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Tom Koenigs: Die Zeit des ausländischen Militärs in Afghanistan ist abgelaufen

Der Einsatz in Afghanistan sei richtig gewesen, der Nutzen des Militärs dort nehme aber ab, sagt der frühere UNO-Beauftragte Tom Koenigs. Die Auswahl des Personals sei zu unvorsichtig, die Empörung der Afghanen für die kulturelle Gefühllosigkeit der Soldaten dagegen verständlich.

Tom Koenigs im Gespräch mit Martin Zagatta | 12.03.2012
    Martin Zagatta: Verbunden sind wir jetzt mit dem Grünen-Politiker Tom Koenigs, dem früheren Beauftragten der UNO für Afghanistan, der über seine Zeit dort auch ein Buch geschrieben hat. Guten Tag, Herr Koenigs.

    Tom Koenigs: Guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Herr Koenigs, rechnen Sie jetzt mit ähnlichen Unruhen und Zusammenstößen wie kürzlich nach den Koran-Verbrennungen durch die US-Armee, oder ist die afghanische Bevölkerung da Ihrer Einschätzung nach in der Lage zu unterscheiden, zu sehen, dass das offenbar die Tat eines durchgeknallten Psychopathen war?

    Koenigs: Ich fürchte, dass die Empörung sich schon Luft macht, denn das ist ja ein ganz entsetzlicher Vorfall, der zwar wahrscheinlich auf das Konto eines Verrückten geht, aber trotzdem: Die afghanische Bevölkerung ist zutiefst erschüttert, und das zurecht. Man muss nur versuchen, das in rationale Bahnen zu bringen. Insgesamt zeigt das aber sehr deutlich, dass die Uhr für internationale Truppen in Afghanistan abläuft.

    Zagatta: Wieso? Wieso gibt es dieses große Misstrauen?

    Koenigs: Es passieren zu viele solche Vorgänge und offensichtlich ist man auch nicht vorsichtig genug in der Auswahl des Personals und in der Bearbeitung der Themen. Wenn jemand extreme psychische Probleme schon gehabt hat, sollte man ihn nicht zum dritten Mal in so einen Einsatz schicken. Und wenn jemand in Afghanistan so bescheuert ist, dass er denkt, er könnte Korane verbrennen, dann sollte man ihn auch nicht da hinschicken. Und die Empörung der Afghanen für die kulturelle Gefühllosigkeit und auch für die Gefühllosigkeit von Einzeltätern ist natürlich verständlich. Das passiert dann. Die sind genauso geschockt wie eine Gemeinde, die einen Amokläufer in einer Schule zu beklagen hat, oder so was. Und da sind alle Sorten von Reaktionen möglich.

    Zagatta: Ist das gut, dass Angela Merkel in einer so schwierigen Situation vor Ort ist, oder ist das jetzt eher ungünstig?

    Koenigs: Nein, das finde ich richtig. Ich finde, dass sie da hingereist ist und trotzdem dort hingereist ist und den Afghanen unsere Verbundenheit und auch unsere menschliche Verbundenheit, auch mit den Opfern selber deutlich macht von höchster Stelle, das finde ich richtig. Und sie hat es auch in angemessenem Ton dem Präsidenten gegenüber gesagt. Der ist natürlich auch unglücklich, wenn er seine Leute leiden sieht, und man muss als allererstes auf Seiten der Opfer stehen. Das ist ganz klar. Ich finde es auch richtig, dass man angekündigt hat, über die militärische Zusammenarbeit hinaus weiter sich um Afghanistan zu kümmern. Ich würde mich freuen, wenn man sich sehr viel stärker auf die Bildung konzentrieren würde. Da können wir was, da wollen die Afghanen was und da ist auch die Gefahr von militaristischen Einzeltätern geringer.

    Zagatta: Herr Koenigs, Sie haben gesagt, die Zeit für militärische Einsätze läuft ab. Sie haben da entsprechende Erfahrungen. War dieser Afghanistaneinsatz von Anfang an ein Fehler, oder hat sich das erst so entwickelt?

    Koenigs: Nein! Ich war ja am Anfang und von Anfang an der Meinung, dass dieser Einsatz richtig war. Der Nutzen des Militärs ist aber immer weniger geworden. Hätte man sich schon in den ersten Jahren ganz stark, so wie man es jetzt ja macht, auf Ausbildung vor allem der Polizei konzentriert, wäre der Einsatz wahrscheinlich mit sehr viel weniger Soldaten, sehr viel weniger Verlusten und auch weniger Zeit und Geld vonstatten gegangen. Aber der Nutzen, den das Militär oder zusätzliches Militär oder Verweilen von Militär in Afghanistan hat, wird geringer. Mir hat der Sicherheitsberater Spanta mal gesagt, es gibt kein Land, das eine Besetzung oder etwas, was so aussieht, länger als zehn Jahre erträgt, am allerwenigsten Afghanistan. Das stimmt: Die Zeit ist abgelaufen. Auch wenn man zeitweilig gute Sachen gemacht hat, auch wenn man immer wieder auf Erfolge verweisen kann, die Erfolge werden weniger und die Probleme größer.

    Zagatta: Und zu den Problemen gehört beispielsweise, dass der Regierung, die wir dort unterstützen, Korruption vorgeworfen wird, dass die jetzt Gesetze noch auf den Weg gebracht hat, die Frauen weiterhin unterdrücken. Wenn man das so alles sieht, eine Bilanz, sind da mehr als 50 deutsche Soldaten, die in Afghanistan getötet wurden - das ist, glaube ich, die Zahl -, umsonst gestorben?

    Koenigs: Nein, sicher nicht. Und es gibt auch große Fortschritte in Afghanistan. Es ist aber nach wie vor wie in vielen Ländern dieser Welt so, dass die Kräfte der Demokratie noch nicht gesiegt haben und die Kräfte der Fundamentalisten nach wie vor stark sind. Man darf ja nicht vergessen, dass diejenigen zivilen Verluste, die auf das Konto der Taliban gehen, sehr viel höher sind als die, die auf das Konto der afghanischen Sicherheitskräfte oder der internationalen gehen. Trotzdem ist es so, dass die Afghanen ihre Angelegenheiten stärker selbst in die Hand nehmen müssen und dann eben auch Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass ihre liberalen Kräfte gestärkt und die fundamentalistischen geschwächt werden. Das ist eine politische Auseinandersetzung, die ich auch von den Afghanen erwarte.

    Zagatta: Ganz kurz noch, Herr Koenigs, vielleicht mit ein, zwei Sätzen: Glauben Sie, dass das gelingen wird, oder stehen die Taliban vor der Rückkehr?

    Koenigs: Ich glaube, es wird teilweise gelingen und teilweise nicht gelingen. Aber es wird weder eine riesengroße Katastrophe, noch einen gewaltigen Durchbruch geben. Ich glaube, schnelle Lösungen sind nicht die Sache von Afghanistan oder der Region, sondern beharrliches Arbeiten an Konsenslösungen. Das ist, glaube ich, was Erfolg verspricht.

    Zagatta: Der Grünen-Politiker Tom Koenigs, der frühere Beauftragte der UNO für Afghanistan. Herr Koenigs, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Koenigs: Ihnen auch. Herzlichen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.