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Träume als Lebensthema

Er war ein Wegbereiter des Comics im frühen 20. Jahrhundert und definierte ein Jahrzehnt vor Walt Disney Standards für den Animationsfilm. Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund zeigt eine Retrospektive mit Comicseiten und Zeichentrickfilmen von Winsor McCay.

Von Peter Backof | 26.02.2013
    Durch eine urzeitliche Landschaft stapft Gertie, die Dinosaurierin, und rupft munter Bäume aus. Gezeichnet in rudimentärer Daumenkino-Optik von Winsor McCay.

    Alexander Braun: "Also man hatte damals tatsächlich eine Dino-Mania, die Leute waren absolut Dinosaurier-begeistert."

    Und das zum ersten Mal, sagt Kurator Alexander Braun. Das Museum of National History in New York zeigte damals das erste rekonstruierte Dinosaurier-Skelett, die noch junge Paläontologie förderte in Utah und Wyoming beim Bau von Bahnlinien massenhaft Riesenknochen zu Tage und in den Zeitungen hagelte es Leserbriefe: das könne doch nicht sein, dass die Erde älter als 8000 Jahre sei.

    Den 14-minütigen Film hat McCay damals auch persönlich vorgeführt. Er ließ ihn laufen, warf Gertie auf der Leinwand Futter zu und unterhielt sich mit ihr. Symptomatisch für den frühen Zeichentrickfilm: Jahrmarktsattraktion oder Kunstform? Diese Frage stellte sich in den Pioniertagen des Genres noch gar nicht. Aber:

    "Das, was wir heute unter Trickfilm verstehen, und was wir dann 15 Jahre später bei Walt Disney unter Trickfilm verstehen, das ist alles von Winsor McCay tatsächlich erfunden worden. Zum Beispiel "Passkreuze" und gelochte Seiten, damit sie möglichst passgenau übereinander liegen, dass auf Folien gezeichnet wird, um den Produktionsprozess effektiver zu machen."

    All dies hat McCay, nach Feierabend oder in Pausen zwischen Zeichenaufträgen für Zeitungen und Werbeagenturen in den Jahren um 1910 entwickelt. Vitrinen mit Arbeitsmitteln und sämtliche sechs erhaltenen Filme sind zu sehen. Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte und das Foyer des danebenliegenden RWE-Towers in Dortmund, letzte und flächenmäßig größte Station der Wanderschau: Alexander Braun kann auf rund 1000 Quadratmetern Originalzeichnungen und –Zeitungsseiten, sowie großformatige Originalfotos vom historischen New York zeigen.

    Nebeneinander gehängt kommt man da McCay auf die Schliche, an welcher Straßenecke er sich wahrscheinlich hat inspirieren lassen, um sie dann surreal oder Jugendstilhaft zu überzeichnen. Die Darstellung von Träumen ist McCays Lebensthema, mal als fantastischer Kindertraum, zum Beispiel "Little Nemo", veröffentlicht in bunten Wochenendbeilagen für die ganze Familie, mal als Albtraum für Erwachsene: "Dream of a Rarebit Fiend", "Traum eines Käsetoast-Fanatikers", kleine Schwarz-Weiß-Strips, in denen es vor Blut nur so spritzt und Körperteile durch die Luft fliegen: für die New Yorker damals, ein multiethnisches Pulverfass in Aufbruchstimmung, war das wohl ein Sinnbild für ihre Stadt. McCay war 1911 mit Comicstrips zum reichen Mann geworden. Entsprechend lässt er sich dann auch in der Filmvariante von "Little Nemo", einer frühen Mischform von Animation und Echtfilm, gleich tonnenweise Zeichentinte und Papier ins Atelier liefern.

    "Wir wissen, dass er gerne in den Redaktionen gesessen und gezeichnet hat, dass er aber auch einen Arbeitsplatz zu Hause unterm Dach gehabt hat."

    Kurz: dass er von früh bis spät zeichnete, wann immer es ging. Alexander Braun weist auf ein bezeichnendes Einzelstück. Da hatte McCay einen Comic-Strip angefangen, am Rand die Notiz: "Bitte, liebe Redaktion, wichtig, nicht wegwerfen!" und auf der Rückseite, offenbar war gerade kein anderes Papier am Platz, bereits die Illustration des Leitartikels der Zeitung für den nächsten Tag skizziert: Ob die USA in den ersten Weltkrieg ziehen sollten, wurde da gerade diskutiert. Als Comiczeichner war man schillernde Figur, Self-Made-Man und so ganz anders als die mit dem Image des Ausgebeuteten behafteten Zeichner von heute.

    "Ich kümmer mich um das Medium, weil ich es in den Kulturwissenschaften unterrepräsentiert empfinde und es gerecht fände, wenn diesem Medium etwas mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, und zwar seriöse Aufmerksamkeit, also nicht Fan-Aufmerksamkeit, sondern, dass man sie in einem kulturhistorischen Kontext zeigt."

    Am Beispiel Winsor Mc Cay leistet die Ausstellung so auch eine historische Einordnung. McCay wäre, wie die meisten Zeichner damals, nicht auf den Gedanken gekommen, dass sein Schaffen Kunst sei, obwohl er für sich selbst vieles archivierte und daher als best erschlossener Zeichner der Comic-Ur-Geschichte gilt, sagt Alexander Braun, auch wenn er jahrzehntelang vergessen war, auch in den USA, und erst in den 1970ern, 80ern Wiederveröffentlichungen und Gesamtausgaben erschienen. Als Spezialitäten für Insider.

    Mehr zum Thema:

    Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund: Winsor McCay - Comics, Filme, Träume (23.02.2013 bis 09.06.2013)