Kirche im Dritten Reich

Konfirmanden für den Führer

08:38 Minuten
Kirchenwahl in Berlin.- SA-Männer vor Marienkirche mit Plakat "Wählt Liste 1 Deutsche Christen". Hitlerjunge mit Spendendose
Kirchenwahl-Propaganda der „Deutschen Christen“ in Berlin © Bundesarchiv
Von Kirsten Serup-Bilfeldt · 28.04.2019
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Ausgelöst durch den Fund einer Konfirmationspredigt von 1941 begeben sich ein pensionierter Bibliothekar und ein Pfarrer auf die Suche nach einem ungewöhnlichen Kirchenmann. Ans Licht kommt ein beschämendes Kapitel evangelischer Kirchengeschichte.
Die Geschichte beginnt ganz banal - mit einer klemmenden Schublade. Als der pensionierte Bibliothekar Peter Bruhn sie schließlich mit einem brachialen Ruck öffnet, findet er ein paar vergilbte Schreibmaschinenseiten, die dort offenbar seit rund sechs Jahrzehnte lagen. Auf dem Deckblatt liest er:
"Zur Erinnerung an die Konfirmationsfeier der Schlossgemeinde Wernigerode am 23. März 1941."
Bruhn liest aufmerksam den Text, den er 60 Jahre zuvor nur überflogen hatte. Und Stück für Stück kommen ihm längst vergessene Erlebnisse ins Gedächtnis zurück:
Erinnerungen an den Konfirmandenunterricht, die Konfirmation und einen "geselligen" Abend im Haus des Pfarrers, Superintendent Ludwig Beer.

Verlangt wurde "Mut zum tapferen Sterben"

In der Konfirmationspredigt, die Bruhn jetzt schaudern lässt, ist die Rede von einer "bedeutsamen Stunde" und einer "gewaltigen Zeit" für die Konfirmanden, vom "Mut zum tapferen Sterben im Gehorsam gegen den Führer" und von den Aufgaben des "deutschen Menschen für die Kirche Martin Luthers". Dem Text vorangestellt ist der Spruch:
"Wer ist ein Christ? Wer Deutscher ist
In allem Tun und Streben,
Dem Volk sich gibt, den Führer liebt,
Den uns der Herr gegeben,
Ihm bis zum Tod gehorsam ist,
Der ist ein Christ."

Pfarrer Beer – spurlos verschwunden?

Peter Bruhn beschließt, sich näher mit Leben und Wirken von Pfarrer Beer zu befassen. Er recherchiert, schreibt Landeskirchenämter an, fragt nach Unterlagen. Ohne Erfolg.
"Ausführungen über Lebenslauf und Wirken des Dr. Beer liegen unserem Archiv nicht vor", ist die Auskunft, die er immer wieder erhält. Erst die Einführung des Internets bringt ihn etwas weiter.
2009 stirbt Peter Bruhn.
Benjamin Schimmel, Gemeindepfarrer in Nürnberg-Eibach, hat den Bibliothekar leider nicht mehr persönlich kennengelernt, wie er sagt. "Aber bei ihm war es so, dass es dann erst ein Erschrecken mit dem Abstand von etlichen Jahren war. Und er selber noch mal reflektiert hat: Als Konfirmand hat er manches gar nicht so wahrgenommen wie mit dem Abstand einiger Jahrzehnte, um sich dann tatsächlich noch mal neu zu erschrecken und zu fragen: Was war das für eine Zeit, was war das für eine Sprache? Wie bestialisch und grausam war das eigentlich!"

Christen im Dienste des Führers

In Nürnberg-Eibach war auch Ludwig Beer Gemeindepfarrer, bevor er 1940 nach einigen unliebsamen Vorfällen seine Pfarrstelle in Eibach verlassen hatte und nach Wernigerode gegangen war.
Natürlich, so Benjamin Schimmel, waren damals weder der Predigttext noch der einleitende Spruch außergewöhnlich: "Es war relativ typisch für den Personenkreis, zu dem der Pfarrer Beer gehört hat - die 'Deutschen Christen', die versucht haben, christlichen Glauben mit einer völkischen und einer Rasseideologie zu verbinden, und vor allem mit einem ganz starken Führerprinzip. Und da hat eben auch der Dr. Beer damals in seinen Konfirmationspredigten durchaus versucht, den jungen Menschen beides mitzugeben: ein Ausrichten am christlichen Glauben, aber auch ein ganz starkes Ausrichten an der Person Adolf Hitlers als Führer des Deutschen Reichs."
Und dennoch ragt dieser "Fall" aus dem damals Üblichen heraus, betont Schimmel: "Seine Schärfe bekommt das im Grunde genommen über die Person des Dr. Beer selbst, der auch hier im Nürnberger Bereich für die Auseinandersetzung zwischen 'Bekennender Kirche' und 'Deutschen Christen' steht. Auch hier in Eibach, wo er versucht hat, die ganze Kirchengemeinde auf die Seite der 'Deutschen Christen' zu ziehen und hier die völkische Ideologie letztlich zu verankern."

