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Tolerante Gene

Biologie. - Die Beständigkeit der genetischen Information in Individuen ist die Voraussetzung für die Evolution. Das bedeutet aber auch, dass ein Zebra trotz allen Reckens niemals einen Giraffenhals bekommt. Doch immerhin, so entdeckten spanische Forscher, kann der Lebensstil die weiten genetischen Grenzen ausschöpfen.

Von Michael Lange | 05.07.2005
    Eineige Zwillinge sind genetisch absolut identisch. Sie sind aus einer befruchteten Eizelle entstanden. Aber sie bleiben nicht gleich. Im Laufe ihres Lebens entwickeln sie sich auseinander. Wie bei Susann Thürmann und ihrer Zwillingsschwester Mandy.

    "Wir sind eineiige Zwillinge, aber wir haben einen komplett unterschiedlichen Stil, sage ich mal. Sie hat dunklere Haare und ist auch ein bisschen dünner, etwa sechs Kilo irgendwie. Und wir wollen das auch gar nicht mehr: gleich aussehen. "

    Für den Genetiker Manel Esteller vom spanischen Krebsforschungszentrum in Madrid sind eineiige Zwillinge ideale Studienobjekte. Er will herausfinden, wo die Macht der Gene endet.

    "Da eineiige Zwillinge die gleiche DNS haben, ist klar: Nicht alle Unterschiede sind genetisch. Wir sprechen da von: Epigenetik."

    Manel Esteller und seine Mitarbeiter haben 80 Zwillingspaare im Alter zwischen drei und 74 Jahren untersucht. Dabei haben sie sich Veränderungen an den Erbmolekülen angeschaut. Und zwar nicht die genetischen Informationseinheiten - also die Basenpaare - sondern chemische Anhängsel an den Erbmolekülen. Von denen ist bekannt, dass sie die Aktivität der Gene steuern.

    "Zum einen ist das die DNS-Methylierung. Das sind zusätzliche Molekülgruppen am Erbmolekül, die die Genaktivität steuern. Zum zweiten: die Histon-Acetylierung. Das sind Essigsäure-Anhängsel an den Eiweißen, die den Erbmolekülen ihre Chromosomen-Struktur geben."

    Das Erbgut wird durch diese Anhängsel nicht verändert. Die genetische Information bleibt identisch. Die Anhängsel wirken eher wie Verkehrsschilder. Sie sagen den Enzymen der Zelle, wie sie mit dem Erbgut umgehen sollen. Sollen sie das Gen aktivieren, bremsen, einschalten oder abschalten? Bei 35 Prozent der Zwillingspaare fanden die Genetiker deutliche Unterschiede in der Epigenetik. Bei den anderen waren die Positionen der Anhängsel weitgehend identisch. Manel Esteller:

    "Mit zunehmendem Alter werden die epigenetischen Unterschiede zwischen den Zwillingen größer. Bei jüngeren Zwillingen sind nur dann Unterschiede zu entdecken, wenn sich die Umwelt, in der sie leben, deutlich unterscheidet."

    Ein Beispiel: Wenn ein Zwilling raucht, und der andere nicht, dann ändert sich die Epigenetik. Die spanischen Wissenschaftler finden dann typische Unterschiede bei den Positionen der Anhängsel. Das kann man sich so vorstellen: Beim rauchenden Zwilling wurden die "Verkehrsschilder" umgestellt. Die Reparaturteams wurden aktiviert, um die durch das Rauchen ständig neu entstehenden Schäden an den Erbmolekülen zu reparieren. Ähnliche Wirkungen haben auch Unterschiede bei der Ernährung oder der sportlichen Aktivität. Susann Thürmann hat die Unterschiede zu ihrer Zwillingsschwester bewusst verstärkt. Als Jugendliche wollte sie sich unbedingt von ihr unterscheiden.

    "Da habe ich mir eine Glatze rasiert, mich tätowieren lassen, und Piercings und hast du nicht gesehen... Und meine Schwester: ganz brav und gesittet. "

    Mit der Folge: Die eineiigen Zwillinge sahen nicht mehr gleich aus. Sie hatten nicht mehr den gleichen Lebensstil und folglich änderte sich auch ihre Epigenetik.