Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Tradition der orientalischen Frauenanbetung

Wie gerät man an die Frau seines Lebens? Die Literaturgeschichte ist voll von romantischen Geschichten. Wie, wann und wo auch immer man an seine Traumfrau gerät: In unserer gegen das Romantische resistenten Welt gibt es heute kaum noch einen unpassenden Moment, einen falschen Tag und einen unmöglichen Ort, seine Verliebungsbereitschaft zu dokumentieren, seine "Traumfrau" zu finden. Alles eine Frage des Terminplans, der Logistik und des Portemonnaies. Auch die Liebe ist heute ein Event. Man muss ihn nur richtig angehen.

Von Hajo Steinert | 28.02.2008
    Der türkisch-deutsche Autor Feridun Zaimoglu ist für solchen Rationalismus nicht zu haben. Mit seinem leidenschaftlichen Roman stemmt er sich gegen den Zeitgeist. "Liebesbrand" heißt er bezeichnend, es geht hier vor allem um die Frage, wie man in Deutschland heute lieben kann, ohne die Rituale der Leidenschaft, des Werbens und Begehrens, wie der Irritierte sie aus den heimischen Mythen und Märchen kennt, ganz aufzugeben:

    Ich kannte Feuerzeugfunken, aber keinen Liebesbrand im Herzen, ich war im Westen verdorben, ich war ein durch und durch degenerierter Mann des Abendlandes, und von der Tradition der orientalischen Frauenanbetung hatte ich keine Ahnung.

    Seinen von Kopf bis Fuß auf die Liebe eingestellten Helden schickt Zaimoglu zwar auf eine Ü-30-Party und in ein Bordell. Indes bewerkstelligt er dies in ironischer Absicht. Der türkischstämmige, noch nicht vierzigjährige, schon lange in Deutschland (Kiel!) lebende und zu Deutschland stehende David sucht diese schrillen und orientalisch märchenhaft vom Autor in Szene gesetzten Orte nur auf, um wenigstens einem körperlichen Ebenbild jener Frau leibhaftig näher zu kommen, der er den Sinn seines Lebens verdankt.

    Unseren Helden erwischte es im doppelten Sinne des Wortes als Insasse eines Busses bei einem Unfall in der Türkei, der Fahrer schlief am Steuer ein. Während andere Passagiere im Todeskampf röcheln, prägt sich dem Geretteten, nur von Rippenbrüchen und blutverschmiertem Gesicht Gezeichneten, ein urromantisches Symbol ein: der mit einem blauen (!) Emailleplättchen eingefasste Ring am Finger einer schönen blonden Frau, die als schemenhaft auftauchende Passantin nicht mehr und nicht weniger tat, als für einen Moment erste Hilfe zu leisten, um dann sofort wieder in ihrem PKW mit dem Kennzeichen NI (für Nienburg) von dannen zu brausen. Was dem Zurückgebliebenem bleibt, ist die vergessene Haarspange des weiblichen Engels. Sie wird sein Wegweiser, sein Kompass.

    Feridun Zaimoglu schildert diesen aus Sicht der überlebenden Figur eher traumhaften als traumatisierenden Unfall mit einer Sprachkraft, changierend zwischen Surrealismus und Unfallbericht, die dem Leser schier den Atem raubt.

    Der 1964 im anatolischen Bolu geborene, seit frühester Kindheit in Deutschland wohnhafte Autor hat ein solches Unglück am eigenen Leide erfahren, er berichtete wiederholt darüber. Die Verarbeitung der Katastrophe geschieht im Roman durch die poetische Überhöhung des Erlebten. Dass sich im Moment der Katastrophe einem romantisch veranlagten Mann wie diesem David, nein, nicht der vergleichsweise lasche Zustand des Verliebtseins einstellt, sondern das Verlangen nach einem gleichermaßen Geistes- und Sinnes- sowie Körperzustands namens Liebe, ein metaphysisches Verlangen mithin, ist ein literarisches Motiv, das direkt aus der romantischen Schule des 19. Jahrhunderts zu uns hinüber winkt.

    Der Subjektivismus des Feridun Zaimoglu entwickelt sich in der Geschichte nicht nach dem literarisch üblichen Muster einer "Liebe auf den ersten Blick", der nun Taten, sprich, eine möglichst rasch zu erwirkende körperliche Erfüllung folgen sollte - der Subjektivismus eines Feridun Zaimoglu entspringt eher der Unbedingtheit, wie er diese Frau ihrer Bestimmung zuführt. Sie ist die "Frau des Lebens", eine Erlöserin geradezu. Ein rabiates, sehr konservatives Frauenbild, zugegeben. Am Ende naturgemäß ein vergebliches. Er beißt sich die Zähne aus. Die Zeiten sind nicht mehr so. Die er will, wird er nicht besitzen, die er haben kann - eine tschechische Fremdenführerin und Schauspielerin in Prag -, genügt ihm nicht. So ist das heute.

