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Tragbare Wünschelrute

Technik. - Magnet- oder Kernspinresonanz: Dahinter verbirgt sich ein Messverfahren, das die atomare Zusammensetzung und Struktur chemischer Substanzen oder von Körpergewebe verrät. Normalerweise sind Magnetresonanz-Geräte groß, tonnenschwer und teuer. Als Jülicher Forscher 2005 eine tragbare Variante präsentierten, sorgte das darum für Aufsehen.

Von Ralf Krauter | 19.05.2009
    Die Apparatur passte auf einen Campingtisch. Ein Permanentmagnet, ein Aluminiumzylinder mit Probenhalter und Spulen und etwas Elektronik – das sei alles was man brauche, erklärte Stephan Appelt vom Zentralinstitut für Elektronik des Forschungszentrums Jülich 2005 bei einem Besuch.

    "Das Herzstück einer normalen Kernspinresonanzanlage ist der große supraleitende Magnet, der viele Millionen kostet und tonnenschwer ist. Wir haben uns gesagt: Lassen wir das alles weg. Lassen wir diesen riesigen Magneten weg. Verwenden wir stattdessen nur die Erde. Verwenden wir nur das Magnetfeld der Erde, um in diesem Magnetfeld Kernspinresonanz-Analysen zu machen. Das war erst mal nur ein Traum. Aber wir haben es geschafft, tatsächlich chemische Analysen im Erdmagnetfeld durchführen zu können."

    Stephan Appelt ist mittlerweile Chemieprofessor an der RWTH Aachen. Mit der portablen Magnetresonanz-Apparatur konnte sein Team die charakteristischen Fingerabdrücke von Wasserstoff, Lithium, Fluor und Silizium messen und in den Signaturen sogar Strukturen erkennen, die kommerziellen Großgeräten verborgen geblieben waren. Allerdings funktioniert die Magnetresonanz zum Mitnehmen nur bei extrem gleichförmigen Magnetfeldern, denn schon winzigste Störungen bringen die zu kollektivem Taumel angeregten Atomkerne vorzeitig aus dem Takt. Bei Messungen im Erdmagnetfeld reicht bereits eine Münze in der Jackentasche, um jede Untersuchung zu vermasseln. Für chemische Analysen unterwegs, etwa auf einer Bohrinsel, sind das schlechte Voraussetzungen.

    "Und da sind wir jetzt dabei, eines der Hauptprobleme der mobilen Kernspinresonanz-Spektroskopie zu lösen, indem wir das ganze Gerät einpacken in eine magnetische Absperrung, die millionenfach alle Störungen abschirmt von außen. Da hätte man den riesigen Vorteil: Man könnte solchen molekularen Strukturaufklärungen überall machen."

    Wer das Labor im Keller des Instituts besucht, bekommt allerdings den Eindruck, dass es noch dauern dürfte, bis es soweit ist.

    "Jetzt muss ich mal gucken. Ich glaube, das ist alles noch in den Kinderschuhen."

    Die magnetische Abschirmung wurde kürzlich erst geliefert und liegt noch unbenutzt unter einem Tisch. Ein vierwandiger Zylinder aus einem speziellen Metall, der über 30 Kilo wiegt – ziemlich schwer für die Hülle eines tragbaren Messgerätes.

    "Das ist der Vielfach-Mu-Metallzylinder. Sehr schwer, deswegen kann ich ihn nur rollen. Hier sehen sie: Das sind diese vier Schilde hier drin. Und das sind die Deckel dazu. Da rein wird das Ganze gebaut. So groß wird das etwa: Ein Meter mal 50 Zentimeter."

    Neben unerwünschten Störfeldern blockt der Zylinder allerdings auch das eigentlich willkommene Erdmagnetfeld ab, das sozusagen die Bühne für die ersten Messungen bot. Um dennoch Proben analysieren zu können, müssen die Forscher im Inneren des Zylinder ein schwaches Magnetfeld erzeugen, das ähnlich homogen ist. Die speziellen Magnetspulen, die dafür nötig sind, existieren bislang nur als Computermodell.

    "Mal sehen, wie weit wir damit kommen. Das ist eine hohe Anforderung, technologisch. Rein mathematisch geht das. Technisch? Ich kann’s ihnen noch nicht sagen. Noch nicht. Aber vielleicht bald."

    Experimente im Vorfeld deuten darauf hin, dass sich die Mühe lohnt. Quantenmechanische Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Atomkernen eines Moleküls führen offenbar dazu, dass die Kernspinresonanz-Signaturen in schwachen Magnetfeldern deutlich mehr Details verraten, als Experten für möglich gehalten hatten – geschweige denn mit ihren immer mächtigeren Magneten hatten sichtbar machen können. Die neue Messtechnik aus Jülich könnte also das Tor zu einer Menge neuer Physik öffnen. "Unser Herz pocht", sagt Stephan Appelt.

    "Meine persönliche Meinung ist: Es wird in den nächsten zehn Jahren soweit sein, dass man wirklich Massenanwendungen hat von mobiler NMR. Ich kann Ihnen heute nicht einmal sagen, in was für Branchen. Erdölindustrie, Pharmaindustrie, medizinische Diagnostik. Ich kann mir eine ganze Reihe von Anwendungen vorstellen. Man muss nur die Finanziers dafür finden. Das ist nicht einfach für Forscher. Das kann ich mal hier sagen. Das ist ein großes Problem, für alle Forscher, nicht nur für uns."

    Weblinks:

    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,358456,00.html

    http://www.scienceblog.com/community/older/2005/11/200510368.shtml

    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/463383/