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Totenklage und Tagebuch

Alle Romane von Sabine Peters enthalten autobiografische Elemente. "Feuerfreund" geht auf ihre Ehe mit dem Schriftsteller Christian Geissler zurück, mit dem sie eine "Liebes- und Arbeitsgemeinschaft" verband. Christian Geissler starb im Sommer 2008.

Von Cornelia Staudacher | 21.03.2011
    Als sich Rupert und Marie, die als Nebenfiguren aus früheren Romanen von Sabine Peters bekannt sind, kennenlernen, ist er ein anerkannter Schriftsteller, sie Praktikantin in einem Berliner Verlag. In die Briefe, die er ihr aus Portugal schickt, legt er Federn, Ziegenzähne oder Schmetterlingsflügel hinein. 20 Jahre leben sie zusammen im Rheiderland, die letzten zwei Jahre in Hamburg. Als Rupert, der Feuerfreund, im Jahr 2008 stirbt, ist er knapp 80 Jahre alt, Marie über 30 Jahre jünger. Ihre Trauer ist groß, das Gefühl der Verlassenheit unermesslich. Und doch ist da auch die Ahnung, aus der Erinnerung Kraft für ein Weiterleben schöpfen zu können. Sie ist die Triebfeder, sich schreibend die Vergangenheit zu vergegenwärtigen und der neuen Gegenwart zu stellen:

    "Das war schwer, und es war auch schön. Ich hab auch gelacht beim Schreiben. Es war sehr vielfältig in den Stimmungen. Und dann setzt natürlich beim Schreiben irgendwann immer das ein, dass man plötzlich da einen Text hat und möchte, dass der Text besser wird, und da gibt es dann eine größere Distanz. Beim Schreiben ging es mir dann zunehmend darum, mit dem Text in einen Umgang zu kommen und zum Beispiel die Temperaturen zu wechseln, also zwischen heiß und kalt, sehr emotional und dann wieder unterkühlt oder spöttisch oder aus größerer Distanz, und dieses Bauen dieses Textes, das hat mich dann auch sehr gefangen genommen. Da sind dann die Emotionen ein bisschen dahinter verschwunden."
    Das Buch, das Roman zu nennen einmal mehr marktstrategischen Erwägungen des Verlags geschuldet sein mag, ist Totenklage, Erinnerungsbrevier und Tagebuch der allmählichen Selbstvergewisserung in einem. Es ist in dem lakonischen, unkapriziösen, gelegentlich fast schnippischen und mit feinem Sarkasmus unterlegten Ton geschrieben, den schon die früheren Romane von Sabine Peters auszeichneten. Larmoyanz liegt ihr fern, nicht aber Pathos in einem originären, unverfälschten Sinn, als Ausdruck von Herzensbildung und der Dringlichkeit und Unbeirrbarkeit, mit der sich die Autorin schreibend ans Werk macht. Die drei, unterschiedlich langen Kapitel sind drei Möglichkeiten ihrer literarischen Annäherung an den Freund und die gemeinsame Zeit.

    Da sind zunächst die "Bilder" – so der Titel des ersten Teils -, die assoziativen, der spontanen Eingebung, nicht chronologischer Ordnung folgenden Erinnerungen, die vor dem inneren Auge Maries erstehen. Sie machen das erste Drittel des Buches aus. "Briefe", der zweite Teil, umfasst nur sechs Seiten. Der Versuch, dem toten Freund zu schreiben, wird unrealisierbar befunden und abgebrochen.

    "Brücken" aber – so der letzte und längste Teil, der zwei Drittel des Buches ausmacht – führen von der erinnerten Vergangenheit in die Gegenwart, von der Trauer und anfänglichen Hoffnungslosigkeit in eine neue Lebensperspektive. Es sind solche Brücken, (Zitat) "die sie ins Leben zurückführen, ohne ihre Trauer zu verraten":

    "So gab es dann erst die Bilder, Fotografien, die ein bisschen laufen, dann die Briefe, die eigentlich nur ein Dokument eines Scheiterns sind. Briefe schreiben an einen Toten geht nicht. Dann tastet sich der Text ein bisschen daran, was geht, und das betrifft den schreibenden Menschen selber, aber ich habe wirklich auch so sehr gedacht, bei diesem Thema Tod kann man den Leser zu Gefühlen zwingen. Und ich möchte niemanden zwingen, ich möchte, dass es offen ist. Und das heißt, in diesem Text muss auch geschimpft werden, gelacht werden, also die ganze Fülle von Gefühlen soll da sein. Ich glaube, das kennt jeder Mensch aus jeder schweren Situation, dass es nie nur eins ist, dass man nur traurig ist. Man ist ja doch auch spöttisch, freudig, lebenshungrig, eifersüchtig auf blöden Kleinkram und deswegen eben auch diese Facetten, diese Scherben."

