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Tödliches Wissen

Von einer Spätabtreibung spricht man, wenn das Kind zum Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs schon alleine lebensfähig wäre, also ab etwa der 23. Woche. Ob und wann eine Spätabtreibung zulässig sein soll, damit befasst sich nun erneut der Bundestag. Zur Debatte stehen gleich vier unterschiedliche Gesetzesanträge.

Von Gudula Geuther und Jacqueline Boysen | 17.12.2008
    Es geht um Konflikte, die selten öffentlich sichtbar werden. Wenn sie es werden, dann durch erschütternde Berichte.

    " Es ist einiges geschehen, was streng journalistisch gesehen heute am Anfang des "heute-journals" stehen könnte. Aber wir haben vorhin in der Redaktion gemerkt, dass uns ein Bericht mehr als andere ergriffen hat. Es geht um das Leben und unsere Verantwortung dafür. Es gibt kein Thema, das schwerer wiegen könnte.

    Das ist Tim. Tim sollte sterben... "

    Die Geschichte des zehnjährigen Tim, mit der etwa Claus Kleber die Nachrichtensendung begann, ging durch die Medien. Sie zeigt, was hinter dem Schlagwort "Spätabtreibung" stehen kann. Der Junge mit Down-Syndrom sollte in der 25. Schwangerschaftswoche abgetrieben werden, kam aber lebend zur Welt. Nach neun Stunden, in denen ihn die Ärzte zum Sterben hatten liegen lassen, ergriffen sie lebensrettende Maßnahmen. Heute, im Alter von zehn Jahren, leidet Tim unter den Folgen des versuchten Abbruchs.

    Politiker aus allen Fraktionen im Bundestag wollen sich dem Thema - wieder - widmen. Morgen berät der Bundestag. Dabei geht es nicht nur um die Problematik der eigentlichen Spätabtreibung - von ihr spricht man, wenn das Kind, würde es geboren, lebensfähig wäre, also nach der 22. oder 23. Woche. Es geht ganz allgemein um den Umgang mit der Diagnose: Käme das Kind zur Welt, wäre es möglicherweise behindert. Meist wird die viel früher in der Schwangerschaft gestellt. Die frühere Familienministerin Renate Schmidt, SPD, die sich seit langem mit dem Thema beschäftigt:

    " Es geht natürlich vor allen Dingen um die 229 Abtreibungen, wo die Kinder schon außerhalb des Mutterleibes theoretisch lebensfähig wären. Aber es geht auch um die mehr als 3000 Abtreibungen, die stattfinden nach der zwölften Woche, und wo ein großer Teil der Abtreibungen stattfindet, weil man sich für nicht in der Lage hält, mit einem Kind mit Behinderung zu leben. Und ich bezweifle einfach, dass dieses wirklich eine Entscheidung ist, die nach ausreichender Beratung zustande gekommen ist. "

    Dabei betonen alle Parlamentarier, dass sie Respekt vor der Entscheidung der Frau hätten, egal wie sie letztlich ausfällt. Niemand wolle unterstellen, dass sich eine Schwangere die Entscheidung leicht macht. Noch einmal Renate Schmidt:

    " Ich glaube, in dem Moment, wo die Möglichkeit vorbei ist, dass man eine Schwangerschaft abtreiben kann bis zur zwölften Woche, wo man sich überlegen kann: Will ich das Kind, oder nicht? Man sich beraten lässt und so. Wenn das vorbei ist, hat man sich für das Kind entschieden. Und dann kommt eine Nachricht, die man teilweise gar nicht bewerten kann. "

    Wie viele Kinder wegen einer solchen Nachricht abgetrieben werden, ist nicht bekannt. Das liegt an der Gesetzeslage. Denn danach ist die Tatsache, dass das Kind behindert sein würde, allein keine Indikation für den Schwangerschaftsabbruch und wird deshalb auch nicht gesondert erfasst. Bei der Reform des Abtreibungsrechts 1995 schaffte der Gesetzgeber eine solche embryopathische Indikation ab. Heute geht es in dieser Frage allein um die Situation der Mutter. §218 a Absatz 2 des Strafgesetzbuches bestimmt:

    " Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. "

    Ein Schwangerschaftsabbruch aus diesem Grund - immerhin geht es um Leben und Gesundheit der Mutter - ist auch nach der Zwölf-Wochen-Frist der Beratungslösung möglich, theoretisch und in wenigen Extremfällen bis kurz vor der Geburt des Kindes. Dabei kann es um rein körperliche Gefahren für die Schwangere gehen, häufig steht gerade bei einer auffälligen Diagnose aber die Frage im Vordergrund: Ist die Frau der Situation psychisch gewachsen?

    Ob die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist, entscheiden mindestens zwei Ärzte, derjenige, der die Diagnose gestellt hat und derjenige, der den Abbruch vornimmt. Ein Psychologe muss aber nicht beteiligt sein. Im ZDF sagte der Chefarzt der Gynäkologie der DRK-Kliniken in Berlin, Professor Heribert Kentenich:

    " Nach der jetzigen Gesetzeslage ist es so, wenn die Frau nun den Abbruch wünscht in der ersten Reaktion, dann sind alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, dass ein Arzt die Indikation stellt, dass der Frau das Austragen der Schwangerschaft nicht zugemutet werden kann und dann kann der Abbruch vorgenommen werden. "

    Tatsächlich gibt es wohl Ärzte, die es ablehnen, die Indikation zu stellen, das ist aber selten, vor allem, wenn es nicht um Spätabtreibungen geht. Um die Paragraphen 218 folgende des Strafgesetzbuches geht es den Parlamentariern morgen aber nicht.

    Die Bundesjustizministerin begründet mit der Konstruktion des Gesetzes, warum sie jeglichen gesetzlichen Änderungsvorschlägen skeptisch gegenübersteht; - insbesondere einem Entwurf, den überwiegend Unionsabgeordnete unterstützen. Er unterstelle, so sagt Brigitte Zypries, dass ein Fötus oder Embryo gerade wegen der Behinderung abgetrieben werden könne.

    " Das ist aber eine völlige Fehleinschätzung der geltenden Rechtslage. Ich finde, das zielt ein bisschen in die Irre. Die Diagnose muss ganz klar sein: Ist das Leben der Mutter gefährdet? Entweder medizinisch oder aus psychischen Gründen. Und wenn das so ist, dann muss der Arzt feststellen oder kann der Arzt feststellen, dass eine Abtreibung indiziert ist. Und dann kann sie vorgenommen werden. Dann brauch ich aber keine Beratung mehr dahingehend, dass ich sage: Wollen Sie sich nicht doch noch mal überlegen, mit einem behinderten Kind zu leben? Darum geht's ja dann gar nicht. "

    So wenig Änderungsbedarf sehen wenige, die sich derzeit öffentlich äußern. Aber ganz allgemein soll das Strafrecht nicht verändert werden. Sei es, weil man diesen emotional beladenen Konflikt nicht neu beleben möchte, sei es - und das dürfte für die ganz große Zahl der Abgeordneten gelten -, weil man glaubt, dass die Frage, ob eine Frau der Situation gewachsen ist, nur sie selbst entscheiden kann. Und weil andererseits die psychische Belastung, die mit Grundlage der medizinischen Indikation ist, eben doch in erster Linie davon abhängt, ob die Schwangere glaubt, zurecht kommen zu können.

