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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Zellen-Streckbank als Krebstest

Krebszellen sind oft weicher als gesunde Körperzellen. Warum also nicht einen Zellen-Streckautomaten zur Krebs-Früherkennung einsetzen? Das schlugen einst zwei Physiker vor. Zwölf Jahre später gibt es erste Laborgeräte zu kaufen. Aber durchgesetzt hat sich die Technik noch nicht. Warum?

Von Ralf Krauter | 07.11.2017
    Krebszellen
    Krebszellen sind oft weicher als gesunde Gewebe. Wenn man eine große Stichprobe von Zellen im Labor 'auf die Streckbank' bringt, kann man also womöglich einen Krebsverdacht erhärten (dpa / picture alliance / CTK Petr Eret)
    Dass vor dem Siegeszug der neuen Technik zur Früherkennung von Krebs noch viele Hürden zu meistern sind, zeichnete sich schon länger ab. Bereits 2009 erklärte der Physik-Professor Josef Käs von der Universität Leipzig dem Deutschlandfunk, in der Grundlagenforschung habe sich die neue Messmethode etabliert, doch ihre Kommerzialisierung komme kaum voran:
    "Wir hatten eigentlich eine Lizenz an Zeiss vergeben. Also Zeiss wollte eine verkaufbare Maschine daraus bauen. Wir sind dabei schon fast am Ende dieser Entwicklung gewesen. Wie sie sicher wissen, geht's Zeiss derzeit nicht gut, da arbeitet man Teilzeit und Zeiss hat Teile seiner Rücklagen bei den Banken verloren. Infolgedessen hat sich Zeiss jetzt aus diesem Projekt ausgeklinkt. Und wir sind kurz davor, mit einer kleinen Firma jetzt wieder eine neue Lizenz zu schließen."
    "Wir messen, wie weich oder hart die Zelle ist"
    Doch auch dieser Deal kam nicht zustande. Weshalb Josef Käs, der die optische Streckbank für Zellen 2005 gemeinsam mit seinem Doktoranden Jochen Guck entwickelt hatte, die Dinge selbst in die Hand nahm. Mit ehemaligen Studenten gründete er eine Firma: Die RS Zelltechnik GmbH in Leipzig vermarktet heute ein backofengroßes Messgerät, mit dem sich pro Stunde rund 350 Zellen vollautomatisch analysieren lassen. Sein Herzstück: Eine laseroptische Pinzette, die die einzelnen Zellen kontrolliert in die Länge zieht und misst, welche Kraft dazu nötig ist.
    "Das heißt, wir messen ganz einfach, wie weich oder hart die Zelle ist. Also wie man im Gymnasium die Federkonstante misst, indem man ein Gewicht dran hängt, ziehen wir an beiden Seiten und messen die Federkonstante der Zelle."
    Bis heute nur sechs Messgeräte verkauft
    Weil Krebszellen in der Regel weicher sind als gesunde Zellen, kann der biomechanische Stresstest sie zuverlässig erkennen. Eine Studie zur Frühdiagnose von Mundkrebs verlief vielversprechend. Auch bei der Brustkrebs-Diagnostik wurde die Streckbank für Zellen erprobt und führte zur Entdeckung einer neuen Klasse hyperaktiver Tumorzellen.
    Trotz dieser Erfolge hat die Firma RS Zelltechnik bis heute nur sechs Geräte verkauft - unter anderem an das deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg und an den Kosmetikhersteller Beiersdorf. Kostenpunkt etwa 250.000 Euro. Vom Routineeinsatz in Kliniken oder Arztpraxen sei man noch weit entfernt, räumt Josef Käs ein:
    "Dazu würden klinische Großversuche gehören, man würde eine ganz andere Geräteentwicklung bekommen. Dazu bräuchte man erhebliche Investitionsmittel. Und ich muss jetzt mal sagen: In Deutschland gibt's die nicht."
    "Es ist sehr schwer, Investoren zu finden"
    Dass es hierzulande schwer ist, Kapital für die Entwicklung neuer Technologien einzuwerben, haben schon viele beklagt. Die Investoren scheuten das Risiko, sagt Josef Käs:
    "Man verdient mit einem Mietshaus in München sicher besser Geld, als wenn man als Investor in eine mehr oder weniger risikobehaftete Technologie investiert. Das heißt, es ist sehr schwer Investoren zu finden. Und selbst die semi-offiziellen wie der Hightech-Gründerfond, der sich für uns interessiert hat und zum Großteil vom Staat finanziert wird – da sind wir am Schluss durchgefallen, weil die Studenten, die die Firma aufgemacht haben, nicht in Krawatte und Anzug aufgetaucht sind. Also in einfachen Worten: Marc Zuckerberg oder ein Steve Jobs hätte auch kein Geld bekommen."
    Prognose-Mehrwert noch nicht hinreichend belegt
    Den schleppenden Fortschritt allein auf innovationshemmende Förderstrukturen zu schieben, wäre aber zu simpel. Immerhin hat das Bundesforschungsministerium die Arbeit der Leipziger Physiker im Rahmen der Biophotonik-Initiative mit Millionen unterstützt. Was immer noch fehlt, ist der klare Beleg, dass die Streckbank für Krebszellen wirklich verrät, welcher Tumor sich gut- und welcher bösartig entwickeln wird. Denn nur dann böte das Verfahren einen Mehrwert gegenüber der heutigen Tumordiagnostik. Mit einem millionenschweren ERC-Grant vom Europäischen Forschungsrat will Josef Käs die Beweislage jetzt wasserdicht machen. In der Hoffnung, dass dann früher oder später endlich ein großer Medizingerätehersteller anbeißt:
    "Das Risiko ist immer noch extrem hoch. Das ist eine völlig neue Technologie, die an lebenden Zellen arbeitet, also auch einen Paradigmenwechsel verlangt. Selbst wenn die Wissenschaft funktioniert, heißt das nicht, dass wirklich die Akzeptanz bei den Pathologen kommt. Also es gibt viele Risiken. Und man muss erst mal extrem in die Vorkasse gehen."
    Etabliert sich die biomechanische Diagnostik noch?
    Josef Käs will weiter Überzeugungsarbeit leisten. Immerhin ist er nicht allein. Sein ehemaliger Doktorand Jochen Guck, heute Professor an der TU Dresden, tüftelt an einem hydrodynamischen Verfahren für das Zell-Stretching. Statt Laserstrahlen nehmen dabei winzige Strömungskanäle die Zellen in die Mangel. Die Methode verspricht hundertfach höheren Durchsatz und könnte klinische Anwendungen näher bringen. Auch in Berlin und Basel arbeiten Forscher an der biomechanischen Tumordiagnostik. Vielleicht nimmt die 2005 in Leipzig geborene Idee also doch noch Fahrt auf. Josef Käs hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben:
    "Ich habe jetzt noch so zehn gute Jahre vor mir. Und die Idee, mechanische Signaturen sind der beste prognostische Marker für Krebs, die möchte ich in meinem wissenschaftlichen Leben noch so etablieren, dass sie auch wirklich angewandt wird."