Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Tolle Idee! Was wurde daraus?
Atemtest für Diabetiker

Morgens, mittags, abends ein Stich in den Finger - das ist für viele Diabetiker die alltägliche Routine, um ihren Blutzuckerspiegel zu messen. 2010 stellten Züricher Forscher eine mögliche Alternative vor: Blutzuckermessung in der Atemluft. Inzwischen gibt es einen Prototyp für die Anwendung in Krankenhäusern. Die Forscher selbst sehen das Potential ihrer Methode aber woanders.

Von Anneke Meyer | 20.06.2017
    Am 23. Mai 2016 entnimmt ein Student der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Gesundheit einen Tropfen Blut mit einem Diabetes-Testgerät. Der sichere und routinierte Umgang mit medizinischen Diagnose-Geräten gehört zu den Grundlagen des anspruchsvollen Ausbildungsprogramms der Bildungseinrichtung.
    Für den Blutzuckertest müssen sich Diabetiker noch regelmäßig in den Finger stechen. (dpa/ Hans Wiedl)
    "Einfach durchpusten. Und alles abatmen."
    Nein, keine Verkehrskontrolle. Wenn Andreas Güntner bittet, kräftig ins Röhrchen zu pusten, dann steckt dahinter rein wissenschaftliches Interesse.
    "Hier ist wichtig, dass wir den Teil der Luft haben, der wirklich tief von der Lunge kommt. Denn dort findet der Austausch mit dem Blut statt und somit haben wir den Teil der chemischen Information in der Atemluft enthalten. Den möchten wir dann mit unserem Sensor analysieren."
    Und zwar nicht auf Spuren von Alkohol. Die Sensoren, die im Labor für Partikeltechnologie an der ETH Zürich hergestellt werden, reagieren auf Stoffwechselprodukte die Hinweise auf Krankheiten geben.
    Zufallsentdeckung mit großer Resonanz
    Einmal kräftig ausatmen reicht dem Sensor um anzuzeigen, ob jemand Diabetes hat - eine Zufallsentdeckung erklärt Sotirirs Pratsinis, der die Arbeitsgruppe leitet.
    "Eigentlich haben wir versucht, mit Wolfram verschiedene organische Moleküle zu detektieren. Und dabei haben wir eine Methode gefunden, sehr selektiv Acetonkonzentrationen zu messen. Von Aceton weiß man aber schon seit Hippokrates' Zeit, dass es den süßen Duft im Atem von Diabetikern verursacht. Und so hat die Sache eigentlich angefangen."
    Das Besondere daran: Der Aceton-Detektor kann etwas, das bis dato in der Sensortechnologie ein Problem war: zuverlässige Messungen trotz hoher Luftfeuchtigkeit. Die Grundvoraussetzung damit ein Sensor überhaupt für die Atemgasanalyse benutzt werden kann. Im Jahr 2010 veröffentlichen Sotoris Pratsinis und sein Team ihre Entdeckung und schlagen vor, den Sensor als pieksfreie Alternative zur Blutzuckermessung einzusetzen.
    "Unsere Entdeckung wurde in unglaublich viele Sprachen übersetzt. Wir hatten damals über 40 Leute von überall zu Besuch. Sogar aus Taiwan. Sie wollten sehen, wie man das macht."
    Billige Sensoren können unendlich oft benutzt werden
    "Also Bitteschön. Dann haben wir hier die Anlage, wo wir die Sensoren produzieren."
    Andreas Güntner zeigt auf einen mannshohen Aufbau unter einer Abzugshaube. Ganz unten steht ein kräftiger Bunsenbrenner und eine Art Spritzpistole aus Glas, die mit einer bräunlichen Flüssigkeit gefüllt ist. Der Trick zur Herstellung von robusten Atemgassensoren ist das Spiel mit dem Feuer, erklärt Sotiris Pratsinis, während sein Doktorand die Flüssigkeit in die Flamme spritzt.