    Unzufrieden sind trotzdem viele mit der derzeitigen Praxis. Sie glauben, viele Schwangere würden mit der Entscheidung allein gelassen. Denn nach der derzeitigen Rechtslage muss sich eine Frau, die ihr Kind in den ersten zwölf Wochen abtreiben lassen will, beraten lassen - egal, aus welchem Grund sie sich gegen das Kind entscheidet, solange es nicht um ihre Gesundheit geht. Anders hingegen ist es - auch später -, wenn eine Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter besteht - in diesen Fällen ist die Beratung für die Frau nur ein Angebot. Und hier setzen jetzt die Überlegungen an. Denn viele glauben: Hier wird die Schwangere häufig überfordert. Das sagt auch Jeanne Nicklas-Faust. Die Professorin für medizinische Grundlagen für die Pflege an der evangelischen Fachhochschule Berlin ist stellvertretende Vorsitzende der Interessenvertretung für behinderte Menschen Lebenshilfe. Sie hat selbst ein gesundes und ein 17-jähriges behindertes Kind. Und Verständnis für die Lage einer Frau, die von einer auffälligen Diagnose erfährt. Sie selbst, so sagt sie, stand nicht vor der Entscheidung. Es gab damals keine klare Diagnose vor der Geburt, es gab nur den warnenden Hinweis: Es könnte ein Problem geben.

    " Allerdings bin ich damals sehr froh gewesen, dass mein Mann für sich große Klarheit hatte, weil ich hatte überhaupt keine Klarheit. Ich hatte überhaupt keine Idee, was ich wollen würde, was wie sein würde. Sondern er hat gesagt: Das ist doch egal. Und: Meine Güte, ein Kind mit Down-Syndrom, das ist doch okay. Das war etwas, mit dem ich so nicht gerechnet habe. Und ich selber war im Grunde entscheidungs- und handlungsunfähig. Und von daher kann ich glaube ich auch nachvollziehen, dass das eine Situation ist, in der niemand die Frauen verurteilen darf, sondern in der man sich tatsächlich an ihre Seite stellen muss und ihnen helfen muss. "

    Und zwar - fügt sie hinzu - egal, wie sich die Frau dann entscheidet. Eine solche Entscheidung aber brauche Raum.

    " Wenn man ein Kind mit Behinderung erwartet, dann ist das etwas, was das ganze Leben verändert, nicht nur die Schwangerschaft. Und deshalb braucht man diesen Raum. Die ärztliche Beratung ist häufig eher eine Information und Beratung rund um die medizinischen Sachverhalte. Das reicht den Frauen in der Regel nicht aus. Und so haben auch aktuelle Studien, wie zum Beispiel die Untersuchung aus der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2006 gezeigt, dass Frauen, die einen auffälligen Befund in der Pränataldiagnostik haben, eben nicht mit Information und Beratung zufrieden waren. "

    Das ist eine Sorge, die alle die Abgeordneten teilen, die jetzt für Änderungen eintreten. Renate Schmidt bezieht sich auf die gleiche Untersuchung:

    " Ich habe nachgelesen, dass da Gynäkologen der Frau sagen: Sie haben eine Wahrscheinlichkeit von 0,9 Prozent einer bestimmten Chromosomenerkrankung. Also mit dieser Wahrscheinlichkeit wird ihr Baby geboren werden. Und dann fragen die Frauen: Ja, was soll ich denn jetzt damit machen? Und dann wird ihnen gesagt: Ja, die Entscheidung müssen sie selber treffen. "

    Auch der Grüne Thilo Hoppe, an sich als Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Themen beschäftigt, kennt Fälle, die ihn jetzt motiviert haben, einen eigenen Antrag vorzulegen.

    " In meiner Verwandtschaft hat es eine Frau gegeben, da wurde ihr diagnostiziert, dass das Kind schwer behindert sein wird, man hat ihr sofort nahegelegt, die Schwangerschaft abzubrechen. Sie war dann extrem verunsichert, fühlte sich allein gelassen, weil zwei Ärzte gleich diese Empfehlung ausgesprochen haben. Sie hat sich dann trotz großer Verunsicherung für das Austragen entschieden und ein kerngesundes Kind zur Welt gebracht. Ich hab erst gedacht, das sei ein krasser Einzelfall, aber hab in letzter Zeit von immer mehr Fällen dieser Art gehört. Das sind sicherlich Minderheitenfälle. Aber es gibt leider auch doch eine hohe Zahl von Fehldiagnosen. "

    Auch wenn das für ihn der Auslöser war: Ihm geht es nicht nur und nicht in erster Linie um solche Fehldiagnosen. Er vermutet, dass häufig zum Abbruch gedrängt werde.

