Donnerstag, 25. April 2024

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Ton-Installation im Kunstverein Hannover
Klänge wie Skulpturen

Die schottische Künstlerin Susan Philipsz hat in den vergangenen Jahren zahlreiche eindrucksvolle Sound-Installationen entwickelt. Nun sind ihre Arbeiten unter dem Titel "Returning" im Kunstverein Hannover ausgestellt. Zu hören sind dort unter anderem die Tonaufnahmen von im Krieg beschädigten Blasinstrumenten - etwa Orgelpfeifen, die die Reichspogromnacht überstanden haben.

Von Carsten Probst | 26.12.2016
    Die Künstlerin Susan Philipsz, aufgenommen 2015
    Die Künstlerin Susan Philipsz (Villa Aurora)
    Sieben Plattenspieler sind in einem Saal des Kunstvereins Hannover verteilt, auf jedem dreht sich eine Vinyl-Schallplatte, die nur jeweils einen Klang in einer bestimmten Tonhöhe wiedergibt. Das eigentümliche Schweben der Klänge entsteht dadurch, dass Susan Philipsz für die Klangerzeugung unterschiedlich gefüllte Weingläser verwendet hat.
    Die Noten wiederum entstammen einer Komposition des englischen Komponisten John Dowland aus dem frühen 17. Jahrhundert, die sich der verschiedenen Arten von Tränen, von Schmerz und Melancholie widmet. Gleichzeitig abgespielt, erzeugen diese Töne ein Gewebe aus Klängen, das die Zeit zu verlangsamen scheint. Und zugleich ist diese Installation eine Erinnerung an Emil Berliner, den Erfinder der Schallplatte, der 1851 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Hannover geboren wurde.
    Klänge, besonders wenn sie Echos erzeugen, können Erinnerungen wecken, Vergangenheiten, sagt Susan Philipsz über ihre Arbeit. Und manche Echos sind schon an sich interessant, weil sie helfen, das Werk schon anhand dieser Echos zu bestimmen. Fast alle ihrer Arbeiten, die die Räume im Kunstverein Hannover vor allem akustisch erfahren lassen, funktionieren nach diesem Prinzip: Klänge verändern die Wahrnehmung des Raumes, und sie verweisen unmittelbar auf einen Bereich der Imagination, der Erinnerung, der Geschichte, der Emotion. Nirgends wird das deutlicher als in Philipsz' Werken zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs.
    Klänge als bildhauerische Erfahrung
    Philipsz' Serie der "War Damaged Musical Instruments" besteht aus Tonaufnahmen von im Krieg beschädigten Blasinstrumenten – wie hier in Hannover eines sogenannten Schofars oder Widderhorns, das aus dem ehemaligen Besitz einer jüdischen Familie in Hannover stammt, die das Instrument vor ihrer Flucht im Keller unter einem Kohlenberg zurückgelassen hat. Dem deformierten, halb zerquetschten Instrument lässt Philipsz von einem Musiker nun die Klänge entlocken, die ihm überhaupt noch möglich sind und die wie klagend und widerständig zugleich erscheinen
    Als jemand, der das Singen liebt, und wie man sich beim Atmen seines inneren Körperraumes bewusst wird und dann den Klang hinaus in den Raum gibt und damit den Raum einnimmt, begann ich über Klänge als ein skulpturales Element nachzudenken, sagt Susan Philipsz über ihre künstlerische Entwicklung. Klänge erzeugen, das ist tatsächlich eine Art bildhauerische Erfahrung, aus dem Inneren des Körpers heraus. So begann ich mein Werk als das einer Bildhauerin zu verstehen.
    Rundgang mit kontemplativer Atmosphäre
    Stets geht sie dabei auf die ortspezifischen Gegebenheiten ein. Die großen Straßenfenster des Kunstvereins Hannover ließ sie von ihren Abdeckungen befreien, deren Maßwerk die Räume fast wie eine Kirche wirken lassen. Hier inszeniert Philipsz einen Rundgang, der in der kontemplativen Atmosphäre fast klösterliche Andacht herauszufordern scheint. Neben den bereits genannten Arbeiten durchläuft der Besucher auch einen fast leeren, großen Saal, in dem über Lautsprecher die Töne einer historischen Synagogenorgel erklingen – auch sie ein Instrument mit Geschichte: Die Orgel hat die Reichsprogramnacht von 1938 in Hannover überstanden und befindet sich nun seit 2011 in der Villa Seligmann, in dem das Europäische Zentrum für Jüdische Musik Konzerte veranstaltet.
    Selten konnte das Werk von Susan Philipsz in einer so vielschichtigen, sich von Raum zu Raum weiter reichenden Spannung erfahren werden wie hier. Selten wurde der Kunstverein Hannover atmosphärisch so sehr verwandelt wie durch diese berührende Ausstellung.