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Tour Rolling Stones
Von wegen too old...

Stolze 294 Jahre haben die vier Rolling Stones zusammen auf der Lebens-Uhr. Zu alt für den Rock'n'Roll? Im Gegenteil: Momentan sind die rüstigen Rocker auf Teil Zwei ihrer "No Filter"-Tour, die Ende Juni auch in Deutschland gastiert. In gigantischen Stadien - für astronomische Eintrittspreise. Lohnt der Besuch?

Von Marcel Anders | 03.06.2018
    Drei Männer mit Musikinstrumenten und ein Mann mit Mikrofon in der Hand stehen auf einer rot ausgeleuchteten Bühne.
    Rolling Stones Tournee 2018 (Christoph Eisenmenger)
    Musik "Street Fighting Man"
    Dale Skjerseth: "Wenn man sich das Publikum anschaut, sind da Großeltern mit ihren Enkelkindern. Einfach, weil es eine unterhaltsame Show ist. Und weil die Musik toll ist. Sie hat nichts nostalgisches, sondern ist zeitgemäß und hat Strahlkraft für die Zukunft. Junge Bands sollten sich die Stones unbedingt ansehen. Dann werden sie sagen: "Ich sollte mehr üben, um so zu spielen wie die alten Typen da oben. Einfach, weil sie es immer noch drauf haben und immer noch Spaß haben. Sie genießen es, zu touren."
    Dale Skjerseth, seit 24 Jahren in Diensten der Band, versucht das Unerklärliche in Worte zu fassen: Die Stones sind seit 56 Jahren aktiv. Sie locken immer noch 60.000 Zuschauer in ein Stadion. Sie können viel Geld für den Eintritt verlangen - und erleben derzeit eine regelrechte Renaissance. Für Keith Richards, auch schon 74 Jahre alt, hat die Band etwas von einem guten Wein - sie wird mit zunehmendem Alter immer besser und bleibt vor allem nie stehen.
    Keith Richards: "Die meisten Rock´n´Roll Bands lassen sich ziemlich schnell verheizen - aber sie haben ja auch nicht unsere Kondition. Sie haben einen Teil ihres Trainingsprogramms verpasst, und deshalb werden sie immer schlechter. Wir dagegen sagen: "Dies oder das könnten wir verbessern" - und machen immer weiter. Wir sind quasi auf der Suche nach uns selbst und verändern uns ständig. Es ist ein echtes Abenteuer."
    Musik "Jumping Jack Flash"
    Zusammenspiel und ehrliche Performance
    Richards tendiert zur Mystifizierung. Dabei gibt es einen ganz simplen Grund, warum dieses Abenteuer - wie er es nennt - immer noch erfolgreich und spannend ist: Nach einem Popularitätsknick Anfang der 2000er hat die Band hat ihre Präsentation den Wünschen des Publikums angepasst und setzt weniger auf visuelle Showeffekte als auf ihr Zusammenspiel. Auf eine ehrliche Performance, wie Skjerseth betont.
    Dale Skjerseth: "Es ist fokussierter. Also es konzentriert sich alles auf den Vortag, auf die Musik. Wir haben zwar große Video-Bildschirme, die so hoch sind wie ein Mehrfamilienhaus, aber die Bühne an sich ist sehr spartanisch. Das halten wir seit 2012 so, als sich die Band entschied, alles ein bisschen zurückzufahren und sich auf das Wesentliche zu beschränken. Was die Leute auf den Bildschirmen sehen, ist wie der Sound entsteht. Wir haben keine aufblasbaren Gimmicks mehr."
    Musik "Honky Tonk Women"
    Eine kleine Korrektur mit großen Folgen: Beim Auftritt im Londoner Olympic Stadium ist der Klang überraschend gut - und die Stones spielen eher wie in einem Club als in einem Stadion. Zwar nutzen sie auch mal den Laufsteg, um ein Bad in der Menge zu nehmen, aber meist stehen sie dicht beieinander, jammen wie im Proberaum und wirken einfach nur happy. Selbst Charlie Watts, der sich gleich mehrfach zu einem raren Lächeln hinreißen lässt. Aber vor allem Keith, der grinst wie ein Honigkuchenpferd, auch mal das Intro zu "(I Can´t Get No) Satisfaction" versemmelt und seine eigene Philosophie von der perfekten Bühne hat.
    Keith Richards: "Für mich ist das Wichtigste, wie ihre Oberfläche beschaffen ist und welche Schuhe man am besten trägt. Einfach, um nicht ins Publikum zu segeln, wenn es mal regnen sollte. Es sind Kleinigkeiten nach dem Motto: Habe ich genug Halt oder rutsche ich? Das ist das Entscheidende an einer Bühne."
    Musik "Sympathy For The Devil"
    Verantwortungsbewusste Dienstleister
    Die dienstälteste Rockband der Welt als verantwortungsbewusste Dienstleister - ein Novum, das sich auch in einem zweistündigen Greatest Hits-Programm äußert. Das aktuelle Album "Blue & Lonesome" wird lediglich mit einem Stück bedacht - ansonsten dominieren die Klassiker: Von "Street Fighting Man" über "Honky Tonk Women" bis hin zu "Brown Sugar". Stücke, die jeder kennt und für die das Publikum Wahnsinnspreise zwischen 150 und 800 Euro bezahlen muss - doch diese Kritik perlt an Keith Richards ab.
    Keith Richards: "Wenn ich mitkriege, dass etwas nicht OK ist, schalte ich mich ein. Ansonsten sind es die Gesetzmäßigkeiten des Marktes - von wegen Angebot und Nachfrage. Mein Job besteht eher darin, "Jumpin´ Jack Flash" in der richtigen Tonart zu spielen und den Mittelteil in "You Can´t Always Get What You Want" hinzukriegen. Da kann ich mich nicht noch um die Eintrittspreise kümmern. Aber: Ich würde alles zahlen, um noch einmal Muddy Waters zu sehen. Der hat früher übrigens 5 Dollar gekostet – genau wie wir."
    Musik "You Can´t Always Get What You Want"
    Wie die alten Blueser werden wohl auch die Stones so lange weitermachen, bis sie auf der Bühne oder im Studio kollabieren. Eine romantische Vorstellung, die allerdings im krassen Gegensatz zur Vermarktung der Konzerte steht. Die werden schon seit Ende der 80er unter dem Deckmäntelchen der vielleicht letzten Tournee angepriesen. Ein running joke, von dem sich Skjerseth ausdrücklich distanziert.
    Dale Skjerseth: "Die Stones haben das nie so angekündigt. Sie haben nie gesagt, dass es das letzte Mal ist - und ich glaube auch nicht, dass das je passieren wird. Es ist ihre Band und sie funktioniert - warum also aufhören? Ich denke, die Jungs werden so lange weiterspielen, wie sie können."
    Eine Einschätzung, die Richards teilt. Denn trotz tiefer Gesichtsfurchen, weißem Haar und der Statur eines Rock-Opis: Der 74-jährige lebt von und für die Stones. Sie sind seine Daseinsberechtigung, seine Mission, sein Ein und Alles. Deshalb wird weitergerockt - bis zum jüngsten Tag.
    Keith Richards: "Ich bin sehr dankbar, dass ich immer noch hier bin und tun kann, was ich will. Solange die Leute das sehen wollen, werde ich auch nicht damit aufhören. Es sei denn, ich kratze auf der Bühne ab. Aber: Ich habe nicht vor, aus diesem Bus aussteigen, ehe er die Endstation erreicht."