    Auch die Ärztekammer sieht die Beratung durch die Gynäkologen kritisch. Das müsse nicht gegen die Ärzte sprechen, so wird allgemein betont. Die Frage sei nur, bei wem die Beratung am besten aufgehoben sei. Bisher ist eine Beratung verpflichtend, und zwar - nur - für den Arzt: Der Mediziner, der den Abbruch vornimmt, muss die Frau aufklären. Das ist zu spät, sagt etwa Renate Schmidt, da sei das Bett schon bestellt. Schon jetzt aber soll schon derjenige, der die Diagnose stellt, auf die Möglichkeit einer so genannten psychosozialen Beratung hinweisen. Dort soll es also nicht nur um die medizinische Seite gehen, sondern auch um die psychischen Folgen für die Frau, und auch um die Möglichkeiten, mit einem behinderten Kind zu leben. Wie oft und wie ernsthaft ein solcher Hinweis auf die Beratung derzeit gegeben wird, darüber gehen die Meinungen auseinander. Einig aber sind sich die Veränderungswilligen: Das muss deutlicher werden.

    Für viele Fälle, in denen es um eine solche medizinische Indikation geht, zeichnet sich ab, dass es mehr Beratung geben wird. Das Gendiagnostikgesetz, das bereits das Kabinett passiert hat, sieht sie vor. Aber, so kritisiert Renate Schmidt:

    " Das Gendiagnostikgesetz erreicht nur die Krankheiten und die Behinderungen, die gegebenenfalls gendiagnostisch zu indizieren sind - drum Gendiagnostikgesetz. Es gibt aber eine große Zahl von Behinderungen, die nicht damit verbunden sind; wie zum Beispiel offener Rücken, ein großer Teil der Herzkrankheiten, Gaumen-Kiefer-Spalte und ähnliche Dinge mehr. Die wären also davon nicht erfasst. "

    Diejenigen, die das geltende Recht verändern wollen, wünschen sich auch für diese anderen Fälle eine bessere Beratung. Wie das Verfahren aber genau aussehen soll, dazu gibt es unterschiedliche Vorstellungen.

    Drei Gesetzentwürfe gibt es bisher, einen Gruppenantrag überwiegend von der Union getragen, der unter den Namen Singhammer und Kauder firmiert. Einen der Vorsitzenden des Familienausschusses Kerstin Griese, SPD, den auch einige Grüne unterstützen und einen der FDP, benannt nach ihrer Fachsprecherin Ina Lenke. Dazu kommt ein Entschließungsantrag der familienpolitischen Sprecherin der SPD, Christel Humme. Ihn unterstützt die Mehrheit der SPD und ebenfalls Grünen-Politiker. Er verzichtet bewusst auf Gesetzesänderungen. Und dazu kommt ein fünfter Vorstoß, der bisher nur sehr geringen Rückhalt gefunden hat: Der Grünen-Politiker Thilo Hoppe hat Änderungsanträge angekündigt. Alle wollen erreichen, was Johannes Singhammer anstrebt:

    " Es gibt zwei Ziele, die wir mit diesem Antrag verfolgen, nämlich den schwangeren Frauen zu helfen in einer für sie extrem schwierigen, existenziellen Situation und wir wollen auch neue Lebenschancen vor allem für die ungeborenen Kinder eröffnen, die eine Behinderung haben oder von denen vermutet wird, dass sie eine Behinderung haben. "

    Die Wege dorthin aber unterscheiden sich. Am weitesten geht Thilo Hoppe: Er möchte zur Beratung verpflichten. Aber - anders als alle anderen Vorschläge das vorsehen - nicht nur den Arzt, sondern eben auch die Frau. Statt das Strafrecht zu verändern, will er, dass dem Arzt ein Bußgeld droht, wenn er eine Schwangerschaft abbricht, ohne dass die Schwangere nachgewiesen hat, dass sie bei der Beratung war. Eine ähnliche Lösung also wie in den ersten zwölf Wochen ohne medizinische Indikation, nur dass dort auch der Frau eine Strafe droht.

