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Transplantationsgesetz: "Ein Schritt in die richtige Richtung"

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will, dass die Krankenkassen ihre Versicherten befragen, ob sie bereit sind zur Organspende. Dieser Vorschlag sei nur ein "Teil des ganzen Problems", so der Transplantationsmediziner Professor Günter Kirste, denn auch die Krankenhäuser müssten ihrer Pflicht nachkommen.

Günter Kirste im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 27.09.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: 12.000 Menschen und ihre Angehörigen bewegen sich in Deutschland Tag für Tag zwischen Hoffen und Bangen. Sie warten dringend auf ein lebenswichtiges Organ, das ein Spender zur Verfügung stellt. Doch die Bereitschaft zu spenden erklären in Deutschland viel zu wenige. Jedes Jahr sterben deshalb etwa 1000 Menschen, weil sie eben auf ein dringend benötigtes Organ vergeblich warten. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr von der FDP will das jetzt ändern. Die Krankenkassen sollen die Versicherten bei der Ausgabe der neuen elektronischen Gesundheitskarte befragen, ob eine Bereitschaft zur Spende besteht oder nicht. – Am Telefon begrüße ich dazu den Transplantationsmediziner Professor Günter Kirste. Er ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Schönen guten Morgen, Herr Professor Kirste.

    Günter Kirste: Ja, guten Morgen.

    Heckmann: Tausende warten auf ein lebenswichtiges Organ, viele über lange Jahre. Was bedeutet das ganz praktisch für die Betroffenen?

    Kirste: Die meisten Menschen warten ja in Deutschland auf eine Nierentransplantation, und zu warten bedeutet für diese Menschen, dreimal die Woche mindestens an die Dialyse zu müssen, also an eine Blutwäsche, und in dieser Zeit, in der diese Menschen warten, verschlechtert sich der Gesundheitszustand stetig und ständig. Das ist das große Problem.

    Heckmann: Und damit verbunden auch eine entsprechende psychische Belastung.

    Kirste: Ja, das ist eine psychische Belastung. Es ist aber auch eine erhebliche körperliche Belastung, denn die Dialyse, diese Blutwäsche, ist eine Methode, die den Körper maximal anstrengt und die auch dazu führt, dass zum Beispiel die Verkalkungen der Blutgefäße schneller, deutlich schneller zunehmen, als wenn man nicht an der Dialyse ist, oder eben als wenn man transplantiert ist.

    Heckmann: Laut einer Forsa-Umfrage sind 82 Prozent der Deutschen theoretisch bereit, nach ihrem Tod ein Organ zu spenden, aber nur 12 Prozent haben einen Organspenderausweis. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

    Kirste: Viele Menschen mögen sich nicht so richtig mit der Frage beschäftigen, was am Ende des Lebens sein könnte und was passieren könnte, und haben einfach Ängste, Vorbehalte, sich damit zu beschäftigen. Deshalb macht man sich, machen sich viele Menschen dazu keine Gedanken, wissen auch nicht, dass es einfach gut wäre, sich diese Gedanken frühzeitig zu machen und eben einen Organspenderausweis zu unterschreiben, weil man im Falle eines Falles, wenn man selber dann stirbt, den Angehörigen eine schwierige Entscheidung abnehmen würde.

    Heckmann: Viele sind aber auch deswegen vielleicht zurückhaltend, weil sie denken, es wecke vielleicht Begehrlichkeiten, wenn ich einen Organspenderausweis habe und mein Tod möglicherweise früher festgestellt wird, bevor er überhaupt eingetreten ist. Können Sie eine solche Skepsis nachvollziehen?

    Kirste: Nein, die kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Es gibt in Deutschland so klare und so eindeutige Regelungen zur Feststellung des Hirntodes, die sehr viel schärfer sind als in den meisten anderen Ländern der Welt. Also ein zu früh für tot erklären geht gar nicht, weil dazu sind bestimmte medizinische Voraussetzungen zu erfüllen, und die sind eben entweder da, oder sie sind nicht da. Man kann sie nicht herbeiführen. Insofern ist diese Skepsis unbegründet. Aber man muss sie ernst nehmen. Es ist eben so, dass viele Menschen davor Angst haben. Auf der anderen Seite gibt es aber gerade derzeitig wahnsinnig viele Menschen, die eine Patientenverfügung unterschreiben und damit gerade eine Limitierung der Behandlung am Ende des Lebens einfordern, und diese beiden Strömungen, sage ich mal, die widersprechen sich ja. In einem Fall hat man Angst davor, dass nicht alles getan wird, und im anderen Fall legt man fest, dass nicht alles getan werden soll. Insofern zeigt das die Zwiespältigkeit im Umgang mit diesen Fragen am Ende des Lebens.

