Deutschland, weil es ja so ein ähnlicher Anschlag jetzt war in Deutschland, auch jetzt vom Anschlag her, wie wir es gerade in Stockholm erleben.
    Krause: Ja, ich sage mal so, der Bund und die Länder und die Behörden sind dabei, die Konsequenzen zu ziehen. Sie sind aber auch erst mal dabei, überhaupt die ganzen Ursachen des Versagens herauszufinden. Und das ist eine sehr komplexe Aufgabe, denn es liegt zum Teil darin, dass wir eine föderale Struktur haben, die wir nicht einfach aufgeben werden. Andererseits liegt es auch daran, dass wir gesetzgeberische Regelungen haben, die es sehr schwer machen, dass zusammengearbeitet werden kann. Also, das ist ein sehr langwieriger Prozess. Ich würde mal sagen, da sehen wir im Augenblick mal gerade das Licht am Ende des Tunnels, aber da sind wir noch weit von entfernt.
    Zagatta: Joachim Krause, der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Herr Krause, vielen Dank!
    Krause: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.