    " Ich befürchte, dass bei einer reinen Hinweispflicht auf die psychosoziale Beratung, die bei den anderen Gruppen vorgesehen ist, ein Arzt, der zu einer Abtreibung möglicherweise drängt oder die Abtreibung favorisieren würde, der sagt: Warum lassen Sie das Kind nicht wegmachen? Dann sagen würde: Aufgrund neuer gesetzlicher Regelung möchte ich sie darauf aufmerksam machen, dass Ihnen auch psychosoziale Beratung zustehet, Sie müssen dies aber nicht in Anspruch nehmen, Sie müssen mir nur quittieren, dass ich Sie darauf hingewiesen habe. Und ich möchte wirklich, dass diese Beratung auch stattfindet. "

    Dass die Beratung möglichst stattfindet, wollen auch die Anträge Singhammer und Griese erreichen. Beide legen aber besonderen Wert darauf, dass der Frau auch die Entscheidung freisteht, darauf zu verzichten; um die Frau in einer Notlage nicht noch zusätzlich in Bedrängnis zu bringen und weil sie die Pflicht psychologisch für kontraproduktiv halten. Beide wollen den Arzt verpflichten, auf die Möglichkeit der psychosozialen Beratung hinzuweisen, und zwar schon den ersten, den indizierenden Arzt. Und zwar bewehrt mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro. Ähnlich ist der FDP-Antrag, der aber ein geringeres Bußgeld vorsieht. Kerstin Griese ist dabei besonders wichtig, dass Hemmnisse für die Frau möglichst weitgehend beseitigt werden:

    " Wir wissen, dass viele Frauen und Männer, die in diese Lage geraten, manchmal in großer Betroffenheit, Stress und so weiter auch manchmal nicht in der Lage sind, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen. Und dann ist es einfach sinnvoll zu sagen: Das ist die Telefonnummer und das ist der Termin und das ist der Ort, zu dem sie morgen Nachmittag hingehen können. "

    Kerstin Griese, Johannes Singhammer und Ina Lenke von der FPD möchten außerdem gesetzlich sicherstellen, dass zwischen Beratung und Abbruch der Schwangerschaft mindestens drei Tage liegen, Bedenkzeit für die Frau. Renate Schmidt, die möglicherweise zwei, in jedem Fall aber den sonst überwiegend Unions-getragenen Antrag Singhammer unterstützt, sagt:

    " Ich glaube, dass dieser Schockzustand, in dem eine Schwangere und gegebenenfalls ihr Partner in einer solchen Situation ist - sie muss irgendwann mal die Möglichkeit haben, durchzuschnaufen und zu überlegen, was das eigentlich für sie bedeutet. "

    Diese verpflichtende Bedenkzeit allerdings lehnen die Antragsteller um Christel Humme vehement ab. Wo es um Leben oder Gesundheit der Frau gehe könne das unzumutbar sein. Und auch sonst sind sie vollständig gegen gesetzliche Änderungen. Wohl aber soll es Unterstützung für die Frau oder die Familie und bessere Hinweise auf die Beratung, im Mutterschaftspass und in untergesetzlichen Vorschriften geben, so Christel Humme.