    Seine Dramatik, sein schnittiges Erzähltempo, seine ganze Spannung bezieht der Roman aus einer rasant in Szene gesetzten Suche des Mannes nach dieser Frau, die auch - ganz im romantischen Sinne - nicht gefunden wird, wenn er sie trifft, auf sie trifft, auf ihr liegt, eher noch unter ihr, in einem Hotelbett, wo ein sehr kämpferisches, buchstäbliche bissiges Liebesspiel vom Autor so rüstig in Szene gesetzt wird, dass nicht nur des literarischen Helden Verlangen nach Wiederholung genährt wird, sondern auch die Lust des fürs Groteske aufgeschlossenen Lesers nach einer Zugabe.

    Urkomisch, wie der Autor die erotischen Szenen erzählt. Indes niemals geschmäcklerisch, niemals peinlich. Das Pathos ist echt. "Du verdammter Mann", frohlockt die Kämpferin einmal. Ihr Name ist Tyra, das kommt her von Thor. Der Tor kämpft, obwohl er keine Chancen auf eine dauerhafte Beziehung hat, tapfer weiter. Das ist mannhaft, aber auch tragisch und komisch zugleich. Feridun Zaimoglu beherrscht den Stimmungswechsel virtuos. Er gibt seine durchaus beklagenswerten Figuren niemals der Lächerlichkeit preis. Aber sie rücken uns gottlob auch nicht so nahe, dass wir sie fortwährend in den Arm nehmen wollten.

    Immerhin folgte der Romantiker seiner Angebeteten bis nach Nienburg. Tyras aktuellen Aufenthaltsort fand David nicht - eine falsche Fährte - dank des memorierten Designs des Ringes nach dem Besuch bei einem Juwelier heraus, sondern ganz zufällig in einem Café in diesem Nienburg an der Weser. Diese Tyra ist das Bild einer Frau, die reine Verheißung:

    Ich setzte mich an ihren Tisch, ohne zu fragen, ohne eine mögliche Abweisung abzuwarten, und sie sprach kein Wort, sie strich eine Strähne hinter das Ohr, in der Mulde zwischen Nase und Oberlippe entdeckte ich einen Lippenstiftstrich, wahrscheinlich hatte sie auf der Toilette schnell ihr Make-up aufgefrischt, so wie es Frauen tun, die nicht in Eile sind, aber routiniert genug, um sich vor fremden Toilettenspiegeln frisch zu machen.

    Nach einem ersten Gespräch, ganz belanglos über Bleichspargel, rückt er mit seinem Anliegen heraus, man kann's ja mal versuchen: "Ich möchte dein Geliebter sein!" Wie nicht anders zu erwarten, reagiert sie entrüstet, redet daher von Ehebruch und den zwei Kindern, die sie habe - was, wie sich später herausstellt, nicht stimmt -, um am Ende dann doch in eben diesen Hotelbett mit ihm zu landen und sich nach dem Gerangel am nächsten Morgen, einen rüden Abschiedsbrief zurück lassend, aus dem Staub zu machen. Der Beginn einer amour fou, wie es sie in diesem literarischen Frühling kaum ein zweites Mal geben kann.

    Immerhin geht es in diesem Roman bis nach Prag und Wien, zwei Städte, die vom Autor literarisch keineswegs als Kulisse missbraucht, sondern als vitale Stadtkörper mit Adern gleichsam, Armen, Händen, Füßen, Beinen und Kopf in Szene gesetzt werden. Nicht von ungefähr taucht in diesem Roman auch jene Stadtführerin/Schauspielerin auf, die dem verbissenen, einer anderen Frau verfallenen Mann immerhin ein paar zarte Momente schenkt. Prag und Wien lässt der Autor so viel literarisches Eigengewicht gewinnen, das man sie neben David und Tyra regelecht als weitere Hauptfiguren wahrnimmt.

    Feridun Zaimoglu, der auch einmal einen schönen Text über Rom geschrieben hat, ist europäischer als die ganze Türkei zusammen. Der Versuch, die "Tradition der orientalischen Frauenanbetung" auf den Westen zu übertragen, ist zwar aus Sicht der literarischen Figur gescheitert - was "Liebesbrand" sein kann, vergisst indes kein Leser. Zaimoglu ist ein deutschsprachiger Romancier, der mit diesem Buch endgültig zur Spitze gehört.

    Feridun Zaimoglu: Liebesbrand. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 375 S., Euro 19,95