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Tödliches Monopoly

Der Historiker Götz Aly betrachtet den Nationalsozialismus als eine Art Gefälligkeitsdiktatur, in der die sogenannte Volksgemeinschaft vor allem von der Judenverfolgung und Vernichtung in ökonomischer Hinsicht profitierte. Die These schmeckt nicht jedem seiner Historikerkollegen. Doch Aly hält daran fest, auch in seinem Buch "Fromms", das er zusammen mit dem "Spiegel"-Journalisten Michael Sontheimer schrieb.

Von Werner Köhne | 10.09.2007
    "Frommser sind echt kultig. Seit 75 Jahren am Markt - darauf schwörten schon unsere Großväter. Spezialgleitfilm, besonders gefühlsaktiv."
    Die aktualisierte Werbung für ein gestandenes Produkt. Was die angesprochenen Großväter gefühlsaktiv werden ließ, war hauchdünn, transparent und versehen mit Garantie - auf die Kondome der Fromms Act konnten sich die deutschen Nutzer in den 1920er Jahren verlassen. Fromms war das erste Markenerzeugnis seiner Art. Es kam aus Berlin, und sein Hersteller war der jüdische Fabrikant Julius Fromm. 1931 produzierte man 50 Millionen Kondome. Ein paar Jahre später musste Fromm das Land verlassen.

    Stoff genug, um daraus eine Geschichte zu machen. Die Frage ist, wie dies geht: in Form eines Sittengemäldes, worin Zeitkolorit, aber nicht unbedingt harte Zeitgeschichte einfließt; als Unternehmensgeschichte mit Fakten, Fakten, Fakten? oder eben - wie in diesem Falle - als erschreckendes Beispiel dafür, wie das in Deutschland mit der täglichen Dosis Antisemitismus funktionierte? Götz Aly und Michael Sontheimer erzählen von der allmählichen Ausplünderung eines jüdischen Unternehmens. Sie erfolgte über Verordnungen, Erlasse, bürokratische Akte - und am Ende war der Jude weg, sein Vermögen arisiert. Auch die sogenannte Volksgemeinschaft hatte etwas von der organisierten Mehrung des Volkseinkommens: Das übrig gebliebene Mobiliar aus der Villa Fromms am Schlachtensee wurde versteigert. 165 Personen beteiligten sich an der Schnäppchenjagd - wie man sich das vorstellen kann!

    Der Untertitel des Buches: "Wie der jüdische Fabrikant F. unter die deutschen Räuber fiel" erinnert an die bewusst naive Diktion, in die Alexander Kluge seine fortlaufende "Geschichte der deutschen Gefühle" kleidet. Das bösartig Märchenhafte wird freigelegt, wenn der distanziert historisierende Blick auf das Geschehen heruntergedimmt wird und die handelnden Personen fast typologisch in Beziehung treten: Da ist ein junger Mann in Ostpolen, aufgewachsen in einer damals für Juden so typischen Diaspora:

    "Das Schtetl muss man sich als halb erzwungenes, halb selbstgewähltes Ghetto vorstellen, in dem sich die Bewohner vergleichsweise sicher fühlen und ihr eigenes Leben führen konnten. Viele junge, von Rationalismus beeinflußte Juden verachteten diese Quartiere als übervölkerte Heimstätten von Armut und Frömmelei. Romantisch verklärt wurden sie erst nach der Vernichtung durch die Deutschen."

    Julius Fromm zieht es nach Berlin, wo er schon bald mit Talent und Geschäftsinn vom mittellosen Zigarettenverkäufer zum Gummifabrikanten aufsteigt. Er fühlt sich als Deutscher - ein Anpassungsgebaren, das ihm selbst in Zeiten größter Anfeindung nicht aus dem Kopf will. Und da sind die Deutschen, mit ihren Begehrlichkeiten, ihrer Mischung aus technokratischer Selbstvergessenheit und romantischer Verwirrtheit. Nachdem man Julius Fromm durch den üblichen Druck zum Verkauf seines Unternehmens und zum Exil in London genötigt hat, meldet sich der Waid- und Jägersmann Göring. Seiner Patentante, der Baronin Elisabeth von Epenstein-Mautenburg, schustert er die Fabrik der Fromms zu und erhält zum Dank zwei Ritterburgen, darunter Burg Veltenstein bei Nürnberg.

    So weit, so erschreckend! Götz Aly und Michael Sontheimer haben das grunddeutsch heimelige Szenario ordentlich dekonstruiert - was bedeutet: sie sind bei ihrer Recherche auf offizielle Dokumente, Nazi-Akten, Quittungen, Geschäftsbriefe, Kontoauszüge, gestoßen, die fundiert belegen, was in den gefühligen Handlungen geschieht. Außerdem haben sie sich mit einem Sohn von Julius Fromm getroffen, der wohltuend unverkrampft zur Offenlegung des Fall beiträgt. Das Ergebnis fügt sich ein in frühere Forschungen von Götz Aly: Beim Nationalsozialismus handelte es sich um eine "Gefälligkeitsdiktatur". Die "Arisierung" wurde als breit angelegte Umverteilungspolitik betrieben - mit den Mitteln des Völkermords. Aly hat sich mit dieser These manche Schelte von Historikerseite zugezogen. Er geht zweifellos dorthin, wo es weh tut - wo sich der getragene Gestus des Objektivierens als prekär erweist: Denn was da vor sich ging an handfesten Schweinereinen, ließ sich im Einzelnen kaum beanstanden: Die mit dem Verkauf beauftragte Reichs-Kredit-Gesellschaft etwa bot Fromm an, ihm mit einem Kredit von einer Million Reichsmark die Auswanderung zu ermöglichen und das Unternehmen in Zwischenbesitz zu nehmen, um anschließend in Ruhe nach einem Käufer zu suchen. Diese Lösung verhinderte die bald darauf erlassene Verordnung, die den Verkauf "jüdischer Unternehmen" an die Genehmigung einer staatlichen Behörde knüpfte. Die Verwaltungsbehörde musste wiederum die zuständige Handelskammer sowie den jeweiligen Gauwirtschaftsberater der NSDAP anhören. Wer es noch klarer formuliert haben will, höre kurz in die Liste des Arisierungsgewinns hinein

    "zu entrichtende
    Reichsfluchtsteuer 515972,00 Reichsmark
    Judenvermögensabgabe 457770,88 Reichsmark
    Zwangsabgabe an
    jüdische Gemeinde 22500 Reichsmark
    Auswanderungssteuer 7790, Reichsmark
    Insgesamt flossen dem Reichsfiskus und damit der deutschen Volksgemeinschaft rund drei Millionen Reichsmark zu. Das wären heute - bedenkt man die veränderte Kaufkraft - 30 Millionen Euro."

    So also war das! - Monopoly im Gestrüpp von Zahlen und Steuerbescheiden. Als Julius Fromm bei Kriegende zurückwollte, hüpfte sein Herz über den Untergang der Nazis vor Freude - und setzte aus. Das darf man eine persönliche Tragik nennen. Weniger tragisch als kriminell erwies sich dann, dass die zweite Enteignung des Frommm'schen Vermögens in der sozialistischen DDR vollzogen wurde - nun anders ausgewiesen, aber auch korrekt. Wer in die banalen Abgründe einer nicht wirklich vergangenen Geschichte hinabsteigen will, der lese dieses Buch.


    Götz Aly/Michael Sontheimer: Fromms
    Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel
    S. Fischer Verlag 2007
    211 Seiten, 19,90 Euro