    " Darum erweitern wir die Mutterschaftsrichtlinien genau um diesen Beratungsaspekt der vorgeburtlichen Untersuchung. Und ich sage noch mal ganz deutlich: Das ist mehr als ein Gesetz. Denn die Mutterschaftsrichtlinien sind quasi für die Ärzteschaft das Gesetz und gleichzeitig, wenn es dort steht, gibt es die Möglichkeit von den Krankenkassen, diese Leistung anzuerkennen. "

    Von außen betrachtet scheinen die Unterschiede zwischen den Positionen in den Anträgen Griese, Singhammer und Lenke eher gering. Dass man bisher zu keiner Einigung gefunden hat, erklärt Kathrin Griese so:

    " Wir haben über viele Jahre erlebt, dass von Seiten der Union ein Druck auf die Frauen ausgeübt werden sollte und dass mit einer Lebensschützer-Rhetorik agiert wurde, die leichtfertig unterstellt hat, dass Frauen abtreiben würden und es ihnen nichts ausmachen würde. Und ich glaube im Gegensatz dazu, dass keine Frau leichtfertig abtreibt und erst Recht nicht in dieser schwierigen Situation in einer weit fortgeschrittenen Schwangerschaft. Deshalb gibt es Vorbehalte gegen den Unions-Vorschlag in meiner Fraktion. "

    Unter anderem deshalb stehen viele - so auch die Unterstützer der Anträge Griese und Humme - einer im Singhammer-Antrag vorgesehenen Statistikpflicht skeptisch gegenüber. Mehr Fakten könnten zwar auch der rechtspolitischen Diskussion nützen, heißt es, man befürchtet aber Rückschlüsse auf einzelne Frauen.

    Trotz solcher Fragen: Von außen besehen scheinen dies Unterschiede, die überwunden werden können. Das hofft auch Kerstin Griese. Die Ausschussvorsitzende versteht ihren Antrag denn auch als Vermittlungsvorschlag. In den Diskussionen, die sich im Ausschuss mittlerweile über Jahre hingezogen haben, hat sie aber festgestellt, dass die Gräben tief sind.

    " Es ist sicherlich die Generation der Kolleginnen und Kollegen , besonders auch der Frauen, die den Paragraph 218 durchgekämpft hat, die eine große Angst davor hat, überhaupt das Thema wieder aufzugreifen. Das kann ich auch verstehen. Deshalb sage ich auch so deutlich: Wir wollen den Paragraph 218 nicht ändern. Wir wollen nicht Frauen verpflichten oder drangsalieren, im Gegenteil. Wir wollen sie unterstützen und ihnen helfen. Wir wollen die Ärzte verpflichten. "

    Dass es zu einer Einigung kommt, ist nicht sicher. Denn für die Gegner einer gesetzlichen Regelung ist die Ordnungswidrigkeit für den Arzt letztlich eben doch nicht viel anderes als eine Strafrechtsänderung. Und die solle unbedingt vermieden werden. Seien es also die strittigen Sachfragen, seien es eher emotionale Gräben, die nach der jüngeren Geschichte und durch frühere Zungenschläge bestehen - in einem grundlegenden Aspekt herrscht Einigkeit. Nämlich darin, dass Mütter oder Familien mit behinderten Kindern größerer Unterstützung bedürfen. Und dass darauf hingewirkt werden sollte, dass sich die gesellschaftliche Haltung zu Behinderten, zum Wert behinderten Lebens, ändert. Wie sie die Mutter Jeanne Nicklas-Faust derzeit zuweilen erlebt, wenn sie gefragt wird, ob "das mit ihrer Tochter" denn nicht vermeidbar gewesen wäre:

    " Wenn wir uns das angucken, was Menschen mit Behinderungen selbst sagen, schreiben, ausdrücken, oder was man im Zusammenleben mit ihnen erleben kann, muss man sagen, dass das Lebensglück von Menschen mit Behinderung sich nicht unterscheidet vom Lebensglück von Menschen ohne Behinderung. Im Einzelfall kann das anders sein. Aber für die große Menge muss man sagen, es ist ein anderes, ein anstrengenderes Leben, aber kein unglückliches. "