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Tourismus
Trotz Internet erleben Reisebüros eine Renaissance

Die Zahl der Reisebüros in Deutschland steigt wieder an. Ein Grund: Die Reiselustigen schätzen individuelle Beratung, die sie bei der Online-Buchung nicht bekommen. Das Marburger Reisebüro "Weitsprung" zeigt anschaulich, warum Reisebüros trotz Internet nicht aussterben.

Von Ludger Fittkau | 04.05.2016
    Kunden lassen sich in einem Reisebüro in Berlin-Tegel beraten.
    Wegen der individuellen Beratung gehen mehr Kunden wieder ins Reisebüro. (afp / Lukas Kreibig)
    Marburg –Süd, Reisebüro "Weitsprung" . Seit 15 Jahren ist man hier spezialisiert auf die Planung von Reisen für Menschen mit Handicap.
    "Dann mache ich ihnen ein Angebot oder schicke es ihnen per E-Mail und dann unterhalten wir uns darüber."
    "Weitsprung"- Mitarbeiter Thomas Lühr berät Detlev Englert. Der stark sehbehinderte Reiselustige will demnächst nach Gomera und braucht wegen seiner Behinderung eine Person, die ihm beim Einstieg in das Flugzeug hilft.
    Englert: "Wie lang dauert das?"
    Lühr: "Ein, zwei Tage, ich muss gucken, ob die Leute frei sind."
    Detlev Englert ist nicht das erste Mal bei diesem Anbieter, der sich auf Reisen für Menschen mit Behinderungen spezialisiert hat:
    "Ja, ich hatte hier schon mal was gebucht und fand das ganz gut. Damals war ich mit meinem Sohn, der damals noch klein war, nach La Palma geflogen und brauchte damals auch so einen Service am Flughafen, damit ich da ins Flugzeug finde."
    Detlev Englert hat trotz seiner Sehbehinderung selbstständig den Weg in das Marburger Reisebüro gefunden.
    Besondere Beratung erwünscht
    Dies schaffen nicht alle reiselustigen Menschen mit Handicaps, sagt Birgit Glöckner, die gemeinsam mit dem seit einem Motorradunfall körperbehinderten Pädagogen Martin Smik die gemeinnützige GmbH im Jahr 2001 gegründet hat. Die beiden begleiten auch heute noch als Assistenten selbst auf Reisen Menschen mit Handicaps:
    "Das fängt an im Flieger, wo man vielleicht schon das Besteck auspacken muss, weil jemand nicht so viel Bewegungsfreiheit hat mit seinen Armen hat, die er braucht. Wenn jemand auf die Toilette muss im Flugzeug, muss man dafür Regelungen treffen oder Lösungen finden. Das Gepäck muss auf jeden Fall da sein. Wenn so ein Rollstuhl mal nicht ankommt, hat man auch ein Problem. Die schönste SMS, die ich mal bekommen habe war: 'Sind gut gelandet in Buenos Aires, Rollstühle noch in Madrid'. Und dann denkt man: Gut, wie geht das jetzt wohl weiter, das sind so kleine Sachen, um die man sich kümmert."
    Die sehr individuelle Betreuung beginnt schon bei der Reiseplanung. Etwa, wenn es jemand mit dem Rollstuhl nicht nach Marburg schafft, um sich von den "Weitsprung"-Mitarbeitern beraten zu lassen:
    "Wir bieten auch an, dass wir vor Ort zu jemandem kommen können, damit wir da auf jeden Fall auch Beratung machen können. Oft sind die Wege nach Marburg ja nicht einfach zu finden und für Reisevortreffen für zwei Stunden nach Marburg zu kommen, das ist für viele ein enormer Aufwand. Und dann machen wir es oft so, dass wir zu jemandem hinfahren- bis Köln oder bis Frankfurt am Main, das auf jeden Fall schon."
    Einen solchen Service können reine Online-Reisebüros schlicht nicht bieten. Der Deutsche Reiseverbandes (DRV) ist der größte Interessenverband der Tourismusbranche. Er spricht bereits von einer die Renaissance klassischer Reisebüros. Auch deshalb, weil sich viele Kunden "bei der Bewertung der zahlreichen Angebote im Internet zunehmend überfordert fühlen und aus dem Netz zurückkehren", so der DRV.
    Er stellt fest, dass sich die Zahl der stationären Reisebüros 2015 zum zweiten Mal in Folge wieder erhöht hat. Der Umsatz stieg um drei Prozent auf den Rekordwert von 23,7 Milliarden Euro, obwohl auch der Online-Verkauf von Reisen weiter wächst.
    Birgit Glöckner vom Marburger Reisebüro "Weitsprung" wundert es nicht, dass sowohl Buchungen im Internet als auch die Anzahl der klassischen Reisebüros wachsen:
    "Das Internet ist für uns eine sehr große Hilfe gewesen, weil man einerseits Reiseziele mit dem Internet besser erschließen kann. Viele Informationen über Barrierefreiheit oder Versuche von Menschen, etwas zugänglicher zu machen, kann man da auch nachvollziehen. Es ist längst noch nicht alles drin, aber man findet sehr viel mehr Informationen als früher. Man hat viel schneller Kontakte etwa zu Hotels oder zu Anbietern, die etwas barrierefrei anbieten möchten. Und die Menschen finden uns auch gut über das Internet. Also, wenn man da die entsprechenden Schlagworte eingibt kommt man schon auf Veranstalter, die sich besonders viel Mühe machen mit Menschen mit Behinderungen."
    Es ist kein Zufall, dass sich das Reisebüro "Weitsprung" in Marburg angesiedelt hat. Denn die mittelhessische Universitätsstadt tut schon sehr lange viel für Barrierefreiheit. Nicht zuletzt deshalb, weil es in der Stadt eine große Schule für Sehbehinderte gibt. Der sehbehinderte Kunde Detlev Englert wünscht sich, dass es mehr Angebote wie das Reisebüro "Weitsprung" auch an anderen Orten der Republik gibt. Zumal das Internet für Blinde oft kaum benutzbar ist:
    "Viele Anbieter sind da noch nicht so aufgestellt, dass man da als Sehbehinderter alleine irgendwas findet. Ich habe zwar so Hilfsmittel am Computer, aber die können dann die entsprechenden Webseiten oft gar nicht lesen. Oder nur sehr partiell, so dass ich mir dann bestimmte Sachen ausdrucken muss und von anderen vorlesen lassen kann oder so."