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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Segel für Containerschiffe

Schiffe stoßen jedes Jahr drei Prozent der vom Menschen gemachten Kohlendioxid-Emissionen aus. Deshalb sucht die Fachwelt schon länger nach klimafreundlicheren Schiffsantrieben. Eine besonders spektakuläre Idee kommt aus Hamburg: ein Lenkdrachen, der das Schiff hinter sich herzieht.

Von Frank Grotelüschen | 19.06.2018
    Das neue 132 Meter lange Frachtschiff "Beluga Skysails" fährt im Dämmerlicht des Donnerstag (17.01.2008) zum ersten Mal mit einem Zugdrachen von Bremerhaven in die Nordsee.
    Der Drachen soll den Schiffsmotor unterstützen und so Treibstoff und Kohlendioxid-Emissionen sparen. (dpa)
    September 2006. Auf der Kieler Förde fährt die MS Beaufort, ein ehemaliger Tonnenleger. Am Bug ist ein Teleskopkran montiert, daran hängt ein Lenkdrachen, zwölf Meter breit und sieben Meter lang, groß wie eine Dreizimmerwohnung. "Es ist die erste öffentliche Vorführung des Systems in Originalgröße. Das ist kein alltäglicher Tag für uns." Der Mann am Megaphon ist Stephan Wrage, Geschäftsführer von SkySails, dem Hersteller des Lenkdrachens, der an einen übergroßen Gleitschirm erinnert. Wrage gibt ein Kommando, eine Motorwinde spult ab und das Seil, an dem der Lenkdrachen hängt, wird immer länger.
    "Sie sehen, dass das Segel langsam an Höhe gewinnt. Es wird ausgewinscht." Die Winde stoppt, als der Lenkdrachen 150 Meter hoch über dem Schiff fliegt. Ein elektronischer Autopilot hält ihn in der Balance und verhindert, dass er abschmiert. Denn nur so kann der SkySails-Drachen seine Funktion erfüllen: Er soll den Schiffsmotor unterstützen und Treibstoff und CO2-Emissionen sparen.
    "Die Idee zu SkySails hatte ich, als ich 14 Jahre alt war und am Elbstrand Drachen geflogen bin." Jetzt, zwölf Jahre später, sitzt Stephan Wrage in seinem Büro in Hamburg und lässt die Entwicklung Revue passieren. "Nachdem ich mein Studium beendet hatte, habe ich mich entschieden zu versuchen, diese Idee in die Tat umzusetzen. Hab' ich dann ja auch gemacht."
    Zugdrachen zu teuer und unrentabel
    2001 hatte Wrage die Firma gegründet. 2005 erprobte er ein erstes System auf einem Lotsenboot, ein Jahr später auf der MS Beaufort. Dann schien der Durchbruch nahe: Ende 2007 lief die Beluga SkySails vom Stapel, das erste kommerzielle Frachtschiff mit Lenkdrachen. "Wir haben uns für SkySails entschieden, weil wir vier bis fünf Tonnen pro Tag an Brennstoff sparen", so Niels Stolberg, damals Chef der Beluga-Reederei aus Bremen.
    "Das sind umgerechnet bis zu 2.000 Dollar am Tag. Und gehen Sie davon aus: Die Brennstoffpreise werden weiter steigen!" Die Beluga SkySails sollte nur der Anfang sein, nach und nach wollte Stolberg seine gesamte Flotte mit dem zusätzlichen Windantrieb ausstatten. Aber: "Daraus ist aus bekannten Gründen nichts geworden. Das war für uns natürlich, um es milde auszudrücken, sehr schade." 2011 ging Beluga pleite, erzählt Stephan Wrage, und damit war der Großauftrag passé. Auch die Prophezeiung mit den steigenden Ölpreisen erfüllte sich nicht. Die Folge: Mit Kosten von bis zu zweieinhalb Millionen Euro war der Zugdrachen für die Reeder schlicht zu teuer und zu unrentabel.
    "Wir haben im Frachtschiff-Markt derzeit keine Nachfrage. Das liegt daran, dass die Ölpreise niedrig sind, zum anderen aber auch die Frachtschifffahrt unter starken Verwerfungen leidet, sodass hier Innovation schwierig zu finanzieren ist." 2011 beendete SkySails die Produktentwicklung für den Frachtschiff-Sektor – und dass obwohl sich die Technik bewährt hat, betont Wrage: Die Bedienung sei weitgehend automatisiert und im Schnitt könne ein Schiff mit Drachenantrieb knapp zehn Prozent Treibstoff sparen, bei Idealbedingungen sogar noch deutlich mehr.
    "Wir konnten zeigen, dass wir bis zu 30 Prozent Treibstoff einsparen können. In sehr guten Windbedingungen zehn Tonnen Öl am Tag – das ist soviel wie fünf Einfamilienhäuser im Jahr verbrauchen." 2012 geriet das Unternehmen in finanzielle Nöte und musste die Hälfte seiner Belegschaft entlassen. Dennoch verfolgt Wrage die Technik weiter – wenngleich auch für einen anderen Markt. "Wir haben gerade eine Yacht ausgerüstet. Exakt die gleiche Technologie, der gleiche Autopilot, die gleiche Steuerungssoftware. Das Schiff fährt damit um die Welt, die Mannschaft ist sehr zufrieden. Der Nachweis, dass es funktioniert, ist erbracht."
    Lenkdrachen als Alternative zum Windrad
    "Race for Water", so heißt die Solaryacht. Sie ist derzeit auf den Weltmeeren unterwegs, um auf die Verschmutzung des Ozeans mit Plastikmüll aufmerksam zu machen – und Stephan Wrage hofft, dass die Kampagne seinem Lenkdrachen neue Aufmerksamkeit beschert. Und er tüftelt noch an einem zweiten Standbein: "Ich kann statt ein Schiff durchs Wasser zu ziehen, eine Winde drehen. An diese Winde kann ich einen Generator anbauen, sodass der Generator Strom erzeugt. Der Drachen zieht ein Seil von einer Winde ab und erzeugt Strom."
    Der Lenkdrachen als Alternative zum Windrad. Zwei Minuten lang steigt der Drachen bis zu 800 Meter auf und erzeugt dabei Strom. Ist der oberste Punkt erreicht, muss er wieder eingeholt werden. Das dauert 20 bis 30 Sekunden und verbraucht laut Wrage nur wenig Energie. Gegenüber herkömmlichen Windrädern sieht er manchen Vorteil, etwa für Offshore-Windparks.
    "Wir können unser System auf eine Schwimmboje setzen. Die ist innerhalb von acht Stunden verankert und angeschlossen. Und dann wird einfach Strom produziert." Derzeit testen die Ingenieure einen Prototyp mit 50 Kilowatt Leistung – ein eher bescheidener Wert. Denkbar sind aber auch Großdrachen, die mehr als zwei Megawatt leisten.
    "400 Quadratmeter groß, 36 Tonnen Zugkraft, knapp 3000 PS Leistung. Also schon ein sehr großes Gerät." So groß wird das erste Serienmodell nicht sein, das spätestens 2020 auf den Markt kommen soll. Mit seiner Leistung von 100 Kilowatt könnte es in entlegenen Landstrichen zum Einsatz kommen und dort teure Dieselgeneratoren für die Stromerzeugung ersetzen. Eine neue Windenergie-Technik, an der übrigens auch andere Firmen wie zum Beispiel aus Brandenburg dran sind und einen baldigen Markteintritt angekündigt haben.