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Transitland in den Westen
Beschwerliche Flüchtlingsroute über die Ukraine

Eine der Schleuserrouten für Flüchtlinge unter anderem aus Syrien führt von Russland oder dem Hafen Odessa über die Karpaten bis in die Ukraine. Bisher sind nur wenige Flüchtlinge darüber ins Land gekommen, weil dies ein beschwerlicher Weg ist - das könnte sich aber bald ändern.

Von Jan Pallokat | 11.03.2016
    Flagge Ukraine
    Flagge der Ukraine: Bald könnten mehr Flüchtlinge den Weg über die Ukraine suchen. (ANATOLII STEPANOV / AFP)
    Hussam Al-Jamani ist ukrainischer Vorzeige-Syrer. Der Mann aus Damaskus lebt seit drei Jahren in Kiew. Er hat ein plüschiges syrisches Restaurant eröffnet, das er Englisch "In Mood" genannt hat, "In Stimmung". Er hat dort ukrainische Kellner, es gibt Rosentee. Und der Kirsch-Schaschlik schmeckt gut. Der Chef kocht selbst.
    "Ich bin eigentlich Architekt. Kochen war mein Hobby. Ich habe 20 Jahre in Dubai gearbeitet. 2010 ging ich zurück, Syrien war top damals. Dann aber kam der Krieg. Ich wollte raus, aber die Länder meiner Wahl verweigerten mir das Visum, Deutschland, Schweden, ich mag Deutschland. Dabei hatte ich noch jede Menge alter Schengen-Visa im Pass. Also bewarb ich mich überall. Und sie boten mir ein Visum für die Ukraine an. Also sagte ich mir, warum nicht? Ich packte meine Tasche und brach auf."
    Gerade noch rechtzeitig, denn die Ukraine hat inzwischen die Tore geschlossen für Syrer, beobachtet Al-Jamani. Letztens wollte ihn ein Freund besuchen.
    "Mein Kumpel kam bis zum Flughafen, aber er durfte nicht rein. Dabei hatte er sogar ein Visum. Er fragte, was ist los, sie sagten, Syrer, nein. Und schickten ihn zurück."
    Ukraine ist eher Transitland
    Die Ukraine ist normalerweise kein Ziel für Migranten, eher Transitland in den Westen. Die meisten jener, die hier Asyl beantragen, wurden aufgegriffen bei illegaler Durchreise – und wollen so verhindern, zurückgeschickt zu werden. Ihnen helfen dann die ehrenamtlichen Anwälte von HIAS, einer Hilfsorganisation – wie Darina Tolkatsch.
    "Es ist kein Geheimnis, dass viele Schleuserrouten durch die Ukraine führen. Die Menschen landen immer dann in der Ukraine, wenn die Schleuser ihre Versprechen nicht vollständig erfüllen. Wir hatten einen Fall, da hat man ihnen gesagt, herzlich willkommen in Polen – und die Menschen in der Kiewer Region ausgesetzt. Die kamen dann zu uns."
    Verglichen mit dem Strom auf dem Balkan, sind die Routen durch die Ukraine bislang eher ein Rinnsal. Gerade einmal 5.000 illegale Migranten wurden letztes Jahr aufgegriffen; halb so viele beantragten Asyl in der Ukraine. Das allerdings kann sich schnell ändern, ahnt Wiktor Danyiluk von der ukrainischen Migrationsbehörde. Er beobachtet genau, was sich auf dem West-Balkan tut.
    "Wir haben jetzt einen Zeitvorsprung. Ein paar Monate, vielleicht ein halbes Jahr, bis sich die Migrationsströme umorientieren. Es ist klar, wenn die Europäer ihre südöstlichen Grenzen dichtmachen, werden sich die Menschen andere Routen suchen, zweifellos auch über die Ukraine. Ein vergleichsweise langer und teurer Weg, aber was bleibt ihnen übrig? Darauf bereiten wir uns jetzt vor."
    Weg über Russland oder Odessa
    Die Menschen werden entweder über Russland eingeschleust oder über den Schwarzmeerhafen Odessa, wissen Insider. Die Hauptroute in die EU-Staaten führt indes über die Karpaten-Region in der Südwest-Ukraine; die Gegend ist berüchtigt als Schmugglerparadies.
    "Das ist die einzige Region in der Ukraine, die gleich an vier EU-Staaten grenzt. Die Menschen, die es erst bis in die Karpaten geschafft haben, haben die volle Auswahl. Und die Einwohner dort helfen ihnen, sie verdienen damit gutes Geld. Sie spielen die Rolle der Begleiter durch den Wald, über die Berge, über die Grenze."
    Zum Beispiel nach Ungarn oder in die Slowakei. Dass die Menschen sich das sparen und gleich in der Ukraine bleiben, bleibt die Ausnahme – auch, weil Vorzeige-Syrer Hussam Al-Jamani ein Einzelfall ist. Denn der Gastwirt, inzwischen hat er einen ukrainischen Pass, ist eigentlich die beste Werbung für die Ukraine als besseres Deutschland.
    "Inzwischen ist mir klar geworden: Die Ukraine ist für mich persönlich sogar besser als Europa. Selbst, wenn man mir jetzt die Einreise nach Kanada anbieten würde, würde ich ablehnen. Die Ukraine ist super fürs Geschäft. Vor allem für kleine Unternehmungen. Dieses Restaurant hier: Im Westen hätte es mich fünf, sechs Jahre Zeit gekostet, bis es läuft. Und für das Geld, dass ich hier brauchte, könnte ich in Europa nicht mal einen Kiosk eröffnen!"