    "Wenn man ins Restaurant geht, steht da immer eine schöne kleine Kerze auf dem Tisch. Und dann dauert es manchmal etwas zu lange bis das Essen kommt - und was macht man dann? Man nimmt den Brotteller und hält ihn über die Kerze, um zu sehen wie er schwarz vom Ruß wird. Und genau so funktioniert das Prinzip unserer Methode: Wie bekomme ich Rußpartikel auf einen Teller."
    Statt Tellern beschichten die Wissenschaftler kleine Halbleiterplättchen. Und zwar nicht mit Ruß, sondern mit dünnen Filmen aus Metalloxiden, die in der braunen Flüssigkeit gelöst sind. Der Prozess dauert kaum eine Minute. Die Aceton-Sensoren sind billig und können quasi unendlich oft benutzt werden.
    Anwendung noch nicht alltagstauglich
    Gute Voraussetzungen für praktische Anwendungen. Die riesige Messapparatur die die Forscher 2010 um ihren Sensor bauten, war aber noch weit von der Alltagstauglichkeit entfernt. Inzwischen haben die Ingenieure das Gerät verkleinert, die Bedienung erleichtert. In Kooperation mit Medizinern in Innsbruck und Zürich haben sie das Verfahren mit Patienten getestet.
    "Morgens nach dem Aufwachen funktioniert die Messung sehr gut. Bevor der Patient etwas gegessen hat, stimmen Aceton und Blutzuckerspiegel gut überein. Aber mit dem Essen verändert sich der Stoffwechsel und das Sensorsignal wird ungenau. "
    Anders als der Bluttest, ist das Aceton in der Atemluft nur ein indirektes Maß für den Blutzuckerspiegel. Das macht die Methode weniger verlässlich. Eine vollwertige Alternative zum Fingerpieksen wird die Atemgasanalyse deshalb wohl nicht werden. So denkt Sotirirs Pratsinis mittlerweile.
    Prototyp für den kommerziellen Vertrieb
    Trotzdem hat seine Arbeitsgruppe gemeinsam mit einer italienischen Firma einen Prototyp für den kommerziellen Vertrieb entwickelt. Er könnte Ärzten als Diagnosehilfe gute Dienste leisten. Langfristig hofft der Verfahrenstechniker aber darauf, das Gerät für einen anderen Zweck zu adaptieren.
    "Für Diabetiker ist der regelmäßige Bluttest kein großes Problem. Ihn zu ersetzen, ist kein großer Fortschritt. Viel spannender wäre es, Krebs zu erkennen. "
    Nicht nur Aceton-spezifische Sensoren lassen sich durch die Verbrennung von Metalloxidlösungen herstellen. Auf gut Glück haben die Forscher schon Beschichtungen gefunden, die selektiv auf Atemgase reagieren, die Nierenprobleme oder einen bedenklichen Cholesterinspiegel anzeigen. Bei der Suche nach Sensoren, die etwa den Lungenkrebsmarker Formaldehyd detektieren, wollen die Forscher allerdings nichts dem Zufall überlassen.
    Viele verschiedene Sensoren sollen Krebs diagnostizieren
    "Glück hat man ein, zwei Mal. Erfolg hat man durch systematisches Vorgehen. Wir haben deshalb in unserem Labor eine neue Strategie etabliert: Wir arbeiten mit vielen verschiedene Sensoren mit unterschiedlichen Sensitivitätsprofilen gleichzeitig und gucken uns die Muster an, die ein Atemgas hervorruft. Das ist ganz ähnlich wie eine Nase funktioniert - nur eben mit Halbleitern."
    An der Krebsnase arbeiten Sotiris Pratsinis und sein Team in enger Kooperation mit Züricher Lungenexperten. Ihr Ziel: ein unkompliziertes Screeningverfahren für die Früherkennung von Lungekrebs. Der Verfahrenstechniker ist durchaus zuversichtlich, dass der Durchbruch bald gelingt. Wenn das der Fall ist, könnte es demnächst auch beim Arzt häufiger mal heißen: "Bitte pusten".