    Aus "Scherben", Facetten, fragmentarischen Partikeln setzen sich wie in einem Kaleidoskop Bilder zusammen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Objektivität erheben, sich vielmehr je nach der eigenen Befindlichkeit in Verwandlung befinden. Gleichzeitig legt sich die Autorin immer wieder Rechenschaft ab über ihr Tun:

    "Das Schreiben macht sich notwendigerweise immer ein Bild der Welt und sagt sozusagen, so ist es, und ich möchte gern eine Literatur schreiben, die das auch befragt, die immer auch fragt, ist es so, und die versucht, ein bisschen die Anmaßung zu umgehen, zu sagen, ich weiß von einer Person das und das, oder die das zumindest infrage stellt, das heißt, die Problematik des Schreibens ist ja auch ein Teil des Textes geworden."
    Sie will auch den Leser nicht überrumpeln. Respekt vor ihrem Sujet wie vor der Freiheit des Lesers ist Teil des poetologischen Grundkonzepts von Sabine Peters. Die immer wieder auftretenden Zweifel an den sprachlichen Möglichkeiten eines literarischen Erinnerns münden in eine Sprachskepsis, aus der sich gelegentlich regelrechte Sprachexerzitien ergeben: Sie wolle nicht über Rupert sprechen, sondern mit ihm, heißt es einmal, sie wolle ihm nicht zu nahe treten, sie wolle ihm nah sein. Und vor allem habe sie nicht vor, (Zitat), "Rupert zum Objekt ihrer Arbeit zu machen. Er sei ein Subjekt. Immer noch sei er tot."

    "Es hat da keine einzige Figur, also weder Rupert noch Marie noch seine Kinder, die Nachbarn, Freunde, die haben alle keinen stringenten Lebenslauf bekommen. Das wäre mir auch immer verdächtig. Und daher rührt dieses Schreiben, was so ein bisschen wie ein Scherbenhaufen ist. Es sollte auch immer Luft lassen, also die einzelnen Figuren sollten sich widersprechen und infrage stellen können."
    So wechseln heitere Erinnerungsszenen mit introspektiven Passagen, in denen die Autorin ihre Einstellung zu den Erinnerungen einer kritischen Betrachtung unterzieht und dem gelegentlich auftretenden Selbstmitleid Paroli bietet, dem "Karussell von Vorwürfen und Selbstvorwürfen im Kopf". Die Frage, was mit der Erinnerung im Augenblick des Schreibens geschieht, die Ambivalenz zwischen Vergessen und Festhaltenwollen, zwischen Zeit und Erinnerung, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch:

    "Die Erinnerungen sind so eine Art Wildtier oder so etwas, was ich nicht steuern kann. Die kommen, die verändern sich, manchmal denkt man, durch das Schreiben werden sie mehr, werden sie detaillierter, werden sie gründlicher. Dann kann man wieder das Gefühl haben, durch das Schreiben verschwindet das alles. Wie beim Erzählen, wenn Opa viermal die gleiche Anekdote erzählt hat, dann fliegt alles, was daneben war, raus, insofern kann man eben auch dem Schreiben so misstrauisch gegenüberstehen, nicht, wie auch Fotosammlungen. Was ist denn neben dem Foto von einer Person? Welche Gestik hat der abgebildete Mensch in der nächsten Minute?"
    Die meiste gemeinsame Zeit lebten Rupert und Marie in einer kleinen Landarbeiterkate im ostfriesischen Rheiderland. Aus dieser flachen, kargen, strengen Landschaft mit ihrem "offenen, blauen Himmel" zieht Marie Kraft. In präzisen, gleichwohl sehr poetischen Bildern beschwört sie die Natur herauf, mit der in Einklang gelebt zu haben eine Quelle des Trostes darstellt. Der bäuerlichen Welt erweist sie ihre Referenz, indem sie von den Problemen berichtet, die die landwirtschaftlichen Strukturveränderungen und die damit einhergehenden Existenzängste für die Bauern mit sich bringen:

    "Das ostfriesische Rheiderland ist eine strenge Landschaft und eine Kulturlandschaft, die Deiche, die Kanäle und es ist alles sehr geometrisch und wirkt dadurch sehr streng. Dann gibt es da den weiten Himmel. Wir haben immer gesagt, der Himmel fängt auf Augenhöhe an, das heißt, man konnte das Gefühl einer großen Offenheit empfinden."
    Sabine Peters hat ein bewegendes, persönlich motiviertes, bei aller Intimität aber auch allgemeingültiges Buch geschrieben, das weit mehr ist als ein Erinnerungsbrevier an den Freund, der ein radikal denkender Mensch war und mit Freunden über die Ungerechtigkeiten der Welt stritt, wenn er nicht die Wattvögel am Deich beobachtete oder sich um die Glut im Ofen kümmerte. "Der Feuerfreund" ist ein Traktat über das Leben und die Liebe, über Sterben und Trauer. In der ihr eigenen Sprache, changierend zwischen Lakonie und Zärtlichkeit, Ironie und Pathos, Sachlichkeit und Empfindsamkeit macht Sabine Peters deutlich, wie eng Tod und Trauer mit dem Leben verknüpft sind, dass das eine ohne das andere nicht zu haben ist.

    Sabine Peters: "Feuerfreund". Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
    219 Seiten, 19,- Euro