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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Treibstoff aus Sonnenlicht

Solartechnik macht die Sonnenenergie als Strom nutzbar, der lässt sich aber nur schlecht speichern. Die Lösung könnten lagerfähige Treibstoffe sein, die durch künstliche Photosynthese hergestellt werden. Eine Idee, der Wissenschaftler schon seit 100 Jahren hinterherjagen.

Von Anneke Meyer | 29.08.2017
    Licht und Schatten zeichnen sich am Freitag an satt grünen Blätter ab. Versehen mit Denkfabrik-Stempel.
    Pflanzen setzen ein Prozent der in Sonnenstrahlen enthaltenen Energie in Biomasse um. Eine wirtschaftlich relevante künstliche Photosynthese müsste zehn Prozent erreichen. (dpa/picture alliance/Arno Burgi)
    Es ist der 27. September 1912 als der italienische Chemiker Giacomo Ciamician auf dem internationalen Kongress für angewandte Chemie einen visionären Vortrag hält. Sein Vorschlag: die Produktion erneuerbarer Kraftstoffe aus Sonnenenergie.
    "Dass es die Möglichkeit dafür gibt, beweisen die Pflanzen. Durch die Verwendung geeigneter Katalysatoren sollte es möglich sein, eine Mischung aus Wasser und Kohlendioxid in Sauerstoff und Methan oder auch einen anderen Kraftstoff umzuwandeln."
    Künstliche Photosynthese. Damals eine Idee. Heute im Prinzip möglich. Meint Harvard-Professor Daniel Nocera:
    "Die Wissenschaft hat gezeigt, dass es geht. Aber wenn wir über die kommerzielle Anwendbarkeit sprechen – das ist eine ganz andere Frage."
    Der Chemiker muss es wissen. 2011 hatte sein Labor ein "künstliches Blatt" vorgestellt. Eine mit elektrochemischen Katalysatoren beschichtete Solarzelle, die Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff spaltet. Nicht die erste Demonstration für die Machbarkeit künstlicher Photosynthese. Aber die erste, die drei Wünsche auf einmal erfüllt: Die Materialien sind billig, leicht herzustellen und lange haltbar. Grundvoraussetzungen für den Erfolg außerhalb des Labors. Mit seiner Firma Sun Catalytix will Daniel Nocera den Prototypen zu einem kostengünstigen, alltagstauglichen Produkt weiterentwickeln. In den vergangenen Jahren stellte sich aber heraus, dass dieser Plan so nicht umsetzbar ist.
    2014 verkauft Daniel Nocera seine Firma und seine Erfindung
    "Billig ist eine relative Sache. Die USA, Deutschland, die ganze industrialisierte Welt hat eine fertige Energieinfrastruktur, die mit Kohle und Öl funktioniert. Und niemand kann jemals etwas erfinden, das sich mehr lohnt, als eine schon bezahlte, Trillionen schwere Infrastruktur zu benutzen."
    Der gasförmige Wasserstoff, den das künstliche Blatt produziert, kann in den vorhandenen Öl- und Gaspipelines nicht transportiert und in existierenden Kraftwerken nicht verfeuert werden. Nachdem Sun Catalytix zwei Jahre vergeblich nach Investoren gesucht hat, ändert die Firma ihre Ausrichtung. Statt Treibstoff zu produzieren, will man nun Solarstrom zwischenspeichern. 2014 verkauft Daniel Nocera seine Firma und seine Erfindung an den Technologiekonzern Lockheed Martin.
    "Um unsere Erfindung an die existierende Infrastruktur anzupassen, braucht man einen Haufen fähiger Ingenieure. Mir wurde klar, der schnellste Weg dahin war, einen großen Partner zu finden."
    Im kommenden Jahr will Lockheed Martin das künstliche Blatt auf den Markt bringen: als Speichersystem für die Industrie. Ein Fortschritt für die nachhaltige Energieerzeugung. Aber auch eine Kapitulation vor den zementierten Strukturen im Energiesektor. Doch wie stehen die Chancen, dass sich das künftig ändert? John Gregoire arbeitet am Joint Center for Artificial Photosynthesis, einem staatlich geförderten US-Institut zur Erforschung künstlicher Photosynthese.
    "Es gibt definitiv einige hervorragende Entwicklungen, die zeigen, dass die Technologie funktioniert. Das Problem ist die Effizienz. Produzieren die Geräte genug Energie? Ich denke die Materialien, die wir bisher kennen, schaffen das noch nicht."
    Die Zehn-Prozent-Hürde ist noch nicht errreicht
    Aus Sonne speicherbare Energie zu gewinnen, ist ein mühsames Geschäft. Pflanzen setzen gerade mal ein Prozent der in Sonnenstrahlen enthaltenen Energie in Biomasse um. Daniel Noceras Prototyp von 2011 konvertierte um die sechs Prozent in Wasserstoff. Um wirtschaftlich relevante Mengen an Kraftstoff zu produzieren, müssen künstliche Photosynthesesysteme mindestens zehn Prozent Wirkungsgrad haben.
    "Wir sind dicht dran, an dieser Zehn-Prozent-Hürde, haben sie aber noch nicht genommen. Ob es reicht, die Materialien weiter zu optimieren, oder ob es da vielleicht noch grundsätzliche Probleme gibt, ist unklar."
    Um diese Frage zu klären, sucht John Gregoire mit einem Hochdurchsatz-Screening-Verfahren nach neuen Katalysatoren. Mit Erfolg: Im Januar veröffentlichte er zusammen mit Kollegen eine Beschreibung von zwölf neuen Substanzen, die mit Hilfe von Sonnenenergie Sauerstoff von Wassermolekülen abspalten. Vermutlich ist es also nur eine Frage der Zeit, bis der Sprung über die Zehn-Prozent-Marke gelingt. Dass dann automatisch auch der große Durchbruch auf dem Energiemarkt folgen würde, glaubt aber auch John Gregoire nicht.
    "Angenommen, es würde verboten, fossile Brennstoffe abzubauen: Dann hätte künstliche Photosynthese die Chance, eine mächtige, weit verbreitete Technologie zu werden. Aber wie groß ihre Bedeutung künftig sein wird, das ist vor allem eine politische Frage, keine wissenschaftliche."
    Daniel Nocera hat sich entschieden, nicht auf die Politik zu warten. 2016 beschrieb er im Fachblatt "Science" eine verbesserte Variante seines alten Prototypen. Das "bionische Blatt" hat einen höheren Wirkungsgrad und stellt statt gasförmigem Wasserstoff einen kohlenstoffbasierten flüssigen Treibstoff her. Eine Anpassung an die Öl-Infrastruktur, die dort Fuß fassen könnte, wo das Energiesystem noch im Aufbau ist: in Entwicklungs- und Schwellenländern. Derzeit verhandelt Daniel Nocera mit Investoren in Indien.