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Total verknoppt?

Wenn beim Fernseh-Zappen historische Aufnahmen aus dem 3. Reich auftauchen, genügt der Hörtest: wabert eine Musik dazu, ist es ein Guido Knopp. Kurz darauf wird das Gesicht eines Zeitzeugen in Großaufnahme folgen, ein paar Sätze, dann wieder Musik, denn im Bild sind wieder Hitler, Goebbels, Speer, Blondi und all die anderen. Nun hat Guido Knopp die historische Aufklärung auf die Nachkriegszeit ausgeweitet, der deutsche Fußballsieg 1954 ist das Thema. Waren die Helden gedopt, womöglich ohne das Wort zu kennen?

Von Gisa Funck | 21.04.2004
    Guido Knopp ist jemand, der nicht unterscheiden kann zwischen Fiktion und zwischen Dokumentation und der damit schon ein Grundgesetz der filmischen Sauberkeit verletzt. Der Zuschauer weiß nie, was ist hier wirklich dokumentarisch und was ist hier ausgedacht und nachgestellt und inszeniert. Das schafft natürlich eine inszenatorische Dichte, das schafft natürlich die Fähigkeit, die Leute zu bannen und die Leute am Bildschirm zu halten. Und das zweite ist, dass er natürlich mit dem Faszinosum des Nationalsozialismus spielt, ihn bewusst auch einsetzt. Das ist, wie wenn die alten Nazifilme sozusagen gezeigt werden.
    Harte Kritik schlug dem ZDF-Historiker Guido Knopp in den letzten Wochen nicht nur vom ehemaligen Organisator der Wehrmachtsaustellung, Hannes Heer, entgegen. Auch in den Feuilletons formiert sich neuerdings Widerstand gegen ihn. "Guido Knopp", höhnte die ZEIT etwa kürzlich, "zeigt die Vergangenheit als Directors Cut, der den Regeln des Spannungskinos folgt." Längst keine Einzelmeinung mehr. Denn viele Kritiker meinen neuerdings, dass der ZDF-Mann fürs Geschichtliche allzu oft ins Allzumenschliche abgleitet. Ein Vorwurf, der Guido Knopp selbst allerdings kalt lässt. Er sieht sich als Fernseh-Historiker nämlich geradezu dazu verpflichtet, vorrangig an die Emotionen seiner Zuschauer zu appellieren:

    Wir machen ja keine Wissenschaft, wir machen Filme. Ein Film hat die Fähigkeit, den Zeitgeist zu spiegeln. Er hat die Fähigkeit zu zeigen, dass ein Ereignis spannend sein kann. Dass es die Menschen bewegt hat. Welche Folgerungen daraus entstehen, wie man das Thema vertieft oder ergänzt oder erweitert, das ist nicht mehr die Aufgabe des Films.

    O-Ton (Anfang des Films)
    Symphonisch-dramatische Musik
    darüber (Sprecher):

    Bern am 4. Juli 54, ein folgenreichen Tag. Im Wankdorf-Stadion, Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft. Deutschland gegen Ungarn.

    Zeitzeuge: Ja, es war ein Wunder. Gegen diese Mannschaft kann man nicht gewinnen. Gegen die Ungarn kann man nicht gewinnen. Es war ein Wunder.

    - Musik-
    "Das Wunder von Bern" – Knopps neuer Film zur Fußballweltmeisterschaft 1954 - spielt zwar in der deutschen Nachkriegszeit. Doch auch er weist jene altbewährten Stilmittel auf, die man schon aus Knopps Nazi-Filmen kennt: dramatisch-symphonische Hintergrundsmusik. Eine bedeutungsschwer klingende Sprecherstimme. Schnelle Schnitte. Nachgestellte und echte Spielszenen nebeneinander. Und natürlich jede Menge Zeitzeugen, die immer nur für höchstens zwei Sätze zu Wort kommen. Man könnte Guido Knopp, Jahrgang 1948, als MTV-Regisseur der Nachkriegsgeneration bezeichnen. Denn alle seine Filme gleichen aneinander, auch wenn sie unterschiedliche Themen behandeln. Wenn man so will, sind sie ein einziger, langer Musik-Clip, der hektisch durchs Geschichtsbuch zappt - und dabei dennoch strikt behauptet, stets "wahre Geschichte" zu sein. "Die wahre Geschichte": So hat Knopp auch diesmal seinen neuen Film untertitelt, wenngleich das "Wunder von Bern" einmal mehr vor allem Eines ist: großes Gefühlskino. Diesmal setzt es ganz ungeniert auf Heldenverehrung. Ständig sieht man hier Männer in Jubelpose. Männer, die sich umarmen. Und Männer, die Freudentränen vergießen. Und gleich mehrfach wird aus dem Off dann jener "Geist von Spiez" beschworen, der die Sepp-Herberger-Elf angeblich einst zu elf Freunden auf dem Fußballplatz verschweißt hat. Nichts – das wird in Knopps Film schnell klar – soll am Wunder-Mythos der Weltmeisterschaft von 1954 kratzen. Von daher mutet es tatsächlich absurd an, dass Boulevard-Blätter nun ausgerechnet diesem Film Miesmacherei vorwerfen: Schließlich erwähnt Knopp darin lediglich harmlose Vitamin-Spritzen, die einige Spieler vor dem Endspiel bekommen hätten:

    Mein Schlüsselsatz dazu heißt: "Die Legende ist so stark, die hält die Wahrheit aus." Und es ist ja eine Legende, die uns allen gut tut, die das Herz erwärmt. Ich möchte, dass dieser Film selber ein Kultfilm wird. Und er wird kein Kultfilm, indem man den Doping-Verdacht da hin- und herzelebriert, sondern indem man den Menschen einfach einen schönen, durchaus auch emotionalen Film bietet, der das Herz erwärmt. Ich hoffe, das tut er.

    Männer machen auch diesmal wieder die große Geschichte bei Guido Knopp. Und falls Frauen im "Wunder von Bern" überhaupt einmal auftauchen, dann allenfalls als hübsche Anhängsel von Fußballspielern oder mit einem Versprecher. Eine Zeitzeugin weiß da – typisch Frau! – natürlich noch nicht einmal, dass der Torjäger Rahn mit Vornamen "Helmut" und eben nicht "Uwe" hieß. Schwerwiegendere Peinlichkeiten bleiben dem deutschen Weltmeister von einst hingegen erspart. Egal, ob die provinzielle Enge der Adenauer-Ära oder die Tatsache, dass deutsche Spieler bei der WM 1954 stellenweise immer noch die erste Strophe der Nationalhymne sangen: All das kommt in Knopps Mythenbeschwörung nicht vor. In seinem "Wunder von Bern" ist der Himmel über Nachkriegsdeutschland stur ungetrübt und dürfen deutsche Männer endlich einmal jene Siegertypen sein, die Knopp offenbar heute immer noch sehnlich vermisst:

    Leute, mit denen man sich identifizieren konnte und identifizieren kann. Leute wie Fritz Walter oder sein Bruder Otmar Walter oder Eckel oder andere. Leute, bei denen man das Gefühl hatte, sie sind wahrhaftig. Und ein bisschen von diesem Geist der damaligen Zeit täte uns heute durchaus gut.

    O-Ton (Abspann aus dem Film)

    - Gefühlstriefende Musik -

    Darüber: Radioreporter:

    Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister! Schlägt Ungarn mit 3 zu 2 Toren im Finale in Bern!