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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Mikroben fürs Recycling von Sondermüll

In Müllverbrennungsanlagen entsteht tonnenweise Sondermüll, denn die Schlacke aus dem Ofen enthält Schwermetalle. Tübinger Forscher wollten die giftigen Substanzen mit speziellen Bakterien herausfiltern, um den Rest zu recyceln. Doch sie scheiterten - an den Mikroben und an Bauvorschriften.

Von Karl Urban | 28.04.2020
Kabel, aber auch alte Handys, Elektronikgeräte - ein großer Teil davon wandert heute in Müllverbrennungsanlagen – und am Ende bleibt so einiges übrig: zum Beispiel Silizium, oder auch giftige oder wertvolle Metalle – in Form von Müllschlacke. Diese Reststoffe, man könnte auch Asche sagen, werden deshalb in Deponien eingelagert, viele Millionen Tonnen jedes Jahr. 2015 arbeitete der Geomikrobiologe Andreas Kappler von der Universität Tübingen daran, das zu ändern. Mikroben sollten Metalle aus der Müllschlacke zurückgewinnen, unterstützt durch das Unternehmen von Thomas Helle.
Mikroben sollen Metalle aus der Schlacke holen
Seine Firma befindet sich in einem Gewerbegebiet am Rand von Tübingen. Hier entwickelt Thomas Helle verschiedene neue Verfahren, um Abfallstoffe zu nutzen. Sein Labor sieht aus wie der Chemiesaal einer Schule: feuerfeste Tische, Waschbecken und am Rand ein Arbeitsbereich mit Abzugshaube.
"Ich öffne mal die Dose mit Originalschlacke. Sie können riechen, das ist der typische Schlackegeruch. Es riecht so ein bisschen nach Müll." Die Vision, die Thomas Helle 2015 umtrieb, klang bestechend. Man nehme Mikroben, die Metalle aus der Schlacke entfernen, zermahle die silikatreichen Überbleibsel zu einem feinen Granulat und verkaufe das dann an die Betonindustrie – als Ersatz für Sand, der weltweit zunehmend knapp wird.
"Die Bakterien sind zu faul"
Doch bei der Umsetzung in die Praxis stieß der Unternehmer auf ein Problem. "Ganz einfach, die Bakterien sind zu faul. Die arbeiten nicht schnell genug, und sie arbeiten nur in saurem Milieu. Und das saure Milieu verursacht dann wieder andere Probleme, weil dann bestimmte Stoffe ausfallen, die mir mein Mineralik-Material unbrauchbar machen für die Betonindustrie."
Ganz so schnell wollte Thomas Helle aber nicht aufgeben. Er blieb am Ball. Er läuft in den hinteren Teil des Labors. Hier stehen geschlossene Kübel aus Kunststoff, die leer sind. "Das sind alles Kübel, mit denen wir unsere Leaching-Versuche gemacht haben. Die Schlacke kommt in den großen Kübel rein, wird unten abgesiebt. Dann durchläuft sie ein zweites Bad, wo das Reagenz dazu kommt. Dann wird sie wieder abgezogen. Das Wasser wird wieder aufbereitet und ich kann dann die reine Schlacke verwenden."
Geheime Mischung statt Mikroorganismen
Statt Mikroben zu verwenden, um wertvolle Metalle zu recyceln, benutzt Thomas Helle jetzt ein spezielles Reagens. Was genau sich dahinter verbirgt, ist Betriebsgeheimnis. Nur so viel verrät Helle: 2018, nach drei Jahren Arbeit, fand er mit seinen Kollegen einen chemischen Weg, einen Großteil der Metalle aus der Müllschlacke abzutrennen. "Wir haben auch das Verfahren großtechnisch entwickelt, wie man große Mengen an Schlacke bewältigen kann. Mit unserem Partner, einer großen Müllverbrennung, war das abgesprochen. Wir haben schon ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet."
Doch am Ende scheiterte auch dieser Ansatz, und zwar vor dem Gutachterausschuss des Deutschen Instituts für Bautechnik: Die meisten giftigen Metalle würden zwar weitgehend aus der Müllschlacke entfernt, urteilte der Ausschuss, aber nicht das Kupfer. Thomas Helle: "Der Feststoffgrenzwert für Kupfer liegt, meine ich, bei 200 Milligramm pro Kilogramm, und wir sind bei 4000. Das sind wir deutlich drüber. Das macht aber nichts aus. Es gibt zum Beispiel in Finnland einen Hersteller von Beton, der setzt gemahlenes Kupfer dem Beton zu, rechtlich sauber, um eine höhere Betonfestigkeit zu erreichen."
Am Grenzwert gescheitert
Das Deutsche Institut für Bautechnik erklärte auf Nachfrage, es unterstütze grundsätzlich die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen. Aber die Verwertung von Abfällen dürfe "keine Schadstoffanreicherung im Wertstoffkreislauf" hervorrufen. Aus der Sicht von Thomas Helle dagegen wäre es an der Zeit, den Grenzwert heraufzusetzen: "Die Änderung dieses einen Grenzwertes wäre möglich, wenn man entsprechend lange Lobbyarbeit macht. Lobbyarbeit zu machen, ist aufwändig und teuer, und das können wir uns als kleines Unternehmen so nicht leisten. Deswegen mussten wir dann leider, leider leider diese Idee beerdigen."