Ein Hitler-Anhänger und glühender Antisemit

Tatsächlich dürfte es während des Dritten Reichs wohl keine Gemeinde der Bayerischen Landeskirche gegeben haben, in der der Kirchenkampf so dramatische Formen annahm wie in Eibach. Und fast alles in diesem erbitterten Streit hängt mit der Person dieses Geistlichen zusammen.
Ludwig Beer, Jahrgang 1893, war ursprünglich Katholik. Er hatte Jura und katholische Theologie studiert und war 1922 zum evangelischen Glauben konvertiert, weil er, so wurde gemunkelt, heiraten wollte. 1933 wird der fanatische Hitler-Anhänger und glühende Antisemit Pfarrer in Nürnberg-Eibach – ausgerechnet eine Gemeinde der "Bekennenden Kirche", die sich wohl eher in vorsichtiger Distanz zum NS-Regime befindet.
Da Beer Mitglied der "Deutschen Christen" ist, also der am Führerprinzip orientierten Strömung im Protestantismus, kommt es bald zu scharfen Auseinandersetzungen in der Gemeinde. Sie münden schließlich in disziplinarischen Maßnahmen gegen Beer. So schreibt der Kreisdekan des Kirchenkreises Nürnberg in einem Brief an die Pfarrämter:
"Pfarrer Dr. Beer steht in offener Rebellion gegen seine rechtmäßige kirchliche Obrigkeit. Er hat seine Amtsbrüder öffentlich diffamiert, er hat den Landesbischof in einer Gerichtsverhandlung der Rebellion beschuldigt. Er hat Kollektengelder nicht abgeliefert. Er hat der Gemeinde das Gotteshaus verweigert. Er hat sich geweigert, Amtssiegel, Kirchenbücher, und Kirchenkassen herauszugeben."

Julius Streicher unterstützte Beer

Zwischen den Jahren 1934 und 1935 wird Beer aus seinem Amt entlassen. Doch er hat "im Nürnberger Großraum prominente Unterstützung", sagt Benjamin Schimmel.
Namentlich von Julius Streicher, dem fränkischen Gauleiter und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer", und auch vom Reichsbischof Ludwig Müller, einem der führenden Repräsentanten der "Deutschen Christen":
"Das war sicherlich ein ausschlaggebender Grund, dass er sich so lange, über fünf, sechs Jahre noch halten konnte, obwohl er ja eigentlich seines Amtes enthoben war", vermutet Schimmel.
1940 wird Beer Superintendent in Wernigerode. Der damals 14-jährige Konfirmand Peter Bruhn merkt bald nach der Ankunft des neuen Pfarrers, dass "ein neuer Geist" in die Kirche einzieht. Später erinnerte er sich:
"Doch uns 14-Jährigen, die wir im NS-Geist erzogen wurden, fehlte damals dafür jegliche Sensibilität. Wir waren diesem 'neuen Geist' eines überzeugt nationalsozialistischen und antisemitischen Pfarrers kritiklos ausgeliefert."
"Er war natürlich durch und durch Antisemit", meint auch Benjamin Schimmel. "Man sieht das an Äußerungen, wo er immer wieder von 'dem Juden' spricht, der Jesus Christus ans Kreuz geschlagen hat und von dem sich das deutsche Volk trennen muss. Das Erschreckende ist, finde ich auf der anderen Seite, dass sich das nicht groß unterscheidet von Äußerungen der Zeit insgesamt, auch von Menschen, die sich nicht den 'Deutschen Christen' zugerechnet haben. Auch in den Gemeindebriefen der Bekennenden Gemeinde wird zum Führergeburtstag aufgerufen, für ihn zu beten. Da sind die Grenzen wirklich fließend gewesen."

"Geselliges" Treffen mit Exekutionsfotos

Nach der denkwürdigen Konfirmation 1941 geht Beer an die Ostfront. Im Sommer kommt er auf Heimaturlaub – und lädt jovial seine Konfirmanden zu sich nach Hause ein. Es kommt zu einem noch denkwürdigeren "geselligen" Treffen, wie Peter Bruhn sich erinnert:
"Er empfing uns in Uniform. Er diente in der Wehrmacht nicht etwa als Militärgeistlicher, sondern als ganz normaler Truppenoffizier an der Ostfront. Ausführlich berichtete er uns von seinem Dienst im sowjetischen Hinterland. Dabei traktierte er uns mit erbeutetem russischen Wodka, wovon er offenbar einen nicht geringen Vorrat mitgebracht hatte.
Wir erfuhren, dass er als Leiter eines Exekutionskommandos zuständig für die Hinrichtung von gefangengenommenen sowjetischen Partisanen war. Er hatte einen Packen Fotos dabei, die er herumreichte. Da konnten wir dann die Galgen sehen, an denen in langen Reihen die Leichen der unter seinem Kommando aufgehängten Russen hingen. Erst nach dem Krieg wurde mir das Ungeheuerliche in der Persönlichkeit dieses Pfarrers bewusst."
Nach Kriegsende und seiner Entlassung aus der Gefangenschaft versucht Ludwig Beer vergeblich, in den Dienst der bayerischen Landeskirche zurückzukehren. Ab 1947 steht er als Flüchtlingspfarrer im Dienst der westfälischen Landeskirche. 1949 kommt er bei einem Verkehrsunfall ums Leben.
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