    Heckmann: Dann kommen wir mal zu dem Vorstoß des Gesundheitsministers Daniel Bahr von der FDP. Er möchte ja, dass die Krankenkassen die Versicherten befragen, ob sie bereit sind, ein Organ zu spenden, und dann soll es die Möglichkeit geben zu sagen, ja ich bin bereit, nein oder ich weiß es im Moment nicht, ich kann mich im Moment nicht entscheiden. Denken Sie, dass ein solcher Weg, wenn er beschritten würde, das Problem lösen könnte?

    Kirste: Es ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, sagen wir mal so. Es wird sicherlich dazu führen, dass mehr Menschen sich mit dieser Frage beschäftigen, und ich hoffe sehr, dass sie entsprechende Informationen zur Verfügung haben, dass sie auch die richtige Entscheidung treffen. Insofern ist diese Lösung, diese Entscheidungslösung, die Herr Bahr jetzt einfordert, daran gekoppelt, dass die Menschen über das Thema informiert werden.

    Heckmann: Wie soll man dann damit umgehen? Man kann sich ja vorstellen, dass viele Menschen dann ankreuzen, ich kann mich im Moment nicht entscheiden, entweder ja oder nein zu sagen. Wie soll man damit umgehen? Sollen solche Personen dann mittel- und langfristig automatisch als spendewillig gelten, wenn sie eben nicht widersprechen, wenn sie nicht nein sagen?

    Kirste: Dieses ist ein Vorschlag, der von einem Bundesland in den Bundesrat vor wenigen Tagen eingebracht wurde, den Sie jetzt zitieren. Ich weiß nicht, ob dieser Beschluss Parlamentsmehrheiten finden wird, aber es ist zumindest ein Weg weiter. Nur man muss sich über eines im klaren sein: Wenn sich jemand nicht entscheiden will jetzt auf einer Gesundheitskarte, dann würde ja im Falle eines Falles, dass dieser Mensch verstirbt, wie bisher mit den Angehörigen gesprochen werden, und das ist sicherlich ein ganz entscheidender Punkt dabei. Im übrigen muss man auch sagen, dieser Vorstoß von Herrn Bahr, der ja ganz, ganz wichtig ist aus meiner Sicht, ist ja nur ein Teil des ganzen Problems. Das Transplantationsgesetz soll ja insgesamt geändert werden und der viel wichtigere Aspekt ist, die Organisation in Deutschland in dieser Frage zu verbessern, nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung nachher zu fällen ist.

    Heckmann: Das heißt was genau?

    Kirste: Das heißt, dass die Krankenhäuser ihrer Pflicht nachkommen müssen, solche Fälle, die geeignete Organspender sind, zu melden. Wir haben schon jetzt im Gesetz drinstehen, dass die Krankenhäuser verpflichtet sind, solche Fälle zu melden. Das tun sie aber nicht.

    Heckmann: Weshalb nicht?

    Kirste: Überlastung, zeitliche Überlastung und häufig auch Unkenntnisse, dass ein Verstorbener möglicherweise für eine Organspende in Frage kommt. Wir haben in Deutschland 16 Spender pro Millionen Einwohner im Jahr 2010 gehabt. Das Potenzial an Spendern liegt bei 40 pro Millionen pro Jahr. Das wissen wir von vielen Studien, die wir hier in Deutschland gemacht haben, aber auch international. Und dieses Potenzial zu heben, ist nicht so sehr davon abhängig, unter welchen Voraussetzungen die Menschen zustimmen, sondern es ist davon abhängig, dass eine gute Organisation da ist und vor allen Dingen nachhaltig diese Organisation überprüft wird.

    Heckmann: Kurz zum Schluss noch, Herr Professor Kirste. In vielen europäischen Staaten gilt als Spender, wer nicht zu Lebzeiten widerspricht. Müssen wir nicht in Wahrheit dorthin, um das Problem zu lösen?

    Kirste: Ich glaube, dass diese Lösung nicht mehrheitsfähig ist in Deutschland. Ganz abgesehen davon gibt es auch Länder mit dieser sogenannter Widerspruchslösung, wie Österreich zum Beispiel, die haben Bundesstaaten wie das Burgenland, die haben eine Spenderrate, die ist deutlich unter dem von Deutschland. Das heißt, auch in Österreich ist es mehr abhängig von der Organisation als von der Frage, ob ich eine Widerspruchslösung oder Entscheidungslösung habe.

    Heckmann: Professor Günter Kirste war das, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Herr Professor Kirste, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Kirste: Ja, danke auch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.