Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Tourstart von Moses Sumney
Der Antiromantiker

Wer sich auf Musikblogs im Internet umsieht, dem dürfte in den letzten Jahren ein Name immer wieder begegnet sein: Moses Sumney. Der Sänger aus L.A. mit einem eindringlichen Falsett und abenteuerlichen Songstrukturen ist derzeit mit seinem Debütalbum "Aromanticism" auf Tour in Deutschland.

Von Bernd Lechler | 04.11.2017
    Moses Sumney bei einem Konzert in Austin, Texas
    Mut zum Fragilen und Seltsamen - Moses Sumneys Gesang klingt intim und zugleich artifiziell, findet Bernd Lechler (AFP PHOTO / SUZANNE CORDEIRO)
    "Bin ich am Leben, wenn mein Herz nichts tut?", fragt Moses Sumney im Song "Doomed", "oder bin ich verloren?" - Die Frage geht an Gott: Findet das Universum uns unnütz, wenn wir nicht lieben?
    "Und nicht nur das Universum. Tue ich meine Pflicht als Mensch, von der alle ständig reden? Die Welt, die Literatur, die Musik, die Bibel, der Koran, die griechische Mythologie? Man muss das in Frage stellen! Sonst führst du ja nur Befehle aus. Oder folgst deinem Gefühl, aber: Was wir fühlen und was uns befohlen wird zu fühlen, hat ja miteinander zu tun."
    "Aromanticism" ist ein Konzeptalbum, der Titel ein gefundener Begriff, den Moses Sumney gern im Duden sähe. Denn die "Aromantik" ist sein Leiden und sein Thema: Er verliebt sich nicht. Oder nur schwer. Oder nicht sehr. Singt wie in "Doomed" über die damit verbundenen Selbstzweifel, an anderer Stelle über längst neu verbandelte Verflossene oder übers Alleinsein als Naturzustand. Es ist ein recht loses Konzept, aber natürlich brechen diese ganz speziellen Liebeslieder mit allen Klischees und Erwartungen - und das ist sein zweites Thema, denn mit Klischees und Erwartungen kennt er sich aus. Hat ja dunkle Haut.
    Die Menschen seien faul, sagt er, Journalisten erst recht - und dann macht man eine Art Lo-fi-Soul-Folk oder ganz etwas Eigenes, und wird doch als R&B etikettiert.
    "Ich spüre den Druck und sage mir dann: Ey, du kannst schwarz und schräg sein! Oder schwarz und nicht supermaskulin! Aber dieser Druck ist grundfalsch. Es müsste doch längst klar sein, dass jeder alles Mögliche sein kann! Ich will hier nichts beweisen, aber ich registriere die Sehnsucht danach. Zu sagen: Ich bin übrigens ganz anders! Aber dass das überhaupt nötig sein soll, ist bescheuert."
    Kunstvoll und doch ungekünstelt
    Moses Sumney hat diverse Produzenten ausprobiert, fühlte sich dabei aber immer eingeengt, wie er sagt. Er habe doch selber noch gar nicht gewusst, wie es klingen soll! In Eigenregie ist es nun eine irgendwie unwirkliche Musik geworden, die teils an die Soundscapes von James Blake erinnert. Akustische Instrumente und organische Elektronik; dichte Gesangsschichten, oft kein Beat - und deutliche Jazz-Einflüsse.
    "Schon als Teenager entdeckte ich Ella Fitzgerald und andere Jazzsänger. Das habe ich jetzt im Blut, nach all den Jahren, und das hört man."
    Moses Sumney bei einem Auftritt in London im April 2017. Der Sänger spielt Gitarre.
    Moses Sumney bei einem Auftritt in London im April 2017. (Imago/ Alberto Pezzali)
    Er stammt aus Kalifornien. Mit zehn zog er mit den Eltern für sechs Jahre in deren Heimat Ghana, wo er ein Außenseiter blieb und sich nie wirklich einlebte.
    "Mit siebzehn, wieder in Kalifornien, sang ich im Highschool-Chor. Da fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben zugehörig. Und willkommen. Und ich sang zum ersten Mal öffentlich und lernte Dinge wie Mehrstimmigkeit."
    Erst als 20-jähriger in L.A. rückte Moses Sumney mit seinen Songs heraus. Bis dahin hatte er heimlich in seinem Zimmer gesungen - auch wenn ihm immer klar gewesen sei, dass er sich musikalisch äußern müsse. Er singe ständig, ohne es zu merken.
    Auch auf seinem Album singt er kunstvoll und doch ungekünstelt - manchmal wirklich wie einer, der vor sich hin summt. Auch da denkt man ans Falsett von James Blake (der Sumney auch schon ins Vorprogramm lud) oder an die Engelsstimme von Anohni, vormals Antony Hegarty. Denn ganz ähnlich gewinnt auch der Gesang von Moses Sumney Kraft durch den Mut zum Fragilen und Seltsamen. Er klingt sehr intim und nah; und doch mit den ineinander verwobenen Stimmen und Effekten zugleich artifiziell. Seine Flügel seien aus Plastik, gesteht der Held einem Bewunderer im Song "Plastic"; und doch sagt Sumney, er wolle zukünftig diese außerweltliche Figur, die aus seinem Sound entstanden ist, auch bei Auftritten noch stärker betonen. Nicht zuletzt diese Spannung zwischen dem Persönlichen und dem Inszenierten macht seine Musik aufregend. Er wolle etwas Neues bieten, sagt Moses Sumney, und zeigen, dass Ehrlichkeit okay ist: Musikalisch, indem man tut, was man will. Und textlich, indem man sagt, was man fühlt.
    Tourdaten
    07. November 2017 - Köln, Kulturkirche
    09. November 2017 - München, Ampere
    12. November 2017 - Berlin, Berghain Kantine
    18. November 2017 - Hamburg, Überjazz Festival: Kampnagel K2